Entdeckt (33): LoveLetter – Herzlich passabel

Affären in der Arktis, liebeshungrige Vampire und Highlander-Klischees: Die Zeitschrift „LoveLetter“ entführt in die Welt des Liebesromans. Das klingt aufregender, als es ist. Dem Heft fehlt das gewisse Etwas.

Coverloveletter

Noch vor wenigen Tagen schien es, als müsste die philosophische Dimension des Higgs-Bosons das Feuilleton-Sommerloch füllen. Dann kam etwas dazwischen: Shades of Grey, ein US-Bestseller, der jetzt auch hierzulande erscheint. So weit, so egal, könnte man meinen, doch in dem Roman geht es um Sadomaso – und geschrieben hat ihn eine Frau. Dieser Hauch von Tabu reichte, um das Buch auf den Kulturseiten zu verankern: im Spiegel, in der Süddeutschen Zeitung, in der FAZ. Sex mit Veilchen schlägt das Gottesteilchen.

Ich kann das verstehen. Auch ich würde lieber in einem Porno recherchieren als im Physikbuch. Und verglichen mit anderen Frauenromanen klingt Shades of Grey erträglich. Suspekter sind mir Bücher, die zusätzlich zu „Erotisches“ in Genres wie „Paranormales“ und „Historisches“ fallen, wie die Geschichte eines Vampirs, der wegen eines Fluchs nur einmal mit derselben Frau schlafen kann. Vermutlich ähnlich schlimm: Romane, die bereits im Titel mit Wortspielen terrorisieren: „Das Beste zum Kuss“ etwa, „Mit Schirm, Charme und Wickeltasche“ und „Kuss mit Soße“. Woher ich diese Bücher kenne? Aus LoveLetter, dem ersten und einzigen Magazin für Liebesromane.

Überraschungen vergeblich gesucht

Dieses Kulturheft gliedert sich recht klassisch, in einen Magazin- und einen Rezensionsteil, hinzu kommen Leserfragen sowie ein kurzer Buchauszug. Überraschungen sucht man vergebens. Die Rezensionen lesen sich stets ähnlich, egal, ob es um einen Erotikroman geht oder um einen christlichen, um ein Hörbuch oder einen Liebesfilm. Im ersten Absatz wird die Handlung erzählt, im zweiten folgt die Bewertung, manchmal mit einer Art Happy End als letztem Satz („kann das Buch trotz einiger recht hanebüchenen Elemente wenigstens mit einer netten Liebesgeschichte punkten“). Das geht mehr als vierzig Mal so. In vielen Beziehungen wäre so viel Routine ein Trennungsgrund.

Den Magazinteil dominieren Interviews und essayartige Texte aus der Ich-Perspektive. Mal mehr, mal weniger hintergründig wird darin über Romanthemen und -kulissen philosophiert. Eine britische Autorin verrät etwa, warum die Arktis ein geeigneter Ort für Liebesgeschichten ist: „Mann und Frau kommen auf engem Raum zusammen und müssen ihre Körperwärme teilen, um zu überleben“. Klingt einleuchtend. Anstrengender liest sich der Text einer deutschen Autorin, die in penetranter Wir-Form das Schicksal kinderloser Enddreißigerinnen beschreibt: „War es nicht eigentlich wunderschön mit Matthias S., den wir ohne mit der Wimper zu zucken schnöde verlassen haben?“

Zu viele Kauftipps, zu viel Dank

Wie viel man über die Gastautorinnen erfährt, variiert. Mehrmals bleibt es beim Namen. Das ist schade, so muss der Leser hoffen, dass die Autorin selbst einen Blick hinter ihr Buch gewährt. Dieser ist doch das eigentlich Interessante: Ich will wissen, wie die Dame auf ihre Geschichten kommt, ob ihr Privatleben sie inspiriert, mit welchem Wissen sie historische Szenarien entwirft. Ich will Persönlichkeiten kennenlernen. Das Heft erfüllt diese Erwartung nur gelegentlich, etwa in Form eines Steckbriefs einer Newcomerin. Oder in einem Artikel, der preisgibt, warum der Roman einer Amerikanerin in einer Eisdiele spielt: „Ich fand es toll, über dieses Thema zu recherchieren.“

Gut gefiel mir ein Gastbeitrag über Highlander, der die Klischees reflektiert, die diese Figur in Romanen erfüllen muss. Sein Fazit: „Die Leser sind nicht sonderlich interessiert an historischer Genauigkeit“. Ernüchterndes Gegenstück zu solchen Artikeln ist ein Fragebogen am Heftende. Eine Autorin bekommt zehn Fragen gestellt, von denen acht in Kauftipps münden: „Was ist zurzeit gerade Ihr Lieblingsbuch?“ – „Welches Buch lesen Sie gerade?“ – „Welches Buch hätte es verdient, ein Bestseller zu werden?“ Und so weiter. Absurder ist nur das Interview mit Lara Adrian: Auf vier Seiten schafft es die Autorin, viermal einen Dank an ihren Verlag oder an LoveLetter unterzubringen, teilweise zwanzigzeilig.

Neuheiten, lesefeindlich präsentiert

Obwohl sich LoveLetter mit Liebschaften beschäftigt, wirkt das Heft selbst lieblos gemacht. Die Neuerscheinungen zum Jahresende, einige hundert Bücher, präsentiert es als seitenlange, lesefeindliche Liste. Ohne echte Formatierung werden Infos wie Autorenname, Titel und Genre aneinander geklatscht. Gäbe es nicht einen Fehler („Die Adademie der Lüste“), hätte ich gewettet, dass sich der redaktionelle Aufwand auf Copy & Paste beschränkt. Oft sind es Kleinigkeiten, die die Lektüre von LoveLetter stören: Während bei jedem Hörbuch die Dauer genannt wird, bleibt die Seitenzahl der Romane geheim.

Gestalterisch erfüllt LoveLetter zumindest ein Klischee: Das Heft sieht kitschig aus, es setzt auf rote Farbe. Stellenweise ist das Layout allerdings so reduziert, dass ganze Seiten nur aus Textspalten bestehen. Bei den Bildern dominieren Buchcover und langweilige Porträtfotos. Aufgelockert hätten das Heft zum Beispiel Schaubilder, die die Historie oder die Figurenkonstellation einer Romanserie darstellen – gefühlt ist nämlich jedes zweite Buch die Fortsetzung eines anderen. Sprachlich ist das Heft erträglich, lediglich bei den Darstellungsformen hätte ich mir mehr Abwechslung gewünscht.

LoveLetter – ein Fazit

Die spannenden Momente in LoveLetter lassen sich an einer Hand abzählen. Es sind die, in denen Autorinnen auf eine Metaebene wechseln; Momente, in denen sie sich mit Genre-Stereotypen auseinandersetzen oder ihre Motive beim Schreiben offenlegen. Das Drumherum ist passabel bis belanglos: standardisierte Kritiken, oberflächliche Interviews. LoveLetter fehlt das gewisse Etwas, etwa Experimente bei den Textsorten. Auf der Heftwebsite ist von Kurzgeschichten die Rede, von Schreibkursen, von Reisen zu Romanschauplätzen – davon findet sich in der Juni-Ausgabe nichts. Schade. Das zwischen dem Heft und mir wird eine einmalige Sache bleiben.

Wer sich stärker für Liebesromane interessiert, findet im aktuellen KulturSpiegel einen Selbstversuch zum Thema. Tobias Becker untersuchte für das Magazin das Männerbild in Frauenromanen. Eine Erkenntnis lautet: „Der ideale Mann weiß, was er will, er ist arrogant, sogar ein bisschen dominant.“ Klingt nach Shades of Grey.

Infos zum Heft

LoveLetter erscheint monatlich in der Ever After GmbH. Auf den Markt kam das Heft 2005. Verkauft wird es überwiegend an Bahnhöfen und Flughäfen, eine Händlerübersicht findet sich auf der Website des Magazins.

Meine Anfrage zur Auflage der Zeitschrift blieb unbeantwortet. Auch telefonisch konnte ich die LoveLetter-Redaktion mehrfach nicht erreichen. 2008 soll die Druckauflage 10.000 Exemplare betragen haben.

Beschrieben wurde Ausgabe 76 aus dem Juni 2012. Sie hat 52 Seiten und kostet drei Euro.

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