Lesestoff fürs Leichenhaus: 80 Prozent der deutschen Bestatter erhalten monatlich die Fachzeitschrift „Bestattungskultur“. Für Laien ist das Heft über weite Strecken sterbenslangweilig.
Kirmes, Hundewelpen, Micky Maus: Von Woche zu Woche rutscht dieses Blog tiefer in die Belanglosigkeit. Zeit, gegenzusteuern und sich wieder mit existenziellen Themen zu beschäftigen. Der letzte Bericht zu einer Sexzeitschrift liegt schon etwas zurück. So habe ich diesmal ein Heft ausgegraben, in dem es zwar nicht um Leben und Tod geht, aber zumindest um eins davon.
Bestattungskultur ist das offizielle Magazin des Bundesverbandes der Deutschen Bestatter. Als Fachzeitschrift wendet es sich direkt an die Bestatter. Dieser Zielgruppe muss niemand mehr erklären, was die BEFA ist. Hier wird nur gefragt, wann jemand zum ersten Mal dort war. In vier Ressorts („Bestattungskultur“, „Bestattungsbranche“, „Verbandsleben“, „Recht und Steuern“) schreiben Profis für Profis. Jede Ausgabe hat ein Oberthema, in der Februar-Ausgabe lautet es: „Was Bestattungswagen so faszinierend macht“.
Nette Kunden über tolle Firmen
Dieses Thema ist Programm. Das Heft besteht vor allem aus Lobliedern auf diverse Leichenwagen. Ich wusste nach der Lektüre nicht, welcher Wagentyp, welcher Hersteller und welcher Händler besser oder schlechter ist als ein anderer. Unter anderem spricht ein Bielefelder Kunde eines Duisburger Wagenbauers über dessen Wagen. Und wie klingt ein zufriedener Kunde? So, als hätte er einen Werbeprospekt inhaliert. „Nicht Standard, sondern Spezialanfertigung ist die Devise der Firma“, schwärmt er. Und: „Ja, der Service funktioniert […] reibungslos und rasch, was auch daran liegt, dass ausschließlich in Deutschland produziert wird.“ Antworten, die gut ins redaktionelle Umfeld passen. Schließlich endet bereits der Interview-Vorspann mit den Worten: „Ohne wenn und aber werden die Wünsche der Kunden umgesetzt“. Piep, piep, piep, die Bestatter haben sich lieb. Keine Spur von Mord und Totschlag.
Zwischen den eher unkritischen Berichten über aktuelle Modelle thematisiert das Heft die Geschichte der Leichenwagen. Dieser historische Exkurs ist der spannendste Teil. Schon 3500 Jahre vor Christus seien Fahrzeuge zum Leichentransport verwendet worden sein, heißt es darin zum Beispiel. In manchen Kulturen sollen die Toten die Wagen sogar mit ins Grab bekommen haben, „für die standesgemäße Überfahrt ins Jenseits“. In Deutschland waren Leichenwagen umstritten. Laut dem Heft musste die Münchner Bevölkerung 1848 unter Strafandrohung gezwungen werden, Leichenkutschen zu benutzen. Sie hing an ihren Trauerzügen zu Fuß.
„Möchten Sie etwas ergänzen?“
Außer mit Berichten ist das Heft vollgepackt mit Interviews. Ihnen fehlt oft jegliche Dramaturgie. Kurz vor Schluss wird der Gesprächspartner schon mal gefragt: „Möchten Sie etwas ergänzen, was Ihnen wichtig ist?“. Warum nicht gleich „Wollen Sie noch jemand grüßen?“. In einem anderen Interview erzählt ein 80-jähriger Bestattungswagenbauer 21 Zeilen lang von seinem Lehrvertrag, der ihm einst zwei Liter Bier täglich garantiert habe („Bier ist in Bayern Grundnahrungsmittel und gerade bei der staubigen Luft in einer Stellmacherwerkstatt fast schon lebenswichtig“). Dann hat er sich lang genug an seinen Erinnerungen berauscht: „Jetzt zu Ihrer Frage“. Ein Krampf.
Ein drittes Interview kommt ohne den vollen Namen des Gesprächspartners aus. Wer um Himmels willen ist dieser „Herr Schmidt“, der davon erzählt, dass bei der Entscheidung für einen Leichenwagen der „Bauch- und Nasenfaktor“ ausschlaggebend ist? Gut, Bestatter wissen wohl, dass es sich weder um Harald noch Helmut handelt, sondern um den Geschäftsführer von „Kuhlmann Cars“, Udo Schmidt. Aber ein, zwei Informationen zu diesem Herrn wären schon nett. Hier kann das Heft von BILD lernen: Die druckt selbst beim Papst in Klammern das Alter dazu.
Falls es an Platz mangelte, hätte man die Einstiegsfrage des Interviews streichen können: „Herr Schmidt, was hat Sie dazu veranlasst, philosophische Zitate wie ´Die Zukunft sollte man nicht vorhersagen wollen, sondern möglich machen´ auf Ihrer Homepage zu verwenden?“ Antwort: „Die Zitate sind unser Motto.“ Welche Antwort hatte die Interviewerin erwartet? Vielleicht „Ist mir betrunken beim Copy & Paste reingerutscht“? Oder „Ach, wissen Sie, ein bisschen Philosophie schadet nie“? Herr Schmidt hätte sich höchstens noch darüber beschweren können, dass das Zitat (von Antoine de Saint-Exupéry) falsch übernommen wurde. Auf der Homepage steht „vorhersehen“ und nicht „vorhersagen“.
Studienreise ins Wodkamuseum
Aber genug philosophiert. Im Alltag der Bestatter gibt es wichtigere Dinge als ungenaue Zitate. Die Sorgen und Wünsche der Verbandsmitglieder werden am Rande einiger Berichte und im Ressort „Verbandsleben“ aufgegriffen. Mehrere Bestatter wünschen sich zum Beispiel ein Blaulicht für ihre Wagen. Auch Knöllchen am Leichenwagen sorgen für Aufregung, genau wie die Frage nach Bestattungen ohne Sarg. Sie spaltet derzeit so manchen Bestatter-Stammtisch.
Den vielen Freizeitangeboten nach zu urteilen, sind die Bestatter eine unternehmungslustige Berufsgruppe. So gibt es zum Beispiel ein ADAC-Sicherheitstraining speziell für Leichenwagen sowie Golfturniere und Bikertreffen. Eine neuntägige Studienreise nach Russland führt die Bestatter vom Roten Platz zu den Moskauer Promi-Friedhöfen. Sie endet mit einem Besuch im Wodkamuseum. Motto: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Aber auch das darf nicht zu kurz kommen. Denn wer weiß besser als die Bestatter, wie schnell es vorbei sein kann? So kommt auch ihr Verbandsmagazin nicht ohne zwei Todesanzeigen aus.
Apropos Vergnügen: Der Bestattungskultur, immerhin 76 Seiten stark, würden definitiv einige Kurznachrichten gut tun. Fast jedes Thema wird auf eine oder mehrere Heftseiten aufgeblasen. So ist oft schnell die Luft raus. Sprachlich endet das meist in einer Mischung aus Technikvokabeln, Werbesprüchen und Behördendeutsch. Gibt es eigentlich eine DIN-Norm, die vorschreibt, dass sich ein Verbandsheft immer so mühsam wie ein Verbandsheft lesen muss?
Doppelt hält nicht besser
An einigen Stellen hat der Leser zudem das Gefühl, mehrmals das Gleiche erzählt zu bekommen. Und dieses Gefühl täuscht nicht: Das Gerichtsurteil, dass ein Leichenwagen als privater Dienstwagen unzumutbar ist, steht gleich zweimal im Heft. Eine Formulierung wie „Wir hatten ein Fahrzeug gesucht, das positiv ins Auge fällt“ wiederholt sich manchmal schon vier Zeilen weiter: „Ein Bestattungswagen soll den Menschen positiv ins Auge fallen.“ Doppelt hält nicht besser, doppelt nervt.
Unterhaltsamer als viele Artikel sind für den Laien die Anzeigen. In der Bestattungskultur wird für fast alle Bestattungsformen und -orte geworben: vom Wald („Unter allen Wipfeln ist ruh‘. Waldbestattung im Ruheforst.“) bis zum Meer („MS Forelle – Seebestattungsfahrten“). Interessant sind auch eine Geschäfts-Software namens „Funeral Office“ (speichert sie Dateien im .tot-Format?) und das „Dictionary für Funeral Services“. Mit diesem Wörterbuch finden Bestatter selbst auf Ukrainisch passende letzte Worte.
Mehr Leichenwagen als Menschen
Optisch macht die Bestattungskultur wenig Spaß. Das Layout des Hefts ist zwar schlicht und seriös, wie schon das Schlagzeilen-freie Cover klarmacht. Doch beim Durchblättern wirkt die Zeitschrift absolut unpersönlich. In der Februar-Ausgabe werden fast doppelt so viele Leichenwagen abgebildet wie Menschen. So schlimm sehen Deutschlands Bestatter auch nicht aus. Ein Artikel über das 100-jährige Jubiläum eines Bestattungsinstituts wird etwa mit einer Außenaufnahme des Betriebs bebildert. Wie wäre es mit ein paar Fotos aus der Historie? Mit einem Porträt des aktuellen Besitzers? Verschenktes Potenzial.
Enttäuscht wird, wer im Heft schwarzen Humor wie im Bestatter-Weblog erwartet. Es findet sich lediglich ein Bestatterwitz: „Mark Twain gab zu bedenken. Man kann viele Beispiele für unsinnige Ausgaben nennen, aber keins ist treffender als die Errichtung einer Friedhofsmauer. Die drinnen sind, können nicht heraus, und die, die draußen sind, wollen nicht hinein.“ So manches kleine Bestattungsunternehmen hat bessere Witze auf seiner Homepage. Etwa diesen.
Bestattungskultur – ein Fazit
Es fällt mir schwer, die passenden letzten Worte für dieses Heft zu finden. Was sage ich zu einer Zeitschrift, zu deren Zielgruppe ich nicht gehöre, und die ich wohl nie wieder lesen werde? Ich sollte nicht darüber schimpfen, dass das Heft über weite Strecken sterbenslangweilig ist. Darüber, dass viele Texte nur aus Schwärmereien bestehen. Oder darüber, dass dieses Heft unpersönlicher wirkt als ein Anonymbestattung.
Nein, ich will zurückdenken an die schönen Augenblicke, die mir die Bestattungskultur beschert hat. An die Momente, in denen ich gelacht habe. An die Momente, in denen ich geweint habe. An skurrile Situationen, wie sie sonst nirgendwo vorkommen. An Nate, an David, an Claire. Es war eine schöne Zeit. Danke, Bestattungs… (Oh, jetzt habe ich das Heft mit der tollen Bestatter-Serie „Six Feet Under“ verwechselt. Naja, die Angehörigen haben das in ihrer Trauer bestimmt nicht gemerkt) …kultur! Erscheine weiter in Frieden!
Infos zum Heft
Bestattungskultur erscheint im Fachverlag des deutschen Bestattungsgewerbes. Das Heft ist das offizielle Magazin des Bundesverbandes Deutscher Bestatter (BDB). Jedes Verbandsmitglied – nach Angaben des BDBs zählen dazu rund 80 Prozent der deutschen Bestattungsunternehmer – bekommt monatlich ein Exemplar kostenlos zugeschickt. Wer mehr als ein Heft will, zahlt für ein weiteres Jahresabo 80 Euro.
Neben Fachbüchern veröffentlicht der Verlag die Zeitschrift „Trauerkultur“, die sich an die Kunden der Bestatter richtet. Es geht darin unter anderem um Bestattungsvorsorge, Bestattungskosten und den Umgang mit Schuldgefühlen.
Nach Verlagsangaben erscheint Bestattungskultur in einer Auflage von 3600 Exemplaren. Jede Ausgabe hat einen Themenschwerpunkt, zum Beispiel „Skurriles aus der Branche“ (2/2010), „Der Tod in der Popmusik“ (4/2010) oder „Was Intranet und Internet leisten“ (1/2011). Gleichzeitig hat jedes Heft einen Werbeschwerpunkt. Bei der hier vorgestellten Ausgabe heißt dieser: „Gut bewegt – vom Leichenwagen bis zur Luxuslimousine“.
Die Zeitschrift gibt es seit 1949. Beschrieben wurde die Ausgabe 2/2011. Sie hat 76 Seiten.