Entdeckt (6): Meine Wahrheit – Ein Heft zum Heulen

Der Kioskforscher gesteht: „Meine Wahrheit“ hat mich enttäuscht. Aber ich bin selbst schuld: Meine hohen Ansprüche verdarben mir das Lesevergnügen. Ich darf doch keine glaubwürdigen Geschichten erwarten. Und keine gut geschriebenen. Ein Schicksalsreport.

Cover-meine-wahrheit

Es gab eine Zeit, da hätte dieser Text mit einem blöden Spruch begonnen. Ich hätte gefragt, wie modern ein „modernes Erlebnismagazin sein  kann, das in Schwarz-Weiß erscheint. Doch diese Frage kommt zu spät. Schon seit September 2009 präsentiert sich Meine Wahrheit in Farbe, was auf dem Cover bis heute in bunten Buchstaben hervorgehoben wird. Es muss ein epochaler Umbruch gewesen sein. Willkommen in der Print-Gegenwart. Einer Gegenwart, in der Schicksalsgeschichten noch immer funktionieren. Wer liest nicht gern vom Lieben und Leiden seiner Mitmenschen? Gute Voraussetzungen für eine Zeitschrift, die genau auf solche Texte setzt.

Die Geschichten in Meine Wahrheit, verkündet der Verlag, sie sind „aufrüttelnde Bekenntnise, verzweifelte Hilferufe und brisante Eheschicksale, die unter die Haut gehen“. Der Untertitel des Heftes lautet nicht von ungefähr „Was Frauen gestehen“. Klingt spannend. Und, tatsächlich: Frauen haben anderswo schon Belangloseres gestanden als in diesem Heft. 

Hier reicht die Bandbreite der Schicksale von der verzweifelten Elke (22), der alle auf ihren großen Busen starren, bis zur unglücklich verheirateten Beate (28), die an Baustellen Muskelmänner abschleppt. Sabine (28) wurde von ihrem Chef verführt und geschwängert, Elisabeths (52) Tochter liebt einen Alkoholiker. Und so weiter. Neben elf Frauenschicksalen verrät auch Georg (64), dass ihn seine Frau verließ – weil er keinen Sex mehr wollte. Der Quoten-Mann, denn auch Typen haben Probleme. Alle Geschichten werden aus der Ich-Perspektive erzählt.

Wenn der Workshop zweimal klingelt

Wie in schlechtem Boulevard wird der Inhalt vorgekaut: „Tragisches Schicksal“, „So schrecklich“ und „So ungerecht“ steht über den Texten. Auf Nachfrage teilte der Verlag mir mit, dass die Geschichten alle wahr sein sollen. Den Schreibern seien sie selbst passiert oder sie hätten sie von Freunden und Bekannten gehört. Die müssen ja ein turbulentes Umfeld haben, diese Ghostwriter. Im Impressum heißt es: „Die auf der Titelseite und im Inhalt abgebildeten Personen sind mit den Romanpersonen nicht identisch.“ Aha. Romanpersonen, im Inhalt abgebildete Personen – wie bitte? Zumindest bei den Bildern ist die Sache klar: Sie stammen aus dem Fundus von „Thinkstock„. Zudem wird am Ende jeder Geschichte darauf hingewiesen, dass die Fotos nachgestellt sind. 

Schlimm fände ich einen fehlenden Wahrheitsgehalt nicht. Er ließe sich verschmerzen, wenn die Schicksals-Stories gut geschrieben wären. Ein frommer Wunsch. Manche Formulierungen sind abgegriffen, andere völlig unpassend für Texte, die wörtliche Erzählungen einer echten Person sein wollen. Wer redet zum Beispiel so: „Am Tag der Eröffnung, sie wolle mich verlassen…“? Und wer außer Rosi (62) nennt das heimliche Hochfahren eines Computers einen „Hackerangriff“? An anderen Stellen wird so schlampig formuliert, dass der versemmelte Satz schon wieder lustig ist: „Babette L. aus Mönchengladbach jedenfalls wird demnächst ein Workshop besuchen.“ Sie wird sich freuen, wenn der Workshop vor ihrer Tür steht.

Füllmaterial aus fremden Federn

Abgesehen von seinen Schicksals-Reports besteht das Heft aus zehn Rätseln, einem Horoskop und einigen Service-Rubriken, darunter ein Reise-Tipp und eine Lebensberatung im Dr.-Sommer-Stil. Die inhaltliche Tiefe der Service-Themen hält sich allerdings in Grenzen. Sie wirken eher wie Füllmaterial, die das Heft vor dem Etikett „Groschenroman“ bewahren sollen.  

So wird unter der Überschrift „Medizin Aktuell“ einfach ein Text aus dem Pressetreff der „Deutsche Journalisten Dienste GmbH“ (djd) abgedruckt, der im Netz an jeder Ecke steht. Wie viele andere Medien verwendet Meine Wahrheit also Texte eines Dienstes irgendwo zwischen Journalismus und PR. Zumindest wird dabei auf die Quelle verwiesen und ein eigener Rechtschreibfehler („Subs-tanz“ steht so mitten in der Zeile) eingebaut.   

Koch‘ den Schweiger

Hinsichtlich fremden Materials ist auch die Rubrik „Kulinarisch“ interessant. Sie besteht aus vier Rezepten, darunter „Coq au vin“, ein Geflügelgericht, über das sich zumindest Anhänger des neuen Til-Schweiger-Films freuen dürften. Freuen kann sich aber auch die Firma „Birkel“, denn gleich in zwei Rezepten werden ihre „3Glocken“-Bandnudeln als Zutat aufgezählt. Da dürfte „Wirths PR gute Arbeit geleistet haben. Die Agentur betreibt für Birkel die sogenannte „Rezeptstreuung“.

Offen kooperiert Meine Wahrheit mit „Amio„, einem Portal für Kontaktanzeigen. So finden sich in der Heftmitte über 40 Anzeigen. Wer zum Beispiel dem „süßen, attr. Kätzchen mit gr. bl. Augen“ (38) antworten will, ist aus dem Festnetz für 1,99 Euro pro Minute dabei. Alternativ kann man sich für 14 Cent pro Minute bei Amio anmelden. Von Seiten des Verlag heißt es Anfang März, diese Rubrik würde künftig nicht mehr im Heft auftauchen. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Zumindest in der (auf die hier beschriebene folgende) Ausgabe 3/2011 ist sie noch enthalten. Die Markenzutaten der Stunde sind darin übrigens die „John West Thunfischfilets„.

Meine Wahrheit – ein Fazit

Nun aber vom Fisch zum Fazit: Meine Wahrheit hat mich enttäuscht. Wenn ich beim Lesen dieses Heftes heule, dann nur, weil so viel Potenzial verschenkt wird. Die Geschichten sind vielfältig, aber schlecht geschrieben. Schon dadurch wirken sie unauthentisch und werden schnell langweilig. So bleibt neben Schicksalen, die mich nicht berühren, und einer Ladung überflüssiger Service-Themen nicht viel vom Heft übrig. Die Rätsel sind noch das spannendste.

Doch, Vorsicht: Meine fehlende Begeisterung könnte biologische Gründe haben. Denn Meine Wahrheit will ihre „Leserinnen Monat für Monat in Atem halten. Vielleicht darf ich das als Mann gar nicht erwarten? Und das erklärt, wieso laut Leserbefragung nur jeder 30. Leser XY-Chromosomen trägt? Ein Schnitt, den ich auch in Zukunft nicht beeinflussen werde. Mir reicht es, einmal 1,80 Euro für dieses Heft ausgegeben zu haben. Für 50 Cent mehr finde ich in anderen Heften bessere Geschichten. Und die dürfen ruhig ausgedacht sein.

Infos zum Heft

Meine Wahrheit erscheint monatlich im Martin Kelter Verlag. Er veröffentlicht unter anderem noch 50 Rätselhefte und 55 Frauenromane. Neben Meine Wahrheit bringt der Verlag acht weitere ähnlich konzipierten Titel auf den Markt, etwa „Meine Liebesbeichte, „Meine Lebenslüge und „Wahre Gefühle“.

Auf Kioskforscher-Nachfrage beim Verlag hieß es, die verkaufte Auflage von Meine Wahrheit liege bei rund 60.000 Exemplaren. Das Heft kostet 1,80 Euro. Beschrieben wurde die Ausgabe 2/2011. Sie hat 68 Seiten. 

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