Heft fürs Hochprozentige: Die Barkeeper-Zeitschrift „Mixology“ verbindet neue Spirituosen mit der Cocktailhistorie, in edler Optik. Trotzdem schmerzt beim Lesen manchmal der Kopf – und das liegt nicht am Alkohol.
Käme eines Tages ein Tine-Wittler-Team in meine Wohnung, ich wüsste sofort, was es am meisten stört: Das Schränkchen vor dem Fenster, auf dem sich alte Zeitschriften türmen – so hoch, dass der Stapel manchmal umfällt, wenn ich ein Heft rausziehe. Dieser Presseturm sieht furchtbar aus, ist mir aber wichtig, als intuitiv erstellte Rangliste. Das spannendste, noch ungelesene Heft liegt jeweils oben. Meistens sind das Hefte mit hübschen Covern, wie die vorletzte Brand Eins oder die aktuelle 11Freunde-Ausgabe. Doch letztens hat es sogar eine Fachzeitschrift an die Spitze geschafft: Mixology.
Mixology ist ein „Magazin für Barkultur“, also ein Heft, das sich Menschen vor, hinter und unter dem Tresen widmet. Kneipengefühl für zuhause. Die größte Stärke des Hefts ist sein erster Eindruck. Das Cover sieht ungewöhnlich und irgendwie schick aus; eine Prägung ziert Teile der Zwergenillustration, weshalb man diese gern anfasst. Und auch sonst liegt die Zeitschrift gut in der Hand, das matte Papier fühlt sich hochwertig an. Weil neben der Titelseite die komplette Rückseite und auch der Heftrücken in Schwarz gehalten sind, wirkt Mixology rundherum edel – etwas, das ich von wenigen Magazinen behaupten würde.
Wie eine Diplomarbeit über Drinks
Innen präsentiert sich das Heft ähnlich stilvoll. Zum Inhaltsverzeichnis führt eine fünfseitige, mit Farben experimentierende Fotoserie über Berliner Clubs. Man wollte das Open-Air-Gefühl künstlerisch einfangen, erklärt der Chefredakteur dazu, als Teil eines angenehm ausführlichen Editorials. Allgemein wirken fast alle Fotos und Illustrationen aus Mixology professionell, lediglich einige Anzeigen fallen optisch ab. Häufigstes Motiv sind Flaschen, die Rubriken wie „Liköre“ und „Stadtgeschichten“ erkennt man an netten Piktogrammen. Beim Layout überwiegt schlichtes Schwarzweiß, herausgestellte Zitate verschönern den üppigen Weißraum. Trotz relativ vielen Texten wirkt Mixology aufgeräumt.
Thematisch mixt das Heft allerlei, etwas zu häufig in Berichtsform. Firmenporträts und Existenzgründer-Tipps folgen auf Branchennews, Rezepte und Spirituosentests. Bei den Tests wird jeder Drink vorgestellt, dann von zwei Experten bewertet. Launige Kommentare wie „An einem Abend vor dem Kamin sicher ein guter Freund“ oder „ein Rum mit Haaren auf der Brust“ ergänzen ihre Geschmacksurteile. Mir als Gelegenheitsleser fehlte eine Bestenliste: Bekommt ein Drink nur 53 von 100 Punkten („solide“), würde ich gern wissen, was die bessere Alternative ist. Anderswo geizt das Heft nicht mit Service, Zitate aus Cocktailbüchern erinnerten mich an die Uni: „David Wondrin (Imbibe, 2007), meint …“
Boulevardesk bis überkorrekt
Was bereits bei den Teasern auf dem Cover auffällt, ist die Neigung Mixologys, ins Bildhafte oder sonst wie sprachlich Verspielte zu verfallen. Im Heft zeigt sie sich noch deutlicher. Ein Artikel über den perfekten Daiquiri und die Geschichte des Drinks wird zum Beispiel so eingeleitet: „Der Daiquiri ist umspült von Legenden. Er erzählt uns Geschichten und spinnt Seemannsgarn. Stefan Gabanyi stürzt sich in die Fluten und segelt mit den Gezeiten. Der Unfug wird kielgeholt und der wahren Geschichte eine Insel gekapert.“ Geschmackssache, aber ich finde diesen Sprachstil lächerlich, bevorzuge es nüchterner. Warum kann Herr Gabanyi nicht einfach verraten, was an den größten Daiquiri-Mythen dran ist?
So richtig mag sich Mixology auch nicht auf einen Sprachstil festlegen. Mal wirken Textteile boulevardesk („Braugott Garrett Oliver“, der übrigens „die Hopfenhochkultur“ zelebriert), mal überkorrekt („Es ist Feierabend, Sonntag oder ein sonstiges Zeitfenster, das keine bestimmte Beschäftigung vorgibt“), mal wie aus dem Anzeigenblättchen geklaut. Ein erster Satz lautet: „Der Pina-Colada-Mythos, wer kennt ihn nicht.“ In andere Texte streut das Heft Thekenweisheiten. Auf die Einleitung „Wein und Bar: Das ist Hund und Katz“ folgt eine Hymne auf den Champagner: „Champagner ist Sex. […] Champagner ist der Eingang zum Ausgang, die Einleitung zur Waagerechten.“ Der Champagner-Mythos, wer kennt ihn nicht.
Metaebene? Bitte nicht!
Am nervigsten ist ein Text, der auf eine Metabene springt: „Im klassischen Journalismus ist dieser Artikel jetzt verloren, weil er auch seine zweite Hälfte nicht zur Gänze dem Protagonisten widmet“, heißt es in der Mitte eines Winzerporträts, das fortan die Erfahrungen des Schreibers thematisiert. Was soll dieser Satz? Wahrscheinlich glaubt der Autor, er erfindet gerade den Journalismus neu. Dann hätte ich zumindest zwei Wünsche: Wenn man schon schreibt, die Vorbesitzer des Weinstocks hätten sich nichts „geschissen“, dann bitte ohne relativierende Anführungszeichen. Und die Formulierung, dass der Traktor gegen „Familie Pferd“ getauscht wurde – nun ja, ich hoffe, sie ist auch im Neojournalismus uncool.
Unfreiwillig komisch ist auch mancher Satz im Bericht über eine Kneipentour, pardon, „einen gustatorischen Nighttrip“ durch Düsseldorf: „Natürlich, der Name animiert zu Wortspielen“, heißt es, „Die sollen hier nicht gegeben werden.“ Dabei beginnt der Vorspann desselben Artikels mit: „Ja ja – Düsseldorf. Welches Dorf?“ Von den sprachlichen Ticks abgesehen, wunderten mich in Mixology nur kleinere Dinge, etwa, dass im Düsseldorf-Text keine der getesteten Bars abgebildet wurde. Sehen sie vielleicht viel schlimmer aus als beschrieben? Gen Ende wid das Heft langweilig, auf Musiktipps folgen Rückblicke auf Barkeeperevents.
Mixology – ein Fazit
Mixology zählt zu den anregendsten Fachzeitschriften, die ich kenne. Sie macht Lust, sich stilvoll zu betrinken, etwa mit einem Rum, dessen Testurteil „Wow! Super Stoff, geiler Preis, geh ich kaufen!“ lautet. Dank Brancheninfos, Tests und Rezepten bietet das Heft Barkeepern einen Nutzwert, unterhält jedoch auch Laien – sofern man den Stil verträgt. Ich hatte oft das Gefühl, die Autoren waren zu sehr berauscht von sich selbst, mir bereiten ihre Sprachspielereien Kopfschmerzen. Dafür sieht Mixology toll aus. Angesichts der edlen Optik und 122 Seiten Umfang wirken 7,50 Euro angemessen.
Meine Lieblingsbar ist übrigens eine fiktive. Sie heißt „Paddy’s Pub“ und ist Schauplatz von It’s always sunny in Philadelphia, einer US-Comedyserie, die vom skurillen Leben der vier Betreiber erzählt. Wahnsinnig bekloppt, wahnsinnig unterhaltsam. Und die perfekte Serie, wenn man angeheitert nach Hause kommt und schon wieder den Zeitschriftenstapel umreißt.
Infos zum Heft
Mixology erscheint zweimonatlich in der Mixology Verlags GmbH. Auf den Markt kam das Heft 2003. Die Druckauflage liegt laut den neuesten Mediadaten bei 10.000 Exemplaren. Mixology ist im „ausgewählten Zeitschriftenhandel“ erhältlich, mein Exemplar stammt vom Bahnhofskiosk.
Beschrieben wurde die Ausgabe 3/2012 aus dem Juni und Juli 2012. Sie hat 122 Seiten und kostet 7,50 Euro.