Irgendwo da draußen existiert sie, die deutsche Countryszene. Die „Western Mail“ ist ihr Selbstvergewisserungsorgan. ‚Ja, es gibt uns noch‘, lautet die Botschaft an die Popwelt. Es empfiehlt sich, das Heft unaufmerksam zu lesen.
Musikalisch war meine Jugend eine einzige Sünde. Meine erste selbstgekaufte Single – Aaron Carters „Crush on you“ – mag man mir verzeihen, schließlich war ich so jung wie der Sänger. Doch die folgenden Jahre bringen mich in Erklärungsnot. Man kann sich als Pubertierender einmal auf ein Scooter-Konzert verlaufen. Aber dreimal? Warum stand in meinem CD-Regal kein Album von Nirvana oder Oasis, sondern „How much is the fish?„? Hätten mir meine Eltern statt des Rauchens nicht den Kirmestechno verbieten können?
Nun ist es zu spät, sich zu schämen. Aber meine Vergangenheit hat auch etwas Gutes: Dank ihr kann ich heute sogar Schlager- und Reggae-Zeitschriften lesen, ohne dass sich meine Freunde wundern. Sie sehen das als Teil meiner musikalischen Resozialisierung. Mein neuester Therapieschritt ist die Lektüre der „Western Mail“, einer „Fachzeitschrift für Country- und Western Kultur“. Ein spannend klingendes Blatt, für gerade mal 2,50 Euro.
Keine Spur vom Wilden Westen
Leider braucht es nur ein Durchblättern bis zur ersten Enttäuschung: Für eine Western-Zeitschrift präsentiert sich die Western Mail extrem bieder. Der aufregendste Inhalt ist ein Bild Winnetous mit seiner Silberbüchse. Keine Spur vom Wilden Westen, von Kutschen, Galgen oder hübschen Bardamen. Stattdessen ist das Heft ein Countrymusik-Servicemagazin, vollgestopft mit Konzerttipps, Charts und CD-Besprechungen.
Ihre „Country Music Kompetenz“, visualisiert durch einen Stern auf dem Cover, versteckt die Zeitschrift streckenweise recht gut. Ich muss sie oft überlesen haben. Womöglich manifestiert sie sich aber auch in alles- und dadurch nichtssagenden Urteilen wie diesem: „Seine Lieder sind kreativ und eigenständig, lebendig, erfüllt von Humor, Ironie, Intelligenz und gebrochenen Herzen mit Wahrheit und Schönheit.“ Oder in den Adjektiven „ehrlich“, „traditionell“ und „modern“, mit denen viele Alben beschrieben werden.
Aufmerksames Lesen wird bestraft
Durch das häufige Erwähnen von Events wie Fernsehübertragungen und Fantreffen wirkt die Western Mail wie ein Selbstvergewisserungsorgan für Countryfans. Ein Heft mit der Botschaft ‚Ja Leute, unsere Szene existiert noch‘ – im US-amerikanischen Nashville, dem Zentrum der Countrymusik, aber auch auf dem deutschen Dorf. Selbst für Orte wie Wunstorf-Mesmerode und Heiligenberg-Hattenweiler gibt es in der Western Mail Ausgehtipps. Doch genauso denkt die Redaktion in größeren Dimensionen: Das Editorial endet mit den Worten „Global Peace trough Country Music“.
Frustriert hat mich an der November-Ausgabe, dass sie aufmerksames Lesen bestraft – mit Wiederholungen. So erfuhr ich im 32-seitigen Heft zwei Mal, dass 3Sat die Sendung „Country Roads“ einstellen will. Auch die Meldung, dass der „Westernreiten 2012“-Kalender erschienen ist, fand die Redaktion wohl so bahnbrechend, dass sie diese doppelt abgedruckt hat – wortgleich als Neuigkeit und Buchtipp. Und dass bald die Country Music Messe stattfindet, wird mir mit vier Anzeigen eingehämmert, hinzu kommt eine Meldung.
Bleiwüsten und Phrasen
In diesem Kontext wirkt es besänftigend, wenn sich Informationen nur innerhalb eines Textes wiederholen, in Satzfolgen wie dieser: „Mit großer Zuneigung […] fragte Mama Jewell ihren Sohn Buddy, ob er nicht einige ihrer Lieblingsgospelsongs aufnehmen könnte. ‚Meine Mutter Eva hat mich immer mal wieder gefragt, ob ich nicht einige Gospels für sie aufnehmen könnte‘, sagt Buddy“. Bei Coverstar Buddy Jewell setzen sich die Wiederholungen sogar optisch fort: Auf allen drei Fotos im Heft schaut er exakt gleich (hier der Fotobeweis).
Von der Gestaltung her erinnert die Western Mail an einen Saloon: Sie ist nicht schick oder originell, aber man findet sich zurecht. Entspannen konnte ich beim Lesen trotzdem selten. Die Spalten sind oft zu breit und einigen Artikeln hätten zusätzliche Absätze gut getan. Zwischenfazit: Liebe Western Mail, das Anlegen von Bleiwüsten ist vermutlich die schlechteste Möglichkeit, um Western-Assoziationen zu wecken.
Lieber Karl May lesen
Sprachlich ist das Heft erträglich, abgesehen von den aus Nager & Co bekannten Verlegenheitsanführungszeichen („live“ spielen; im „Scheinwerferlicht“ stehen) und manchen Phrasen („getanzt, was das Zeug hält“). Im Zweifel würde ich jedoch lieber Karl May lesen. Dort wird zumindest nicht so optisch störend gegendert: „Also, es war für jeden/jede etwas dabei“.
Obwohl ich die Western Mail schon als Servicemagazin bezeichnet habe: An vielen Stellen des Hefts hätte ich mir noch mehr Service erwartet. Mir ist es zum Beispiel zu wenig, wenn man eine Tanzchoreographie in Textform abdruckt, ich hätte mir einige Grafiken zur Schrittfolge gewünscht. Für die etwas taktloseren Leser wie mich. Und wenn die Western Mail über Country-CDs aus Australien berichtet, dann fände ich es nett, wenn sie die Preise von Australischen Dollars in Euro umrechnet.
Western Mail – ein Fazit
Die Western Mail ist eine Zeitschrift, die mir nur beim oberflächlichen Lesen gefiel. Je mehr ich mich auf den Inhalt konzentrierte, umso mehr begannen mich Kleinigkeiten zu nerven: von den doppelten Meldungen bis zu den unnötigen Anführungszeichen. Am praktischsten erscheint es mir daher, das Heft einfach als Country-Terminkalender zu verstehen – und die Texte als Bonusmaterial. Dann macht die Western Mail ihre Sache gut. Und gibt dem Countryfan immer noch die Gewissheit, dass er nicht allein ist mit seiner Leidenschaft.
Zur Countrymusik konnte mich das Heft übrigens nicht bekehren. Und es kam noch schlimmer. Als ich in einem unkontrollierten Moment nach ‚Country‘ und ‚Scooter‘ googelte, stieß ich auf etwas, was meine aktuelle Lektüre und die Vergangenheit eindrucksvoll verband: eine Countryversion von „How much is the fish?“, gesungen von der Frontfrau von Mr. President. Danach musste ich zur Beruhigung erstmal Oasis hören.
Infos zum Heft
Western Mail erscheint elf Mal jährlich im Ber Verlag, der meiner Recherche nach keine weiteren Zeitschriften veröffentlicht. Die Druckauflage des Hefts liegt laut Impressum bei 16.500 Exemplaren. Western Mail erscheint seit 1987. Erhältlich ist das Heft im Bahnhofsbuchhandel und auf Flughäfen.
Beschrieben wurde die Ausgabe 11/2011. Sie hat 32 Seiten und kostet 2,50 Euro.