Mal in Ruhe nachdenken: Über das Postspielmagazin „KSK“ duellieren sich Spielefans in 40 Disziplinen – vergleichsweise stressfrei, pro Zug bleiben anderthalb Wochen Zeit. Im Interview gibt Herausgeberin Susanne Winter einen Einblick in diese Nische.
Eigentlich ist der Kiosk der falsche Ort, um kuriose Zeitschriften zu suchen. Die wirklich speziellen Hefte erscheinen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Mit Fachzeitschriften wie Bestattungskultur und SUS – Schweinezucht und Schweinemast beispielsweise kommen nur Berufsangehörige in Kontakt. Und wer sich für skurrile PDF-Magazine wie die Hexenpost interessiert, „das aktuelle Magazin rund um Magie im Alltag“, der muss zunächst auf die Idee kommen, dass so ein Heft existieren könnte.
Mundpropaganda brauchen auch Fanzines, die sich meistens einer Szene oder Subkultur widmen. Von der Comicsammlung bis zum Metal-Magazin gibt es Hunderte dieser Hobbyhefte, die unabhängig von den Presse-Grossisten vertrieben werden. Ihre Zielgruppe ist meistens überschaubar, der gesellschaftliche Einfluss ebenfalls. Faszinieren können die Magazine trotzdem.
Auf einer Brettspielmesse ist mir letzten Herbst der Kirchheimer Spiele-Kurier (KSK) in die Hände gefallen, ein Heft, das zum Segment der Postspielmagazine zählt. Solche Zines informieren über den aktuellen Stand diverser Mehrspieler-Papierspiele, bei denen Leser auf dem Postweg mitmachen.
Fernduelle im Dreiwochentakt – dieses Konzept klang für mich so originell wie aus der Zeit gefallen, dass ich kürzlich bei der KSK-Herausgeberin angerufen habe. Susanne Winter, 43, arbeitet in der Medizinischen Informatik der Uni Bochum. Seit Ende der Neunziger spielt die Dortmunderin Postspiele, 2012 wurde sie von der KSK-Leserin zur Herausgeberin. Zeitschriften liest Winter selten, für Bahnfahrten kauft sie aber gern das Rätselheft Logisch.
Kioskforscher: Frau Winter, wie darf man sich ein Postspielmagazin im Jahr 2013 vorstellen? Läuft dabei überhaupt noch etwas per Post?
Susanne Winter: „Außer dem Heftversand fast nichts mehr, auch bei uns hat sich die elektronische Post durchgesetzt. Züge schickt man als E-Mail an den Spielleiter. Höchstens aus dem Urlaub spielt ab und zu noch jemand per Postkarte mit. Als ich mit dem Postspielen anfing, gab es noch einen zentralen Versandservice, dem man Züge für mehrere Spiele schickte, zum Porto-Sparen.“
Eine Printausgabe des KSK erscheint auch heute noch.
„Wir haben ungefähr 125 Abonnenten, davon bekommt die Hälfte das Heft als PDF. Die andere Hälfte zahlt drei Euro extra für eine gedruckte Ausgabe. Mir ist es wichtig, ein Printmagazin zu haben: In ein Spieleheft will ich reinmalen können, während ich auf der Couch liege. Bei Spielen wie Scrabble ist man fast gezwungen, sich Notizen zu machen.“
Welche Spiele können Ihre Leser spielen?
„Wir bieten derzeit rund 40 Spiele an. Die meisten davon sind Varianten bekannter Gesellschaftsspiele, so umgeschrieben, dass die Spieler nicht nacheinander, sondern gleichzeitig ihre Züge abgeben. Scrabble-Spieler etwa haben anderthalb Wochen, um mit denselben acht Buchstaben wie ihre Gegner den besten Zug zu finden: Diesen schicken sie an den Spielleiter, der die Partie auswertet. Andere beliebte Spiele sind zum Beispiel Robo Rally und United, eine Art Fußballmanager.“
Im Internet kann man heutzutage fast alles spielen, tags wie nachts, mit Gegnern aus aller Welt. Hat Ihr Magazin dadurch Leser verloren?
„Ich habe das Gefühl, dass die Zahl der Mitspieler in den letzten Jahren recht konstant geblieben ist. Natürlich steigt aber das Durchschnittsalter, es dürfte bei über 50 liegen. Wir werben kaum jungen Nachwuchs an, Neu-Abonnenten sind meistens Verwandte oder Bekannte. Zu den letzten Neueinsteigern zählt meine Mutter, die wird bald 70.“
Muss man sich Sorgen um die Postspiel-Nische machen?
„Ingesamt schrumpft der Markt, eine Reihe von Magazinen hält aber durch. Die Klassiker werden nicht plötzlich verschwinden: Unser Heft erscheint seit 1987, das sind mittlerweile über 415 Ausgaben. Und der Dottendorfer Soccer zum Beispiel ist noch älter, da habe ich auch mal mitgespielt. Postspiele wirken vielleicht ein wenig altertümlich, sind aber noch lang nicht Geschichte.“
Wer interessiert sich für ein Magazin wie den KSK? Menschen, denen Spieleabende zu hektisch sind? Leute, die zu weit weg vom nächsten Spielekreis wohnen?
„Das sind typische Gründe mitzuspielen, ja. Ich bin damals vor allem wegen der Knobelspiele eingestiegen. Teilweise sind das Eigenentwicklungen, die es in der Form nirgends sonst gibt. Als Abonnent wird man auch Teil einer Gemeinschaft: Ostern etwa treffen sich unsere Leser für eine Spielewoche. Postspielen ist etwas Dauerhaftes, anders als das Online-Spielen, wo man heute mal hier reinklickt und morgen dort.“
Auf der KSK-Website steht „Eine Kündigung des Abos ist nicht vorgesehen“ und im Heft gibt es den „Abo-Pranger“, eine Seite, die Namen von Lesern auflistet, die im Zahlungsverzug sind. Ist ein KSK-Abo ein Bund fürs Leben, inklusive halböffentlichem Rosenkrieg, wenn man raus will?
„Im Prinzip endet ein Abo, wenn man keine Beiträge mehr überweist. Aber wir wollen niemand einfach rausschmeißen, weil er nach mehreren Jahren einmal vergisst zu bezahlen. Deshalb tauchen die Leute auf dem Abo-Pranger auf. Wer will, kommt aber natürlich raus.“
Neben den Auswertungen veröffentlichen einige Spielleiter Anekdoten aus ihrem Alltag, manchmal auch Kampfansagen der Mitspieler. Wie ernst nehmen die Leser die Spiele?
„Der Spaß ist das Wichtigste, Postspiele sind kein Leistungssport. Aber gewinnen will man natürlich. Die meisten Leser investieren viel Zeit in die Spiele, suchen zum Beispiel im Duden nach Wörtern für ihren Scrabble-Zug. Manche empfinden es sogar als stressig, dass für jeden Zug nur anderthalb Wochen bleiben. Die wollen noch länger überlegen.“
Wie wichtig ist das Magazin als gemeinsamer Überbau für die Spielauswertungen?
„Natürlich könnte man jedes Spiel einzeln aufziehen, aber das würde die erwähnte Lesergemeinschaft zerstören. Dann verliert es sich, das Wechseln zwischen den Spielen fällt schwerer. Wir haben sogar Leser, die kein Spiel mehr spielen, aber trotzdem Abonnenten geblieben sind, aus Tradition.“
Sie produzieren den KSK in Ihrer Freizeit, alle drei Wochen erscheint ein neues Heft. Nervt diese Aufgabe nicht irgendwann?
„Noch ist alles gut. Ich halte mir meistens einen Teil des Wochenendes frei, um die Seiten zusammenzufügen, die mir die Spielleiter schicken. Aber theoretisch könnte ich das auch im Urlaub machen, ich brauche nur einen Computer mit Internet. Mein Vorgänger hat übrigens lange durchgehalten, 18 Jahre.“
Im Heft finden sich immer wieder Abkürzungen, Spieleerklärungen gibt es praktisch keine. Wie findet man als neuer Leser Anschluss?
„Einige Abkürzungen wie NMR und ZAT haben wir auf unserer Website erklärt, in unserem Abonnentenbereich gibt es auch ein Regelarchiv. Ansonsten empfehle ich, dem Leiter eines Spiels eine E-Mail zu schreiben, wenn man Fragen hat. Gern auch eine Postkarte.“
Frau Winter, herzlichen Dank für das Gespräch.
Infos zum Heft
Der Kirchheimer Spiele-Kurier (KSK) erscheint dreiwöchentlich, das Heft ist ausschließlich im Abo erhältlich. Die rund 125 Mitspieler und Leser bekommen es wahlweise als schwarz-weißes Printmagazin oder im PDF-Format, für vier beziehungsweise einen Euro pro Ausgabe. Interessenten können online ein Probeheft anfordern.
Das Magazin gibt es seit 1987 als typisches PBM-Zine, mehr als 415 Ausgaben sind bislang erschienen. Susanne Winter ist seit rund einem Jahr Herausgeberin, 25 Spielleiter betreuen die verschiedenen Spiele. Der KSK ist nicht darauf angelegt, Gewinn zu machen.
Das Foto zeigt die KSK-Ausgabe 415 vom 6. März 2013. Sie hat 84 Seiten.