Achtung, Dauerwerbezeitschrift: Das Magazin zu „Germany’s Next Topmodel“ berichtet gefühlt mehr über Lippenstifte und Glätteisen als über Models. Beim Casting dürfte das Heft scheitern. Zu dünn, zu teuer, zu wenig Profil.
Dass ich das mal behaupten darf: Nein, ich schaue kein ProSieben, ich gucke lieber Arte. Zumindest donnerstags. Wenn Germany’s Next Topmodel läuft, zeigt Arte nämlich die großartige dänische Politikserie Gefährliche Seilschaften. Deren Intrigen sind aufregender als das Gezicke Minder- bis gerade Volljähriger. Und optisch verpasse ich weniger, als man denkt. Immerhin recherchiert zwischen den Seilschaften Reporterin Katrine.
Doch auch Heidi Klums Mädchenzirkus buhlt um meine Aufmerksamkeit. Im Fernsehen, im Internet, sogar auf Papier – in Form von Germany’s Next Topmodel, dem offiziellen Magazin, das mir neulich in den Einkaufswagen fiel. „Alle Highlights aus 6 Staffeln“ verspricht die aktuelle Ausgabe, dazu etwas über die „50+1“ neuen Kandidatinnen, „exklusive Model-Tipps von Topmodel Sara Nuru“ und vieles mehr. Was kann da schiefgehen?
108.362 Versuche, 15 Karrieren
Jede Menge geht schief. Praktisch alles, was auf dem Titel nett klingt, wirkt im Heft ernüchternd. Die Staffelhighlights bestehen aus einer 18-seitigen Fotocollage. Die Tipps von Frau Nuru klingen beispielsweise so: „Schlaft so viel wie möglich und am besten schon vor 23 Uhr ins Bett gehen.“ Und von Heidi Klum – immerhin Covergirl und Show-Aushängeschild – habe ich im gesamten Heft kein Zitat gefunden. Dabei posiert sie auf dem Editorial-Foto neben der Redaktionsleiterin. Hätte die Dame Frau Klum nicht irgendetwas Spannendes fragen können? Und mit den neuen Kandidatinnen mehr machen, als ihre Fotos auf ein Poster zu klatschen?
Das Titelthema „Was wurde aus den Models aller 6 Staffeln?“ präsentiert sich als Karrierecheck 15 ehemaliger Kandidatinnen. Ein Erfolgsbarometer zeigt, wie gut sie im Showgeschäft unterwegs sind, Sara Nuru und Lena Gercke etwa kommen auf 100 Prozent Erfolg. Auch Rebecca Mir hat Tolles geleistet, wie ein kurzer Text verrät. Unter anderem: „Im Sommer 2011 berichtete sie als Backstage-Reporterin von dem Reality-Format ‚Die Alm'“. 90 Prozent. Was aus den übrigen 108.347 Bewerberinnen wurde, bleibt offen.
Literweise Modeltränen, genau gezählt
Die exakte Bewerberzahl kenne ich von den „Zahlen zum Staunen“. Diese Doppelseite vereint öde Informationen (Wie viele Topmodel-Folgen liefen im TV? Welche Haarfarbe hatten die Finalistinnen?) mit halbwegs interessanten (405 Dosen Haarspray wurden in der sechsten Staffel versprüht). Gefragt habe ich mich beim Lesen allerdings, woher das Heft weiß, dass in den bisherigen Staffeln 6,3 Liter Tränen vergossen wurden. Hockt da immer ein ProSieben-Praktikant mit dem Messbecher daneben?
Ebenso unklar ist mir, warum Germany’s Next Topmodel von manchem netten Foto abgesehen kaum über die Models berichtet. Es gibt kein Interview mit einer ehemaligen Kandidatin oder mit jemandem aus der Jury. Es gibt kein Porträt, das über die Karrierechecks hinausgeht. Es gibt keine Reportage vom Casting der neuen Staffel (deren Teilnehmerinnen ja bereits feststehen). So besitzt das Heft zwar die offizielle Germany’s-Next-Topmodel-Lizenz, liefert aber eigentlich nur Inhalte, die auch in BILD oder einem Klatschmagazin stehen könnten. Diesem Heft fehlt jedes eigene Profil.
Gutscheine für Fitnessstudio und Diätcoach
Aufgebraucht hat die Redaktion ihre Kreativität vermutlich bei den Produktempfehlungen. Sie prägen die hintere Hälfte des Hefts. Ich habe insgesamt 167 Produkte gezählt, die in Germany’s Next Topmodel präsentiert werden, von Lippenstiften über Glätteisen bis hin zu Stiefeln, Hörbüchern und Kopfhörern. Hinzu kommen 16 Gutscheine, etwa fürs Fitnessstudio und einen Online-Diätcoach, sowie einige Verlosungen. Plus die reguläre Heftwerbung. Ich möchte mich nicht festlegen, um was es in diesem Magazin eigentlich geht. Sind die Models die Stars oder doch die Produkte?
Die Rechtfertigungen, warum bestimmte Artikel im Heft vorgestellt werden, empfand ich teilweise als irrwitzig. „Models sind immer unterwegs und reisen“, steht über einer Doppelseite mit tragbaren Spielekonsolen und Handys. Also stellt die Zeitschrift „die coolsten tragbaren Begleiter vor, die in keinem Handgepäck fehlen dürfen“ – weil sie Stars helfen, sich die Zeit auf langen Flügen zu vertreiben. Ah ja. Nach einer ähnlichen Logik könnte Germany’s Next Topmodel Toilettenpapier präsentieren. Angeblich müssen auch Models ab und zu aufs Klo.
So viele Synergieeffekte, dass es nervt
Genervt haben mich im Heft die ständigen Verweise auf andere Zeitschriften des Jahreszeiten-Verlags. Die Petra-Chefredakteurin bewertet die Outfits sieben ehemaliger Teilnehmerinnen. Die Chefredakteurin von Vital stellt Fitnesstrends vor. Die Prinz-Redaktion kennt die coolsten Hotels an vier Traumorten. Dreimal wird auf ein Produkttestportal von Prinz verwiesen. Und es gibt noch drei ganzseitige Anzeigen für Prinz- und Petra-Publikationen. Liebe Jahreszeiten-Blattmacher, Synergieeffekte in allen Ehren: Aber meint ihr nicht, hier übertreibt ihr ein wenig?
Dabei hat die Topmodel-Redaktion Potenzial. Zumindest vom Layout und vom Sprachstil her lässt sich gegen das Heft kaum etwas einwenden. Irritiert hat mich lediglich, dass die Bildunterschriften meistens in der Vergangenheit geschrieben wurden („Christina passte gut auf ihre Modelmappe auf“) – das widersprach meinen Lesegewohnheiten. Interessant fand ich das Model-Bild, das einer der Gutschein-Partner vermittelt. Der Hörbuch-Onlineshop wirbt mit dem Spruch: „Schon mal ein Model mit einem Buch gesehen?“
Germany’s Next Topmodel – ein Fazit
Selten habe ich ein Magazin gelesen, das so alibihaft mit Inhalt gefüllt war wie Germany’s Next Topmodel. Wo sind die exklusiven Geschichten, die eine offizielle Zeitschrift erzählen könnte? Statt Einblicke hinter die Kulissen liefert das Heft jede Menge irrwitzige Produktempfehlungen und nervige Verweise auf andere Zeitschriften. Immerhin erinnert Germany’s Next Topmodel so indirekt an die Fernsehsendung: Wer sich nur deren Werbepausen anschaut, dürfte sich ähnlich langweilen wie ich bei der Lektüre dieses Hefts. Lange Beine allein reichen dann doch nicht.
Werbung gibt es bei den „Gefährlichen Seilschaften“ übrigens keine. Und, unter uns: Ein wenig von den Topmodels bekommen auch Arte-Zuschauer mit. Die Show auf ProSieben läuft eine Viertelstunde länger.
Infos zum Heft
Germany’s Next Topmodel, das offizielle Magazin zur ProSieben-Sendung, erscheint im Jahreszeiten Verlag. Dieser veröffentlicht ansonsten unter anderem das Stadtmagazin Prinz, die Frauenzeitschrift Petra und das Wellness-Magazin Vital.
Erstmals erschienen ist Germany’s Next Topmodel im April 2010. Nach Auskunft des Verlags kommt das Heft in einer Auflage von 250.000 Exemplaren auf den Markt.
Beschrieben wurde die Ausgabe März/April 2012. Sie hat 72 Seiten und kostet 3,80 Euro.