Entdeckt (45): TextArt – Wahre Fiktion und andere Höhepunkte

Von Autoren für Autoren: „TextArt“ verrät Hobbyliteraten, wie sie Erotikszenen prickeln lassen, aber auch Intimes aus einer Jugendschreibgruppe. Außerdem enthüllt das Heft, was „True Stories“ mit der Wahrheit verbindet – und zumindest das ist lesenswert.

covertextart

Mein Plan, berühmter Schriftsteller zu werden, zerschlug sich mit der ersten Veröffentlichung. Mit 16 hatte ich eine Adventsgeschichte an das Anzeigenblatt meines Heimatorts geschickt und prompt den zugehörigen Schreibwettbewerb gewonnen. Doch abgesehen vom Abdruck und dem Hauptpreis, einer Hamburg-Reise, hatte das undankbare Folgen: Ich wurde Coverboy der Weihnachtsausgabe – und landete kurz vor Heiligabend auf der Fußmatte von so ziemlich jedem, den ich kannte.

Per Computertrick hatte mich die Redaktion vor einen Christbaum montiert, mit einer Kugel, so groß wie mein Kopf, darüber die Zeile: „Markus hat die flotteste Feder“. Ein ästhetischer Albtraum, wohl auch für neutrale Leser. Dieser zweifelhaften Art von Ruhm war ich nicht gewachsen und so ergab es sich, dass ich meine Geschichten fortan für Freunde schrieb, statt für die Nachwelt oder das Anzeigenblatt. Und ich wurde Journalist, was mir immerhin ermöglicht, selbst Leuten per Photoshop die Frisur zu ruinieren abzurunden.

Spießig trotz Erotik-Aufmacher

Vielleicht hätte meine Autorenkarriere das Titel-Trauma überdauert, hätte ich damals TextArt gekannt, das „Magazin für kreatives Schreiben“, das ich Ostern zum ersten Mal gekauft habe. Seit 2000 versorgt es Autoren mit Schreib- und Karrieretipps und macht so wohl die besten noch besser. „Unverzichtbar für Schreibanfänger, informativ und manchmal auch verblüffend selbst für alte Hasen“, schwärmt auf der Heftwebsite etwa Rebecca Gablé, die sonst nicht für Tierphrasen bekannt ist, sondern für Ritterromane. Und Krimiautor H.P. Karr, der bestimmt trotz vieler Bücher bescheiden geblieben ist, sagt: „Hätte es Textart schon früher gegeben, hätte ich auch schon viel früher Erfolg gehabt!“

Trotz dieser Lobeshymnen erwartete ich vom Heft zunächst das Schlimmste. Wie viel Kreativität kann ein Magazin wecken, das sogar mit einem Erotikaufmacher bieder aussieht? Dessen Cover auf die Farbkombination rosa-gelb-blau setzt, der man wohl zu Recht selten begegnet? Eine Zeitschrift mit so pulsstabilisierenden Schlagzeilen wie „Schreiben von Anfang an Teil 6“ und „Interview: Harald M. Landgraf“ – wer auch immer das sein mag? Eigentlich überzeugt die TextArt-Titelseite nur in einem Punkt: Egal, ob man das Heft senk- oder waagerecht hält, Logo und Unterzeile bleiben meistens lesbar, dank des doppelten Aufdrucks. Das ist seltsam, aber Service.

Ein mächtiger Pflock? Nicht übertreiben!

Auch im Inneren hat das Heft seine Stärken, dazu zählt die gute Zugänglichkeit. Trotz meiner Vorurteile schaffte ich es, die Ausgabe fast in einem Rutsch durchzulesen – bei anderen Magazinen wie Tatzeit brauchte ich oft nach jedem Text eine Pause. Neben Hinweisen auf Wettbewerbe und Autorenseminare enthält TextArt zum Beispiel zwei ordentliche Kolumnen sowie ein interessantes Interview mit Susanne Fröhlich („Moppel-Ich“). Darin verrät die Bestseller-Autorin, wie sie ihre Geschichten wahrnimmt: „Klar kommen in meinem Büchern Klischees vor“, sagt sie, „– aber im echten Leben eben auch.“

Den Schwerpunkt legt TextArt auf Schreibtipps, darunter fällt die Titelgeschichte, in der Jacqueline Greve („Plantage der Lust“, Rang 272.900 der Amazon-Bestseller) nachvollziehbare Anregungen für erotische Textstellen liefert. Allgemeine Tipps wie „alle Sinne ansprechen“ mixt sie mit konkreten, etwa: „Machen Sie aus der Scheide kein Döschen, aus dem Penis keinen mächtigen Pflock, übertreiben Sie nicht.“ Höhepunkte hält Greve übrigens zwei bis drei pro Szene für zulässig, „ganz egal, was die Natur uns Menschen an Regenerationsphasen vorgibt. Wir schreiben einen Roman, keinen Sachtext für ein Biologie-Buch.“ Wäre auch das geklärt.

Was Journalisten und Kinderbuchautoren verbindet

Viele Schulbuchautoren dürfte TextArt ohnehin nicht beeinflussen, obwohl sein seriös-textlastiges Layout mich an mein altes Deutschbuch erinnert. Das Heft zielt inhaltlich eher auf Hobbyliteraten, die bislang nichts oder wenig veröffentlicht haben. Tipps zum Handwerk wechseln sich mit Artikeln über die Buchbranche ab. Die Frühjahrsausgabe etwa beschäftigt sich mit dem Einkommen von Kinderbuchautoren. Das Fazit dieses Texts erinnert an Studien über freie Journalisten: „Dem Kampf ums (Über)Leben steht offensichtlich eine Erfüllung gegenüber, die mit Geld nicht aufzuwiegen ist.“

Sprachlich kann TextArt weitgehend überzeugen, alles andere wäre für ein Schreibmagazin auch traurig. Gefallen hat mir die Doppelseite „TextArt-Werkstatt“, die Auszüge aus einem Lesermanuskript präsentiert – inklusive roter Anmerkungen einer Lektorin. Zusätzlich zu Standardfehlern (Silvester mit y, Augenlid mit ie, Backe statt Wange) geht die Lektorin auf den Stil des Krimis ein, was ich amüsant und einigermaßen lehrreich fand. Ein „grapschte“ zum Beispiel änderte sie in ein gehobener klingendes „tastete“.

Superwoman trifft den Folterknecht

Überrascht hat mich aber, dass die Lektorin solche Sätze durchgehen lässt: „Pit presste den Kopf in den Schraubstock seiner Hände und rammte ihn im Geiste gegen den nächsten Brückenpfeiler.“ Ich finde beide Sprachbilder furchtbar. Nach redaktionellen Eingriffen schreit auch der sechsseitige Bericht über eine Jugendschreibgruppe, bei dem schon die Überschrift irritiert, nicht nur wegen der Großbuchstaben. Sie lautet: „Sich samstags aus den Betten quälen – UND SCHREIBEN!“. Als wäre Schreiben das Schlimmste der Welt – und es für Jugendliche völlig unnormal, am Samstagvormittag zurechnungsfähig zu sein.

Was folgt, macht den Text nicht besser. Collageartig berichten die Leiterin und einige Mitglieder über die Gruppe, mancher Textteil wirkt absurd. Die Liste „Wer sind wir wirklich, wenn wir in der Werkstatt sind?“ verrät etwa, dass eine Teilnehmerin eigentlich „Superwoman“ ist (Erklärung: „Rettet sich durch ihre pink [sic] Lillifee-Muffins“) und eine andere „Der Folterknecht“. Wissen, das besser im Raum gelieben wäre – weil es sonst niemanden interessiert. Vielleicht hätte lieber jemand Unbeteiligtes die Gruppe porträtieren sollen.

Das Geheimnis wahrer Fiktion

Eine andere Herangehensweise hätte auch den Artikel „Nonsens – Eine sinnvolle Schreibübung“ aufgewertet. Er stammt von der Autorin eines Nonsens-Fachbuchs, was dem Leser nicht verborgen bleibt. Mehrfach verweist sie auf den Aufbau dieses Buches, als wäre dieser unfassbar wichtig. Ihr – Zitat der Autorin – „anregender Ratgeber“ hat es sogar in den letzten Satz geschafft: „Noch sind einige Exemplare zu haben.“ Das folgende „Kaufen! Kaufen! Kaufen!“ hat die Redaktion vermutlich rausgestrichen.

Versöhnt hat mich TextArt letztlich durch das Interview mit Harald M. Landgraf, dass so skurril ist, dass es die Erwähnung auf dem Cover verdient. Landgrafs Antworten fallen zwar stets zu lang aus, aber mich fasziniert sein Job. Als Literaturagent liefert er Trashheften wie Meine Schuld und Meine Wahrheit (Test von 2011) sogenannte „True Stories“, vermeintlich wahre Geschichten, die ich aber nie glauben wollte.

Und Landgraf sagt Sätze, die an die Wand jedes „True Story“-Schreibers gehören, wie: „Jeder Versuch, einen solchen Text hochliterarisch zu gestalten, lässt die Geschichte von vorneherein scheitern.“ Oder: „Ich denke, Gewissensbisse muss niemand haben, weil es [in True Stories] einen durchaus wahren Kern gibt. Die Begebenheiten haben sich in etwa so ereignet und werden sich in immer neuen Varianten wiederholen. […] Die Wahrheit einer True-Story kommt aus sich selbst.“ Fantastisch. Will mich TextArt als Leser gewinnen, braucht dieser Mann eine regelmäßige Kolumne.

Textart – ein Fazit

Erotikromane, Kinderbücher, ausgedachte Schicksale: Hobbyautoren, die sich für mehrere Genres interessieren, dürfte TextArt gefallen. Das Magazin bietet einen ausgewogenen Mix aus Service, Lernen und Unterhaltung, den es optisch aber gern spannender präsentieren könnte. Für ein Heft, das nur alle drei Monate erscheint, ist TextArt mit 60 Seiten zudem relativ dünn. Entsprechend stark fallen die schwächeren Texte auf.

Eine Kleinigkeit, die ich mir im Heft noch gewünscht hätte, sind Leseempfehlungen: TextArt stellt zwar einige Schreibratgeber vor, ähnlich wertvoll fände ich jedoch Romantipps, mit Hinweisen wie „Dieses Buch hat eine einzigartige Erzählperspektive“ oder „Jener Autor wechselt geschickt das Erzähltempo“. Schließlich kann man auch aus der Praxis lernen.

Übrigens, Stichwort Tempowechsel: Meinen Preis vom Schreibwettbewerb habe ich damals gegen ein Turntable getauscht, um eine DJ-Karriere zu starten, nach dem Motto „Zu cool fürs Anzeigenblatt“. Doch auch diese Idee verfolgte ich nicht lange, aus gutem Grund: Keiner meiner Übergänge klang auch nur halb so erträglich wie die Adventsgeschichte.


Infos zum Heft

TextArt erscheint vier Mal jährlich im TextArt-Verlag, der auch Themen- und Sonderhefte des Magazins veröffentlicht.

Laut seiner Website kam das Heft im Jahr 2000 auf den Markt. Die Druckauflage liegt derzeit bei 20.500 Exemplaren. Vertrieben wird TextArt seinen Mediadaten zufolge per Abo sowie über den Bahnhofsbuchhandel und einige Fachhändler.

Beschrieben wurde die Ausgabe 1/2013. Sie hat 60 Seiten und kostet 4,80 Euro.

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