Entdeckt (10): Micky Maus – Kinderheft 2.0?

Zu kurze Comics, ein belangloser Magazinteil und Plastikmüll als Extra: Ist beim Kult-Kinderheft „Micky Maus“ alles beim Alten geblieben? Nicht ganz. Entenhausen hat jetzt Internet und Schumi ist ein Versager.

Cover-micky-maus

Wenn in meiner Kindheit jemand als Gewinnertyp galt, dann Michael Schumacher. Er gewann Rennen um Rennen, war zweifacher Weltmeister, bevor ich merkte, dass man „Grand Prix“ französisch ausspricht. Ein Sportstar. Heute ist Schumacher die Zielscheibe von Micky-Maus-Witzen. „Was macht Michael Schumacher, wenn er ein Formel-1-Rennen gewonnen hat?“, wird in Ausgabe 11/2011 gefragt. „Er macht die Playstation aus und geht schlafen.“ Das Cover der Micky Maus ziert jetzt Sebastian Vettel. Für die junge Generation ist Schumi ein Versager, der stets mitfährt, aber nie gewinnt. Wie sich die Zeiten ändern.

Micky Maus, der Klassiker unter den Kinderheften, erscheint seit 1951 in Deutschland. Generationen von Jungen und Mädchen wuchsen mit dem Magazin auf. An wem das „Schlaue Buch“ (eins der populärsten Extras) vorbeiging, dem wurde zumindest mal ein Furzkissen untergeschoben. Anfang der 90er-Jahre landete auch ich bei der Micky Maus. Ich brauchte eine Ersatzdroge. Meine Lieblingslektüre, das „Lustige Taschenbuch“, erschien nur monatlich, eine viel zu geringe Dosis Disney. Um wöchentlich Post aus Entenhausen zu bekommen, abonnierte ich also die Micky Maus. Eine Entscheidung, über die ich mich oft ärgerte.

Am meisten nervte mich der dürftige Comicanteil des Heftes. Ich wollte etwas über Donald, Gustav und Co. lesen, kein Redakteursgeschwätz. Heute füllen vier Comics immerhin 29 der 52 Seiten. Alle Geschichten sind in sich abgeschlossen, keine Spur mehr von wochenlangen „Fortsetzung folgt“-Dramen wie sie früher üblich waren. Die Comics lesen sich gut, sprachlich und optisch sind sie auf gewohnt hohem Disney-Niveau. Einmal jobbt Donald als Fahrlehrer, einmal bekommt Donni Duck Schulunterricht von Oma Duck und einmal begegnet Micky Maus einer Fee. Der vierte Comic ist ein Rätsel, bei dem der Leser zum Detektiv wird – ich konnte den Fall allerdings nicht lösen. Prädikat: zu blöd für die Micky Maus. Spricht aber für das Heft, die Auflösung war überzeugend.

Kalendereinträge, die keinen Sinn machen

Rund um die Comics gibt es einen Magazinteil mit Witzen, Streichen und Service-Quatsch. Die Rubrik „Deine Woche“ zum Beispiel besteht aus Freizeittipps, vom Schauen der „Wok-WM“ bis zu einem Nintendo-Spiel. Seltsam ist allerdings der Freitags-Tipp, der den Anfang macht: „Neue Micky Maus holen!“ Mal überlegen: Muss ich nicht zuerst die Micky Maus holen, um diesen Tipp überhaupt lesen zu können? Für den Montag wird empfohlen, am Kiosk das Magazin „DYou“ zu besorgen – sicher kein Zufall, dass es im gleichen Verlag erscheint wie die Micky Maus. Am Sonntag und Dienstag ist der Kalender leer. Kann ja nicht immer was los sein.

Die vorgestellten Streiche gehen in Richtung „Versteck‘ den Erdnussbutter-Deckel und leg‘ einen von der Marmelade auf den Tisch. Wer die Erdnussbutter zuschraubt, wird sich wundern.“ Naja. Auch die Witze sind solide, rechtfertigen aber keinesfalls die überall abgedruckten „Ha, ha, ha“s und „Hi, hi, hi“s. Ein Beispiel: „Warum haben Dummhausener montags immer kleine Löcher im Gesicht?“ – „Weil sie am Wochenende versucht haben, mit der Gabel zu essen“. Witze mit Geschlechterklischees gibt es in der von mir gelesenen Ausgabe nicht. Über diese Witze hatte sich 2008 der Stern empört.

Pupslabor ausgehoben

Das inhaltliche Niveau des Heftes variiert. Gelegentlich finden sich in den Comics kulturelle Anspielungen, etwa auf den „Nebel von Avalon“ oder Otto Lilienthal. Die andere Seite des Spektrums bilden Meldungen wie diese: „Die Entenhausener Polizei hat gestern in der Innenstadt ein geheimes Pupslabor ausgehoben. […] Wie ein Sprecher sagte, transportierte ein Blähmittelräumdienst insgesamt 50 Kilogramm verschiedener Bohnen-Sorten, Kohl und Zwiebeln ab. Auch Nasenklammern und Handfächer wurden sichergestellt.“ Grundschulhumor. Früher hätte ich gelacht. Von den Entenhausener Kleinkriminellen abgesehen, ist das Heft sex- und gewaltfrei.

Die Gewinnspiele kommen allesamt ohne teure Telefonhotline aus. Der Leser kann entweder per Postkarte oder kostenlos per Internet mitmachen. Weniger erfreulich ist eine Verlosungsseite zum „Abenteuerland Nawala“. Sie wirkt wie ein Zwitter aus redaktionellem Inhalt und einer Anzeige. „Da musst du unbedingt dabei sein!“ heißt es im Text, der in der Standardschrift gedruckt wurde. Unten auf der Seite steht, dass es in der nächsten Ausgabe „mehr Abenteuer aus Nawala“ geben soll. Muss ja was ganz Tolles sein, dieses Abenteuerland. Bei diesem „Spezial“ scheint es sich um eine regelmäßige Kooperation zwischen der Micky Maus und dem Freizeitpark zu handeln. Auf der Nawala-Website heißt es: „Seit 2006 ist Ehapa Partner unserer Ferienanlage in der Lüneburger Heide“. Vielleicht sollte lieber „Anzeige“ auf der Seite stehen? Manchmal schafft schon ein Wort Klarheit.

Allgemein passt die Sprache des Hefts zur Zielgruppe, ich konnte nur Flüchtigkeitsfehler finden. So soll Michael Schumacher den Inhalt von 15.000 „Nudelpakungen“ gegessen haben. Auch die Gewinnspielübersicht enthält falsche Seitenzahlen. Wo ein Nintendo-Gewinnspiel stehen soll, befindet sich tatsächlich eine Geolino-Anzeige. Auf den Magen schlägt mir die Leserbriefseite. Fünf von sieben Briefen enthalten Lobhudeleien: „Ich bin euer größter Fan“, „Ich freue mich jede Woche auf das neue Heft“ und „Ich finde eure Hefte echt cool“ heißt es da zum Beispiel. Dass ich so eine Selbstbeweihräucherung verachte, ist bekannt.

Ducksches Netzwerk in Gefahr

An vielen Stellen verweist die Micky Maus auf ihre Website. Dort kann der Leser unter anderem über den Wunschcomic der Woche abstimmen, Quizfragen aus dem Heft beantworten (Warum muss eine bestimmte Affen-Art ständig nießen?) und verraten, wie man Schluckauf wieder los wird („Ich schaue mir einfach Fotos von meinen Lehrern an. So erschrecke ich mich ständig aufs Neue.“). Entenhausen ist im Internet-Zeitalter angekommen.

Der technische Fortschritt spiegelt sich auch in den Comics wider. So berichtet zum Beispiel der „Enten-Kurier“, eine fiktive Zeitung auf der letzten Heftseite, über den „Angriff der Würmer“. Ein Computerwurm hat sich demnach ins Ducksche Computernetzwerk eingeschleust. Kein Wunder, läuft das Netzwerk doch mit „Winducks“-Betriebssystem. Auch Tick, Trick und Track besprechen ihre Streiche mittlerweile per E-Mail. Das ist zeitgemäß, für ältere Leser aber gewöhnungsbedürftig. Immerhin verwaltet Dagobert Duck seine Taler noch nicht virtuell.

Zuletzt noch ein paar Worte zum Extra. Der Shooter aus Ausgabe 11/2011 funktioniert gut, er schießt sogar weiter als die versprochenen fünf Meter. Mich freut’s, die Passanten unter meinem Balkon weniger. So ein Saugnapf auf der Pupille ist für viele eine neue Erfahrung. Plopp. Nein, ich habe mich natürlich an die Sicherheitshinweise gehalten: Nie auf Menschen und Tiere zielen, die Mündung beim Laden nicht in Richtung Gesicht halten. Immerhin steht das dabei. Für kleine Kinder ist das Extra aber definitiv nicht geeignet. Am besten direkt in die Plastiktonne damit.

Micky Maus – ein Fazit

Die Micky Maus hat sich verändert. Nicht grundsätzlich, aber mehr als ich erwartet hatte. Die Verbindung zur Website macht das Magazin interaktiver, es entwickelt sich in Richtung Kinderheft 2.0. Mir gefällt das. Noch besser fände ich es, wenn die Leser Einfluss auf den Verlauf von Geschichten nehmen könnten. So weit reicht die Interaktivität noch nicht.

Ob das dünne Heft 2,30 Euro wert ist, hängt von den Vorlieben des Käufers ab. Ich habe das Gefühl, mit diesem Preis für zu viel Mist zu bezahlen, der mich nicht interessiert. Die guten Comics sind in 20 Minuten ausgelesen, danach bleiben nur der belanglose Magazinteil und das Extra. Letzteres fand ich schon als Kind meistens überflüssig (für Gimmicks kaufte ich mir lieber YPS). Besonders regt mich auf, dass die Beilage nichts mit dem Heft zu tun hat. Oder jagt Phantomias Verbrecher neuerdings mit einem Plastik-Shooter made in China? Das wäre mir zu viel Veränderung.

Infos zum Heft

Micky Maus erscheint wöchentlich im Egmont Ehapa Verlag. Der Verlag veröffentlicht zahlreiche weitere Kinderzeitschriften, zum Beispiel „Löwenzahn“, „Spongebob Schwammkopf“ und „Benjamin Blümchen“. Weiterhin verlegt Ehapa Comics wie „Asterix“ und „Lucky Luke“. Auch das „Lustige Taschenbuch“ erscheint dort.

Jede Ausgabe der Micky Maus verkauft sich nach Daten von PZ-Online 159.944 Mal (4. Quartal 2010). Das ist der niedrigste Verkauf seit Jahrzehnten. Im vierten Quartal 2005 fand das Heft zum Beispiel noch 363.234 Käufer, im vierten Quartal 2000 502.939. Anfang 1995 verkaufte sich die Micky Maus 839.079 Mal. Die Zeitschrift erscheint seit 1951.

Ein Micky-Maus-Heft kostet 2,30 Euro. Beschrieben wurde die Ausgabe 11/2011. Sie hat 52 Seiten und einen Shooter als Extra.

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