Entdeckt (30): Matrix3000 Zeitzone 2012 – Ohne Gewähr

Mehr Katastrophen und Kinder, die mit den Füßen Zeitung lesen? Auf 68 Seiten analysiert das Magazin „Zeitzone 2012“ die Zukunft der Menschheit. Alle Prognosen sind ohne Gewähr – und eine Qual für den Leser.

Covermatrixzeitzone

Meistens merke ich schnell, dass ich die falsche Zeitschrift am falschen Ort lese. Zum Beispiel, wenn man mich im Duz-Dorado McFit plötzlich siezt, weil ich zwischen den Übungen durchs Time Magazine blättere. Oder wenn mir mein Bahnsitznachbar solange wortlos zusieht, bis ich nervös werde und darauf verzichte, amüsante Textpassagen aus der Männerzeitschrift Coupé zu umkringeln. Auch in meinem jüngsten Urlaub hatte ich ein Heft dabei, für dessen Lektüre ich mich schämte, Blog hin oder her: Zeitzone 2012.

Oft versteckte ich das Heft in meinem Rucksack, einmal auch unter der Poolliege, mit dem Titelbild nach unten. Denn Zeitzone 2012 wirkt auf den ersten Blick ungefähr so seriös wie UFOs & Kornkreise. Das Magazin ist ein Sonderheft von Matrix3000, dem selbsternannten „Magazin für neues Denken“, dessen inhaltliche Ausrichtung Schlagzeilen wie „Putin droht mit ‚Zombie-Waffen'“ und „Katzenschnurren macht gesund“ dokumentieren.

Horrorszenarien und Verschwörungstheorien

Immerhin beschäftigt sich das Sonderheft mit existenzielleren Dingen als medizinisch verwertbaren Miezen. Es geht um die Zukunft des Planeten, um „2012 und danach“, um Fragen wie: Brechen bald Supervulkane aus? Droht eine Kältewelle? Hatten die Maya recht und womit eigentlich? Auf immerhin 68 Seiten dürfen sich laut der Autorenbeschreibungen spirituelle Heiler, Beststellerautoren und Mathematiker an derartigen Fragen abarbeiten. Der Reihe nach, in der Regel ohne Bezüge aufeinander. Heraus kommt ein Mix aus Horrorszenarien, Weltgeschichte und Verschwörungstheorien. Ein endslangweiliger Mix.

Nach jeder Menge Geschwafel erschöpfen sich die meisten Texte in Fazits wie „Die Jahre 2011 und 2012 markieren den Wendepunkt eines langen Transformationsprozesses. Das Alte wird von nun an weichen, um einer neuen, wahrhaft humanen Gesellschaft Raum zu geben. Wie dieser Prozess verläuft, liegt in der Hand eines jeden von uns.“ Aha. Derartige Texte bekäme wohl auch ein Autorteam zusammen, das aus einem beschwipsten Esoteriker besteht, einem Forscher, der aus Prinzip das Gegenteil behauptet, sowie einem Verkäufer von Gebrauchtwaren, der seinen Umsatz ankurbeln will.

Wir, die Menschheit

Letzterer hätte zum Beispiel die Checkliste schreiben können, die verrät, welche Gegenstände in Krisenzeiten wichtig sind: eine Axt etwa, ein Radio und ein Frequenzgerät, das Hunderte von Heilfrequenzen enthält. Wie praktisch, dass der Matrix3000-Leserservice eine Seite weiter einen „Analyse- und Frequenzgenerator“ anbietet (4.680 Euro). Doch so obskur mir die Liste bisweilen vorkam: Sie war der einzige von zwölf längeren Artikeln, den ich in einem Rutsch durchlesen konnte. Halbwegs spannendes Thema, halbwegs kreativ aufbereitet. Ein Genuss in einem Heft, das auf kleinteilige Elemente weitgehend verzichtet.

Ob und in wie fern die Texte über eine drohende Kältewelle, den Mayakalender und Palmblattmanuskripte inhaltlich Schwachsinn sind, weiß ich nicht. Nach wenigen Absätzen verlies mich jeweils die Kraft weiterzulesen. Textbrei, angereichert mit Jahreszahlen und Verweisen auf seltsame Bücher, ertrage ich nur in kleinen Portionen. Am meisten störte mich, dass viele Texte aus der „Wir“-Perspektive geschrieben sind. Als würden langwierige Artikel bedeutungsvoller, wenn ihr Autor die Sicht der gesamten Menschheit einnimmt.

 Naturkatastrophen und Mayatempel

Ein weiterer Tick der Schreiber ist es, ständig Fragen aufzuwerfen, mal phrasenhaft („Wohin steuert unser Boot?“), mal als Gedankenspiel verpackt: „Stellen wir uns also Menschen vor, die zu Anti-Atomdemos gehen, im Bioladen einkaufen und einen Yoga-Kurs besuchen. Sind über dieses Bewusstseinsniveau hinaus überhaupt noch Steigerungen denkbar?“ Puh, schwierig. Denke ich drüber nach, wenn ich wieder wach bin. Im selben Artikel stellt der Autor eine Theorie zum menschlichen Bewusstsein vor: Indigo-Kinder könnten fantastische Fähigkeiten entwickeln, wie die, eine Zeitung mit den Füßen zu lesen.

Diese Fähigkeit würde den Lesern von Zeitzone 2012 helfen: Mit ihrem neuen Fußreader könnten sie dem Layout entgehen, das Texte augenfeindlich auf roten, lilanen und dunkelblauen Hintergründen präsentiert. Ebenso den klischeehaften Fotomotiven, bei denen das Heft auf Naturkatastrophen, wütende Protestler und Mayatempel setzt. Stellenweise sind die Bilder allerdings unscharf, selbst die Titeloptik wirkt von Nahem pixelig. Erfrischend fand ich eine Werbeanzeige zwischen den Symbolfotos. Ein Hersteller bewirbt sein Probiotikum mit dem Slogan „Erste Hilfe gegen Stress“. Ideales Heft dafür.

Zeitzone 2012 – ein Fazit

Auf Basis einiger Stunden Selbstgeißelung kann ich sagen: Als Urlaubslektüre eignet sich Zeitzone 2012 kein bisschen. Wahrscheinlich lesen sich selbst Nostradamus‘ Prophezeiungen unterhaltsamer. Dem Magazin fehlt es jedoch nicht nur an ansprechendem Inhalt, sondern auch an Glaubwürdigkeit: Einem Heft, das voll ist mit effekthascherischen Symbolfotos und das seine Weisheiten in „Wir“-Form verbreitet, nehme ich aus Prinzip keine wissenschaftlichen Zusammenhänge ab. Eher werfe ich es in den Pool, dort kann es seine Sintflut erleben.

Ach ja: Einen klassischen Weltuntergang zum Jahresende prognostiziert keiner der Zeitzone-Autoren. Eher drohen Verschärfungen jetziger Krisen, heißt es, vielleicht auch neue Naturkatastrophen. Und für den Fall, dass die Welt wider Erwarten doch untergeht, bleibt das Heftimpressum: „Alle Inhalte entsprechen dem besten Wissen der Redaktion nach gründlicher Prüfung“, steht dort, „trotzdem kann keine Gewähr übernommen werden.“

Infos zum Heft

Zeitzone 2012 erscheint als Sonderheft des Magazins Matrix3000 im Matrix3000-Verlag. Kaufen kann man Matrix3000 im Bahnhofsbuchhandel, in spirituellen Buchhandlungen und auf verschiedenen Messen und Kongressen. Es kommt zweimonatlich auf den Markt.

Eine Anfrage zur Auflage von Sonderheft und regulärem Magazin hat mir der Verlag bisher nicht beantwortet. Wenn eine Antwort kommt, trage ich sie an dieser Stelle nach. Die erste Ausgabe von Matrix3000 erschien laut des Heftarchivs im Jahr 2000. 

Beschrieben wurde das Sonderheft 15. Es kostet 6,50 Euro und hat 68 Seiten.

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