Marktlücke gefunden? Nach dem Erfolg von „Landlust“ veröffentlicht ein anderer Verlag jetzt „Stadtlust“, zunächst testweise. Obwohl ich das Stadtleben mag, macht mich das Heft nicht glücklich. Ihm fehlt der Tiefgang – und optisch wirkt es provinziell.
Manche Heftideen sind einfach konsequent. Als das Jungsheft gut ankam, ein Magazin voll normaler, aber nackter Männer, entschieden dessen Erfinderinnen folgerichtig, das Giddyheft herauszubringen: gleiches Konzept, mit Frauen. Und als die Leser von Neon nach und nach Eltern wurden, beglückten dessen Macher diese Zielgruppe mit Nido. Marktlücken sind da, um gefüllt zu werden.
So gesehen braucht sich niemand über das neue Magazin Stadtlust aufregen, abgesehen davon, wie plump der Name auf den Zeitschriftenbestseller Landlust anspielt. Für mich als überzeugten Großstädter kommt das Heft jedenfalls zur richtigen Zeit: Überregionale Stadtmagazine sind rar und gerade ist mit Prinz ein Regional-Klassiker aus dem Kiosk verschwunden. Nur schade, dass sich Stadtlust als „City-Stil-Magazin“ vor allem an Frauen richtet.
Die Erstausgabe, 140 Seiten stark, gliedert sich in fünf Ressorts, von „Stadtmenschen“ bis „Stadtfluchten“. Auf diese verteilt die Redaktion allerlei Themen, vom Joggen über Glasgärten und Elektroautos bis zu den Vorzügen diverser Hunderassen. Im Mittelpunkt steht meistens der Service, etwa in Form von Rezepten oder Webtipps.
Nach dem Ausgewogenheits-Lehrbuch konzipiert
Da das Heft bundesweit erscheint, sind die Themen selten stadtspezifisch aufbereitet. Geht es um eine Hamburger Kaffeerösterei, stehen am Textende direkt passende Adressen für andere Städte. Schon der Hefteinstieg wirkt wie nach einem Ausgewogenheits-Lehrbuch konzipiert: Vier mit ihren Gewässern fotografierten Städte verteilen sich wunderbar über die Deutschlandkarte.
So wichtig Themenvielfalt ist, bei diesem Heft nervte sie irgendwann. Man findet in Stadtlust irgendwie alles und letztlich doch kaum etwas, denn vielen Texten fehlt der Tiefgang. Ein größerer Artikel etwa verrät, welche Tauschmöglichkeiten es in Großstädten gibt, aber praktisch nichts darüber, warum das Tauschen auf einmal populär ist. Vielleicht wäre es besser, wenn jede Ausgabe einen Schwerpunkt hätte, statt zahlreicher gleichwertiger Themen.
Drei Sätze pro Großstadtkrimi
Manche Artikel fand ich auch einfach zu kurz. „Treffen Sie Imker, die mit ihren Bienenvölkern immer mehr Zentren besiedeln“, heißt es im Editorial, dabei besteht die zugehörige Geschichte aus gerade mal 29 Textzeilen. Anderes Beispiel: Stadtlust präsentiert die vier besten Großstadtkrimis, ein gut passendes Thema. Doch keinem Roman widmet das Heft mehr als drei Sätze.
Länger sind die sogenannten Homestorys, in denen Städter ihr Zuhause präsentieren. „Altes Stadthaus in neuem Glanz“ heißt etwa die Titelstory, die ich denkbar unspektakulär fand. Wie sinnvoll ist die Geschichte einer erfolgreichen Renovierung, wenn das Heft auf acht Seiten kein einziges Foto vom alten Zustand und den Bauarbeiten zeigt?
Ein Rätsel blieb mir zudem die Protagonistenwahl für die Hausbesuche. Warum präsentieren ausgerechnet Familie Stamp und ein Mann namens Sascha Sonnenberg ihr Zuhause? Die Stadtwohnungen von Prominenten hätten mich mehr interessiert. Konnte die Redaktion nicht Schauspielerin Stefanie Stappenbeck besuchen, die sie anderswo auffallend knapp zu Berlin interviewt?
Eilmeldung: Es gibt jetzt auch Salzgrotten
Die Trends, über die Stadtlust berichtet, wirken unterschiedlich frisch. Lunch-Beat-Partys etwa fand ich weniger abgedroschen als den „neuen Wellness-Trend“: Salzgrotten. Was die Artikel verbindet, ist ihre langweilige Form. Es gibt in Stadtlust kaum persönliche Texte, der Berichtsstil dominiert. Zum Thema Ferien im Baumhaus interviewt das Heft einen Architekten, statt einfach einen Autor auf dem Baum übernachten zu lassen.
Seine einzige Kolumne versteckt das Magazin ganz am Ende. Anekdoten und Getuschel, dieses Menscheln, das die Stadt ausmacht, fehlt hier fast völlig. Überhaupt wirkt das Magazin ironiefrei. Obwohl es Stadtlust heißt, könnte es von mir aus gern auch auf Nachteile der Großstadt eingehen – vielleicht mit Tipps, wie man Laubbläserlärm und vollen U-Bahnen auch etwas Positives abgewinnen kann.
Im Überfluss gibt es dagegen Mode- und Produkttipps, aus allen Ecken Deutschlands. Dank Online-Shops kann so auch der Münchner Leser im Hamburger Geschäft einkaufen, Preisinfos bekommt er ebenfalls. Bemüht warmherzig wirkt die letzte Doppelseite des „Shopping-Guide“, die ausschließlich Einkaufstipps mit sozialer Komponente präsentiert, vom Wein aus der Behindertenwerkstatt bis zum Radio, das Schulabgänger zusammenbauen. Den passenden Kontrast bildet die Doppelseite „Was der Hund braucht“, die unter anderem ein Luxusbettchen empfiehlt.
Willy Wuff, treuester Freund des Menschen
Stadtlust setzt auf eine jung wirkende Sprache, manchmal nerven aber Phrasen. „Das kompetente Team berät sie individuell und persönlich“, heißt es zu einem Geschäft, an anderer Stelle läuft Stammkunden „das Wasser im Mund zusammen“. Als Synonyme für das Wort Hund verwendet das Heft „Willy Wuff“ und „des Menschen treuester Freund“. Manchmal fielen mir kleine Stilbrüche auf, etwa, wenn das Handy zum „Mobile Phone“ wird und ein Kabeljau „verzehrt“. So englisch und bieder klingt das Heft sonst nicht. An einer Stelle druckt Stadtlust den PR-Text zur Broschüre „Leihen, teilen & gebraucht kaufen„.
Optisch hat mich das Heft enttäuscht. Das Layout erinnert an die Landmagazine, es gibt viele Schriftarten und -größen, selbst der Zeilenabstand variiert. Aber warum? Bei den Landheften passt der handwerklich und provinziell anmutende Stil wenigstens zum Inhalt. In Stadtlust dagegen geht es um das geordnete Leben und nicht ums Berghain am Sonntagmorgen.
Die Fotoqualität ist okay, manche Motive wirken jedoch lieblos ausgewählt, etwa die ganzseitige Aufnahme einer Mallorquiner Café-Terrasse. Keine Lust aufs Einkaufen macht das Foto eines Markstands. „Gibt es etwas Schöneres, als über einen Markt zu bummeln […]?“, fragt der zugehörige Text. Im Bildhintergrund regnet es in Strömen.
Stadtlust – ein Fazit
Ich mag die Grundidee von Stadtlust, ihre Umsetzung weniger. Gern würde ich ein Hochglanz-Stadtmagazin lesen, das nicht nur Partytipps aus dem Netz druckt, einen modernen Mix aus Reiseführer und bunten Lokalteil. Und Stadtlust bietet in dieser Hinsicht gute Ansätze, die Themenwahl etwa überzeugt. Größtenteils interessierten die Artikel sogar mich als Mann.
Letztlich berichtet das Heft aber zu oberflächlich, selbst für ein Lifestyle-Magazin. Was bringt ein Text über Elektroautos, in dem kaum mehr steht als, dass es jetzt diverse Wagen zu kaufen gibt? Optisch würde ich mir das Heft aufgeräumter wünschen, vom Sprachstil persönlicher. Dann würde ich vielleicht sagen: Marktlücke gefüllt – und das sogar sinnvoll.
Infos zum Heft
Stadtlust erscheint in der WAZ-Women Group, die sonst vor allem Klatschzeitschriften wie Das Goldene Blatt und Echo der Frau veröffentlicht.
Beschrieben wurde die Erstausgabe, die am 13. Februar auf den Markt kam, als Ausgabe „März/April 2013“. Ihre Druckauflage beträgt 150.000 Exemplare. Ob Folgeausgaben erscheinen, ist dem Verlag zufolge noch nicht entschieden.
Das Heft hat 140 Seiten und kostet 3,80 Euro. Eine Leseprobe steht hier online.