Welcher Klee verursacht Kaninchen-Flatulenzen? Wer schnauft im Kompost? Und wie passen 24 Zitzen auf einen Mäusebauch? Zumindest zwei dieser bewegenden Fragen beantwortet das Tiermagazin „Rodentia – Nager & Co“.
Ein kleines Kaninchen-Trauma hat noch keinem geschadet. So bereue ich es nicht, schon in jungen Jahren, vermutlich aus Versehen, „Unten am Fluss“ gesehen zu haben, einen der besten, aber auch krassesten Tierfilme. Was dank Zeichentrick zunächst harmlos aussieht, entpuppt sich stellenweise als verkappter Splattermovie, in dem sich die Kaninchen gegenseitig zerfetzen. Mich als Streichelzoo-Gänger hat das seinerzeit ziemlich schockiert. Immerhin begriff ich dank „Unten am Fluss“, warum die Kaninchen aus „Als die Tiere den Wald verließen“ ständig in Panik gerieten – sie mussten diesen Film kennen.
Es war also ein Gemisch aus Neugier und Nostalgie, das mich bewog, ausgerechnet ein „Kleinsäuger-Fachmagazin“ zu kaufen. Hinzu kam das Titelbild von „Rodentia – Nager & Co“, das zwischen Mode- und Computerzeitschriften hervorstach. Eine Ratte sieht man in Zeitschriftenläden sonst höchstens hinter dem, nicht aber im Regal. Mich faszinierte ihr Anblick, die Unberechenbarkeit, die sie ausstrahlt. Wird sie gleich den Fotografen angreifen oder ängstlich auf den Kölner Stadt-Anzeiger pieseln? Ich habe keine Ahnung. Und während ich darüber nachdachte, war ich plötzlich 5,50 Euro ärmer.
Neues aus der Nagerwelt
Nager & Co startet mit einigen Meldungen, etwa „Kleinsäuger als Radaubrüder“. Dieser Text berichtet von Bewohnern der Kleinstadt Soltau, die die Polizei riefen, weil sie aus einem Garten „verdächtige Schnaufgeräusche“ gehört hatten. Uiui. Die Beamten fanden schließlich heraus, dass sich ein Igel in einem Komposthaufen versteckte (nicht etwa ein erkälteter Massenmörder). Später („Kaum war hier Entwarnung gegeben“) mussten die Polizisten dann erneut ausrücken, wegen „verdächtiger Klopfgeräusche“. Und wieder war es ein Igel. Ungeheuerlich. Und fast so bewegend wie die nächste Nachricht: „Meerschweinchen ausgesetzt und qualvoll verendet.“ In Heppenheim.
Abgesehen von Rubriken wie Kleinanzeigen und einem Stammtisch-Kalender besteht das Heft vor allem aus Ratgebergeschichten. Der Leser erfährt zum Beispiel, welchen Grund es haben kann, dass ein Chinchilla dem anderen auf den Rücken sabbert (Zahnprobleme), welche Pflanzen Kaninchen-Flatulenzen auslösen (Rot- und Weißklee) und wie viele Farbmäuse binnen Jahresfrist aus einem Pärchen werden können (angeblich 100.000). Immer wieder konfrontierten mich die Texte aus Nager & Co auch mit dem knallharten Tierhalter-Alltag, etwa mit Rennmaus-Kannibalismus und einer schwangeren Frettchenmutter, die nicht merkt, dass ein Welpe schon aus ihr rausschaut.
Stirbt Flausch oder stirbt er nicht?
Der Schwerpunkt der Herbst-Ausgabe ist den Wildratten gewidmet. Auf zehn Seiten werden so ziemlich alle Fragen beantwortet, die potenzielle Rattenfänger haben könnten: Darf man sie einfach so mit nach Hause nehmen? Wie zähmt man sie? Welche Krankheiten haben sie eventuell im Angebot? Massentauglicher als dieser Ratten-FAQ dürfte die Tier-Kurzgeschichte sein, in der eine Familie ein einsames Wildhäschen gesundpflegen will. Ob das gelingt, bleibt unklar. Der Text endet mit der bangen Frage, ob „Flausch“ die nächste Nacht überlebt: „Heute können wir nichts mehr tun…“ Fortsetzung folgt. Der wohl fieseste Cliffhanger, seit es Häschengeschichten gibt.
Leider bleiben in Nager & Co noch mehr Fragen offen als das Überleben Flauschs. Etwa die, wie die Südliche Vielzitzenmaus gleich 24 Zitzen auf ihren Bauch unterbringt. Mit denen ernährt sie laut Heft ihre bis zu 20 Jungen, die sie im Monatstakt wirft. Gezeigt werden in Nager & Co allerdings nur drei Vorder- und Seitansichten des Tiers. Darauf sieht es – genau wie auf dem Poster in der Heftmitte – wie eine normale Maus aus. Wieso mutet mir die Zeitschrift einige Seiten weiter einen Mäusetumor zu, weigert sich aber, diese namensgebende Zitzenarmada bildlich zu dokumentieren?
Gesucht: spannende Inhalte
Während ich eine Beschwerdemöglichkeit suchte mir die Heft-Website ansah, stieß ich auf weitere Dinge, die das Magazin bieten sollte, dem Leser in Wirklichkeit aber vorenthält. Oder gibt es in Nager & Co. irgendeine Spur von „Reiseberichten aus den Ursprungsgebieten“? Nein. „Wildlife-Reportagen“? Nein. „Interviews“? Nein. „Comedy?“ Dass ich nicht lache. Auch die „umfangreiche, brillant bebilderte Fotoreportage“ muss ich übersehen haben. Möglicherweise spielt der Verlag auf die weißen Mäuse an, die sich dank roter Augen auf einigen Fotos in kleine Monster verwandeln.
Das Layout erweckt den Eindruck, die Gestalter von BNA Germany hätten sich auch bei Nager & Co ausgetobt. So haben auch die Überschriften dieses Hefts einen Ehrenplatz im WordArts-Gedenkmuseum verdient. Mit viel zu vielen Farben und seltsam schattierten Wörtern im Seitenhintergrund sieht Nager & Co selbst für ein Hobbymagazin zu sehr nach Hobby aus. Immerhin ist der Großteil der Fotos passabel. Es wäre wohl auch die größere Leistung, Zwerghamster-Babys so zu fotografieren, dass sie hässlich aussehen.
Autoren in höchster Verlegenheit
Überwiegend anstrengend ist der Stil von Nager & Co. Der durchschnittliche Text hat mich sprachlich ungefähr so sehr in seinen Bann gezogen, wie es ein Soltauer Igel tun würde, der gerade Winterschlaf hält. In einem umgefallenen Reissack. So lesen sich einige Artikel des Heftes wie Schulaufsätze (Pro & Contra „Wildratten in Menschenhand“), andere wie der über Meerschweinchen-Farbschläge scheinen dagegen so stark auf Züchter zu zielen, dass sie mich mit ihren Fachwörtern verschrecken.
Am meisten nerven mich an Nager & Co. allerdings die Verlegenheitsanführungszeichen, wenn ein Autor zum Beispiel Meerschweinchen als „Turbo-Geschosse“ bezeichnet, es sich aber doch nicht traut. Und auch die Überschrift „Meer Schwein“ wird durch die Anführung nicht origineller. Aber ich will ja nicht – wie sagt es das Heft so unschön – „klugscheißern“.
Daher noch ein ernstgemeinter Tipp: Liebe Heftmacher, wenn in eurem Magazin schon fast alle Autoren in der Ich-Form schreiben, dann packt doch einen „Infos zum Autor“-Kasten zu jedem Text. Ich würde gern mehr als den Namen desjenigen wissen, der da hochsubjektiv aus dem Nager-Nähkästchen plaudert.
Nager & Co – ein Fazit
Ich will ehrlich sein: Fachlich kann ich Nager & Co beim besten Willen nicht beurteilen. Ob zum Beispiel Rotklee wirklich zu mehr Kaninchenpupsen führt, darüber sollen sich die Experten streiten. Doch zumindest hinsichtlich Mischung, Sprache und Gestaltung hat mich das Heft enttäuscht. Meiner Meinung nach fehlt dem Nagermagazin der Biss. Dafür, dass das Magazin von lebendigen Tieren handelt, liest es sich viel zu trocken. Glücklich wird mit der Zeitschrift daher vermutlich nur, wer mehrere der Kleinsäuger besitzt. Ihm bietet sie recht ausführliche Ratgeberstücke.
Zum Schluss noch ein Wort zu „Unten am Fluss“, bevor jemand seine Kleinkinder vor den Bildschirm setzt: Wenn ich ehrlich bin, hat mich der Killerkaninchen-Film wohl nachhaltiger verstört, als ich es zugeben will. Auf meinem Balkon lebte später einige Jahre lang das Kaninchen meiner Schwester. Ich kann mich nicht daran erinnern, das Tier einmal auf dem Arm gehabt zu haben. Es hätte mich ja zerfetzen können.
Infos zum Heft
Rodentia – Nager & Co erscheint im Natur und Tier – Verlag, der zumindest bei Markennamen eigenwillig mit Bindestrichen umgeht. Die Zeitschrift Rodentia (was übrigens das lateinische Wort für Nagetiere ist) kommt vier Mal jährlich als Rodentia – Nager & Co auf den Markt und zweimal jährlich als Rodentia – Exoten. In letzterer Variante geht es unter anderem um Beuteltiere und Stachelschweine.
Der Verlag veröffentlicht weitere Tierfachzeitschriften wie Reptilia, Koralle und Zoon. Laut Verlagsauskunft werden von Nager & Co jeweils 6500 Exemplare gedruckt. Das Heft erschien den Angaben der Verlagsgeschichte zufolge erstmals 2001.
Beschrieben wurde die Ausgabe Nr. 63 aus dem September/Oktober 2011. Sie hat 66 Seiten und kostet 5,50 Euro.