Staffel Eins, Episode Zwei: Mit „Torrent“ gibt es endlich ein Magazin für Serienfans. Leider fehlt ihm, was „Lost“ und „Breaking Bad“ so gut macht: das Überraschende. Ein tolles Magazin braucht mehr als kluge Texte.
Komisches Gefühl, mal wieder zur Zielgruppe zu gehören. Nach Heften über Papageien, Schwimmbäder und Cocktails habe ich mir neulich Torrent gekauft, ein „Magazin für serielles Erzählen“. Das klingt nach einer Fachzeitschrift für Drehbuchautoren, ist aber ein Heft für normale Serienfans. Für Leute mit zu vielen Lost-Staffeln im Regal oder zumindest Kinox.to in der Favoritenliste. So einer bin ich. Wie viel häufiger ich wohl bloggen würde, ohne Zeitfresser wie Breaking Bad, Six Feet Under und The Shield. Ein Heft mit der Aufschrift „Alles über die besten Serien“ war also ideal, um mich von der Couch zum Kiosk zu kriegen.
Sechs Euro kostet Torrent, dafür ist das Heft fast werbefrei. Auf 64 Seiten reflektiert es über Serien wie The Newsroom, Weeds und den Achtzigerklassiker LA Law, auch Breaking Bad und True Blood widmet es sogenannte Serien-Features. Hinzu kommen kurze Interviews mit Schauspielern und Produzenten sowie ein ausführliches mit dem Regisseur Dominik Graf. An Kleinteiligem bleiben außer den News eine Glosse, DVD- und Buchrezensionen und die charmante Rubrik „Das unentdeckte Meisterwerk“, die eine ungewöhnliche Serienepisode vorstellt. Liest sich wie ein gelungenen Auftakt, schließlich ist die aktuelle Torrent-Ausgabe erst die zweite. Doch so simpel ist das alles nicht.
Willkommen im Staffelchaos
Schon die Erzählform Serie fordert heraus, Kinomagazine haben es leichter. Bei Neustarts kann deren Redaktion davon ausgehen, dass ihre Leser den Film nicht gesehen haben, bei Klassikern vom Gegenteil. Komplizierter ist es bei Serien: Manche kennen die neuesten US-Folgen aus dem Internet, andere nur das, was im deutschen Fernsehen lief. Wieder andere haben von einer Serie noch nie gehört. So wird jeder Artikel zur Gratwanderung, zwischen Spoiler und Anspielung, zwischen Nacherzählen und Analyse. Das merkt man beim Lesen. Manche Texte verrieten mir viel zu viel, andere zu wenig.
Das Heft entschärft das Staffelchaos mithilfe der Vorspänne. Sie deuten an, welche Staffeln der Artikel behandelt. Trotzdem bleiben Fragen: Wieso stellt das Heft die dritte von fünf Staffeln The Wire vor, nur, weil diese jetzt auf Deutsch erscheint? Und warum bespricht es umgekehrt die achte von Weeds, obwohl es erst drei Staffeln auf Deutsch gibt? Immerhin verrät das Heft jeweils am Textende, ob und wie man welche Serie legal sehen kann, inklusive obskurer Pay-TV-Sender wie Glitz („Hier scheint die Sonne“). Wie stark eine Serie nacherzählt wird, variiert: Bei True Blood gibt es tiefe Einblicke, bei Breaking Bad setzt das Heft voraus, dass man die ersten vier Staffeln kennt.
Gebt mir ein „Yeah, Bitch!“
Immerhin, hat man entschieden, ob man einen Artikel überhaupt liest, überzeugen die meisten Texte. Der Schreibstil ist angenehm, nur manchmal wirken Sätze ungelenk: „Ganz sicher ist nicht alles schlecht, es gibt immer wieder anerkennenswerte Ansätze. Zudem die Bedingungen komplex und die Faktoren vielfältig sind.“ Vermisst habe ich sprachlich den letzten Funken Leidenschaft, gerade bei den Überschriften. Die lauten schon mal „Die Mutter moderner Anwaltsserien“ oder „Serien aus Deutschland – Wo ist das Problem?“. Irgendwie lustlos. Erfrischenderes steht über dem Breaking-Bad-Text: „Yeah, Bitch!“
Selbst die Titelzeile klingt, als habe man den Arbeitstitel gedruckt. „Dominik Graf über 30 Jahre Fernseharbeit in Deutschland“, ich gähne beim Abtippen. Und frage mich, wieso man nicht Graf auf dem Cover zeigt, sondern eine Schauspielerin. Frauenquote? Apropos, sieben Seiten Graf-Interview: Dazu heißt es im Editorial, es sei so ausführlich ausgefallen, dass man den zweiten Teil leider nur online präsentieren könne. Mich regt das auf, ich will nicht für das Interviewende extra auf die Website. Wieso kürzt man das Interview nicht einfach und schreibt, dass es für Fans online noch ein paar Antworten mehr gibt, als Bonus? Klingt netter und nicht so, als würde man die Hälfte verpassen.
Kluge Texte – und sonst?
Ansonsten macht Torrent kaum Fehler. Das Heft wirkt an keiner Stelle peinlich, es unterfordert den Leser nie, macht transparent, welches Interview per E-Mail geführt wurde. Im Editorial spricht es die „LeserInnen“ an, englische Begriffe wie „cheesy“ druckt es kursiv, so dass sich niemand über irgendetwas beschweren muss. Auf Dauer strengt dieser „Bloß nicht blamieren“-Stil aber an. Zu stark dominiert das Solide und fehlt das Überraschende, die besonderen Texte, die ich Freunden empfehle. Überhaupt Artikel, bei denen ich das Gefühl habe, dass sich die Redaktion mal was getraut hat. Kluge Texte finde ich auch in Blogs.
Wo ist so etwas wie die Wer-schläft-mit-wem-Infografik, die Wired zu Mad Men veröffentlicht hat? Warum gibt es keine Reportage von einem Drehort, wie in der Welt am Sonntag? Wieso geht man eine auserzählte Serie wie The Wire nicht unkonventioneller heran, à la „The Wire ist die beste Serie aller Zeiten. Zehn Dinge, die wir trotzdem an ihr hassen“? Und weshalb bewertet man die Weeds-Staffeln als Text statt das Ganze zu visualisieren, zum Beispiel als Aktienkurs? Mehr Formenvielfalt würde Torrent gut tun. Auch über seine Autoren möchte ich mehr erfahren, als den Namen – und sei es nur, wer zuletzt welche Serie gesehen hat.
Vergöttern ohne Sterne
Besser gefällt mir die Art, wie Torrent bewertet. Wie in GEE werden Serien, Filme und Bücher nur mit der Kraft des Worts vergöttert oder niedergeschrieben, ohne Sterne oder anderen Schnickschnack. Mir gefielen besonders die Verrisse, wie der eines The-Walking-Dead-Comics: „Manchmal hat man das Gefühl, man lese gerade einen Dallas-Comic.“ Wenn das Heft will, kann es richtig fies sein. Fachkundig wirken die Autoren übrigens durchgehend, gut beobachten sie etwa eine Stärke von True Blood – einer Serie, mit der ich nie warm wurde: „Wann immer eine Figur mit entschlossenem Gesichtsausdruck losläuft und die nächste Szene mit Türklopfen beginnt – es ist garantiert jemand anders.“
Optisch wirkt Torrent aufgeräumt und kitschfrei, wenngleich ein wenig bieder. Man rechnet nicht damit, dass dieses Heft über Serien voll Drogen, Sex und Gewalt berichtet. Das Layout ist in Schwarz-Weiß gehalten, viele Lesestücke werden bewusst inszeniert; eine der Doppelseiten besteht nur aus Text und viel Weißraum. Das funktioniert, solange der Artikel überzeugt. Was mich eher nervt, ist der Stil der Fotos. Im Prinzip druckt Torrent ausschließlich Filmausschnitte oder PR-Bilder, das ergibt einen hochwertigen, aber immer gleichen Bildbrei. Viel lieber als ein Standardporträt hätte ich ein Foto von Dominik Graf in seinem Wohnzimmer gesehen, mit DVD-Sammlung im Hintergrund.
Torrent – ein Fazit
Für ein Nischenheft macht Torrent vieles richtig: Die Autoren wirken kompetent, der Schreibstil ist ordentlich und die Optik so erwachsen, dass man das Heft überall lesen kann, im Gegensatz zu X-Rated. Trotzdem ist Torrent noch nicht cool genug, um im Wohnzimmerregal zu landen, neben den DVD-Boxen. Seriosität in Ehren, hier hängt sie aber zu sehr raus.
Von den nächsten Ausgaben wünsche ich mir mehr Exklusivität, mehr Experimentierfreude – bei den Fotos und erst recht bei den Texten. Wenn das klappt, könnte ich zum Stammkäufer werden. Und würde wieder mehr lesen, statt Sons of Anarchy zu gucken.
Infos zum Heft
Torrent erscheint vierteljährlich im Verlag Marcus Kirzynowski. Im Frühjahr 2012 wurde die erste Ausgabe veröffentlicht.
Laut den Mediadaten vertreiben die Macher ihr Heft über den Bahnhofsbuchhandel, außerdem über Buchhandlungen in Großstädten sowie Arthouse-Videotheken. Alternativ lässt sich Torrent online bestellen. Die Auflage liegt bei rund 4000 Exemplaren.
Beschrieben wurde die Ausgabe 2/2012. Sie hat 64 Seiten und kostet sechs Euro.