Entdeckt (42): Hohe Luft – Schick, schwierig, brav

Wo Rousseau auf Harald Schmidt trifft: Das Philosophie-Magazin „Hohe Luft“ reflektiert über Blödsinn und gute Vergleiche, über Liebe und Freundschaft. Doch seine Denkexperimente könnten radikaler sein – und ein wenig Streit würde auch nicht schaden.

coverhoheluft

Hefte kaufen ist nicht immer einfach. Mein Vater weiß das, früher bat ich ihn oft, Zeitschriften von der Tankstelle mitzubringen. Dabei galt es, meine Wünsche genau zu beachten: Mal wollte ich die PC Games, mal die PC Player, ab und zu die PC Joker. Da konnte er leicht durcheinander kommen, wie bei Max, Maxi und Maxim. Heute sind drei dieser Titel eingestellt, Max erscheint nur sporadisch. Eher vewechselt man Frauenzeitschriften, wo zu zahlreichen Vornamen das passende Heft existiert – oft mit ähnlichem Coverfoto wie die Konkurrenz. Und zu den Magazinen übers Landleben muss ich wohl nichts sagen: Den Marktführer Landlust haben Verlage mittlerweile so oft nachgeahmt, dass niemand mehr weiß, ob nun LandIdee überflüssiger ist oder LandKind. Reflexartig erfreuen da Hefte, die einem nur optisch vertraut vorkommen.

Hohe Luft ist so ein Fall, neulich habe ich die Winterausgabe gekauft. Unwahrscheinlich, dass das bei einem Philosophie-Magazin passiert wäre, das so langweilig aussieht wie es heißt. Denn eigentlich komme ich gut ohne Antworten auf die existenziellen Fragen zurecht. Ob die Henne oder das Ei zuerst da war, interessiert mich im Ergebnis – aber nicht so sehr, dass ich ewig darüber nachdenken müsste. Ein Philosophie-Heft, das mich anspricht, sollte vor allem gut aussehen, leicht zugänglich sein und möglichst provokant. Hohe Luft weckt in dieser Hinsicht Erwartungen, sein Titelbild erinnert nämlich an Brand Eins. Und Brand Eins ist immerhin ein Wirtschaftsmagazin, das selbst Laien unterhält – mit gut erzählten Geschichten statt Geschäftszahlen. Ist Hohe Luft vielleicht auch inhaltlich sein Pendant?

Tatsächlich brachte mich schon der Heftslogan zum Nachdenken:  „für alle, die Lust am Denken haben“. Ich grübelte, ob es nicht eher „Lust aufs Denken“ heißen müsste, vermutlich intensiver als jemals über Henne und Ei. Doch auch hier kam ich zu keinem klaren Ergebnis. Im Heft selbst zählen die Sprache und ihre Reflexion zu den Themenschwerpunkten. Auf den 100 Seiten erfährt der Leser zum Beispiel, dass die Floskel „klar und deutlich“ philosophische Wurzeln hat (sie geht auf René Descartes zurück), und, dass der Unterschied zwischen wissen und glauben noch immer diskutiert wird (ich glaube, dass diese Klammer nicht für eine Erklärung reicht). An anderer Stelle erörtert ein Autor, wann eigentlich etwas „gut“ ist. Und selbst die sprichwörtlichen Äpfel und Birnen kommen vor, ein Artikel beschäftigt sich mit den Tücken von Vergleichen. Er endet mit einem Zitat des Künstlers Gerd Buurmann: „Unpassende Vergleiche sind schlimmer als Hitler.“

Steinbrück, Rousseau, Schmidt

Von Wortklaubereien abgesehen, drehen sich die essayartigen Texte um die wichtigen Dinge des Lebens: Liebe und Freundschaft etwa, oder Gelassenheit. Nach einem Ausflug in die griechische Mythologie rät eine Autorin, hin und wieder über die Stränge zu schlagen: „Denn der schlimmste Wahnsinn ist die rauschfreie Existenz: der Wahnsinn der Normalität.“ Ah ja. Allzu berauscht sollte man trotzdem nicht sein, wenn man Hohe Luft liest. Das Heft gibt sich mit Vorspännen, Infokästen und Buchtipps zwar erkennbar Mühe, allgemeinverständlich zu sein – praktisch klappt das aber nur bedingt. Ich jedenfalls musste mich sehr anstrengen, um den längeren Texten folgen zu können, etwa dem siebenseitigen Interview mit dem Philosophen Julian Nida-Rümelin (PDF). Zu schnell sprang das Gespräch von einem Gedanken zum nächsten. Immerhin verzichtet Hohe Luft weitgehend auf Fachbegriffe, „epistemisch-ontologisch“ zählt zu den wenigen Wörtern, die mich überforderten.

Hohe Luft wirkt zumindest latent aktuell, vor allem in den Vorspännen thematisiert es politische und kulturelle Entwicklungen der letzten Monate. Ein Artikel über Authentizität wird thematisch am SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück aufgehängt, einer über Blödsinn an Zitaten des US-Politikers Paul Ryan. Auch Bezüge zur Popkultur finden sich immer wieder. Eine Bob-Dylan-Songzeile dient als Artikeleinstieg, nach Rousseau zitiert das Heft auch Harald Schmidt: „Das Schlimmste, was man sein kann, ist authentisch. Man hat eine Kunstfigur zu sein, um den anderen nicht auf die Nerven zu gehen.“ Die philosophische Frage „Was ist Zeit?“ beantwortet der Regisseur Tom Tykwer, mit leicht verständlichen Thesen, wie „Geschichte ist immer erzählt“.

Will Jesus wirklich Jesus sein?

Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, erst lernen zu müssen, ein Heft wie Hohe Luft zu lesen. Zu sehr bin ich wohl andere Magazinformen gewohnt. In der Heftmitte geht es um das Aussteigen aus der Gesellschaft, eine Fotostrecke zeigt Menschen, die das augenscheinlich getan haben: Ein Mann sieht aus wie Jesus und ist nackt, ein anderer hält selbst zubereitetes Essen in die Kamera. Ich wollte nun sofort etwas über diese Menschen erfahren: Lebt der eine im Wald, eifert der andere bewusst Jesus nach? Diese Fragen lässt Hohe Luft aber offen, es gibt nicht mal Bildunterschriften. Der kurze Text über das Aussteigen bleibt auf einer allgemeinen Ebene, stellt Vor- und Nachteile der Lebensweise gegenüber. Ich merkte: Hier geht es nicht um Einzelschicksale.

Trotz dieses Ansatzes hatte ich den Eindruck, dass Hohe Luft insgesamt ein braves Magazin ist. Das radikalste Denkexperiment der Ausgabe ist ein Freundschaftsvertrag, die Idee, dass sich Freunde gegenseitig sozial absichern. Interessant, aber nichts, was mich wirklich aufwühlt. Auch das bereits erwähnte Plädoyer für den Rausch fand ich unspektakulär. Texte mit ähnlicher These hatte ich zuletzt mehrfach gelesen, etwa im Kultur-Spiegel. Ein modernes Loblied auf die Enthaltsamkeit hätte mich wohl mehr beeindruckt.

Bitte, zofft euch!

Was ich in Hohe Luft ebenfalls vermisste, war Streit. Zu jedem Thema gibt es nur einen Text, die Ansicht eines Autors. Manchmal habe ich mir daher eine Stilform gewünscht, die ich aus der Printausgabe von The European kenne: die gedruckte Debatte. In diesem Meinungsmagazin beschäftigen sich mehrere Schreiber mit derselben Frage, ihre Texte werden hintereinander gedruckt. Ein Pro und Contra, weniger offensichtlich als in einer Zeitungskolumne – solch ein Format würde wohl auch Hohe Luft gut tun. Schließlich unterhält Zoff nicht nur. Mehrere Perspektiven würden es Laien wie mir auch leichter machen, eine eigene Position zu einem Thema einzunehmen. Lebt nicht auch und gerade die Philosophie vom Diskutieren?

Zum Lesen reizt das Heft aber auch ohne Konflikte. Hohe Luft bietet kurze und sehr lange Artikel, Appetithäppchen wie schwere Kost, oft wird der Leser direkt angesprochen, per „Sie“. Und es sieht schick aus. Sein Layout setzt vor allem auf eine starke Typografie, ergänzt von gelungenen Illustrationen und guten  Fotos. Die Seiten haben viel Weißraum, der Fokus liegt auf den Texten. Anzeigen gibt es wenige. Nachahmenswert fand ich die Rubrik „Die Köpfe dahinter“, in der nicht wie üblich nur wenige Heft-Mitarbeiter mit Foto und Minitext vorgestellt werden, sondern gleich 23.

Hohe Luft – ein Fazit

Stellenweise brachte mich Hohe Luft an eine Belastungsgrenze: an den Punkt, ab dem Texte nicht mehr mitreißen, ab dem das Lesen Arbeit wird. Oft musste ich mich schon am Artikelbeginn an jedes einzelne Wort klammern, um dabeizubleiben. Gewisse Philosophiekenntnisse, gepaart mit guter Konzentration, sind daher von Vorteil, wenn man sich auf dieses Magazin einlässt. Zu Gute halte ich dem Heft, dass es sich zumindest bemüht, seine Themen Laien zugänglich zu machen. Für acht Euro bekommen Käufer ein schickes und anspruchsvolles Heft. Mit mehr Radikalität und gegensätzlichen Meinungen könnte es aber aufregender sein.

Kurios fand ich übrigens das Titelthema, „Schluss mit dem Bullshit“. Einmal macht ein Text über Blödsinn eine seltsame Metaebene auf, die dazu verleitet, normale Sätze des Hefts zu hinterfragen. Man kennt ja nun die Blödsinn-Definition: „Bullshit bezeichnet grammatisch wohlgeformte Sätze, die zwar an der Oberfläche in Ordnung sind, aber keine echten Gedanken ausdrücken.“ Und zweitens wusste ich zunächst nicht, wie man das Cover interpretieren sollte. Insgeheim hatte ich gehofft, die Schlagzeile „Schluss mit dem Bullshit“ würde sich auf die Themenankündigungen darüber beziehen. Das wäre krass gewesen, diese Themen einfach nicht ins Heft zu nehmen.


Infos zum Heft

Hohe Luft erscheint in einem Tochterunternehmen des Verlags Inspiring Networkseit diesem Jahr zweimonatlich. Der Verlag veröffentlicht auch das Frauenmagazin Emotion.

Auf den Markt gekommen ist Hohe Luft im November 2011, sein Titel spielt auf zwei Hamburger Stadtteile an. Das Heft kaufen kann man im Bahnhofsbuchhandel, ebenso in manchen Supermärkten und Kiosken. Seine verkaufte Auflage liegt derzeit zwischen 15.000 und 20.000 Exemplaren pro Ausgabe. Es gibt Hohe Luft auch als App für Android, iPhone und iPad.

Beschrieben wurde die Ausgabe 1/2013. Sie hat 100 Seiten und kostet acht Euro.

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