Ist es immer ärgerlich, wenn eine Zeitschrift eingestellt wird? Nö. Weitere Ausgaben von „Action & Wissen“ könnte wohl auch jeder Leser selbst produzieren. Als Hilfsmittel reichen Wikipedia, Googles Bildersuche und ein paar Folgen Galileo. Ein Leitfaden.
Schlimmer geht immer – bei Wissensmagazinen stimmt diese Phrase. Eigentlich wollte ich an dieser Stelle über Wissen & Staunen schreiben, ein Heft, das mir durch seine sperrige Schlagzeile aufgefallen war. „Mysteriöse Psycho-Manipulationen durch Handys und Smartphones“, das klang nach allem außer Enthüllungsjournalismus, ebenso der zugehörige Hinweis: „Achten Sie mal bei Freunden und Kollegen auf die ersten Symptome!“ Doch wenige Tage später entdeckte ich eine Zeitschrift, die mich noch mehr beeindruckte.
Action & Wissen aus dem Verlag NewLevel Establishment, der früher Maxim veröffentlichte, vereint auf 56 Seiten fast alles, was mich bei Magazinen nervt: stilistische Eintönigkeit, Copy-&-Paste-Journalismus, einen Sprachstil, der die Lektüre zur Qual macht. Die laut Impressum mindestens sechsköpfige Redaktion macht genau die Art von Zeitschrift, die ich Feinden im unkündbaren Abo wünsche. So war ich fast sauer, als mir der Verlag nicht die Heftauflage verriet, sondern, dass Action & Wissen eingestellt wurde. Meinem Blog können doch nicht einfach die Negativbeispiele ausgehen.
Was mich beruhigt: Das Aus von Action & Wissen ist weniger tragisch, als bei anderen Trash-Zeitschriften. Denn das Heft könnte weiterlaufen. Prinzipiell ist jeder – nicht wie bei vielen Fachmagazinen nur die Redaktion – in der Lage, neue Ausgaben zu produzieren. Mit dem folgenden Leitfaden möchte ich mithelfen, dass auch in Zukunft genügend überflüssige Magazine entstehen.
Die Ratschläge zum Magazinmachen basieren auf meinem Eindruck der Ausgabe 1/2013, aus der alle Zitate und Beispiele stammen. Man sollte sich die Tipps in keinem anderen Kontext zu Herzen nehmen.
In zehn Schritten zur eigenen Ausgabe Action & Wissen
1) Themenwahl – Galileo gemixt mit Taff
Keine Sorge, wer eine Ausgabe Action & Wissen plant, muss nicht stundenlang in Konferenzen hängen. Einige Folgen Galileo, Taff oder Welt der Wunder dürften genug Kuriosa liefern, um 48 oder zuletzt sogar 56 Heftseiten mit Inhalt zu füllen. Ein Matsch-Festival in Südkorea? Passt perfekt. Bunt beleuchtete Trucks in Japan? Fantastisch. Das Great Barrier Reef? Geht immer. Auf antiquierte Themenfilter wie Ressorts verzichtet Action & Wissen nämlich.
Gern dürfen sich die 25 Artikel ähneln: Vorn im Heft kann es etwa um Tierfotografie gehen und hinten um Tiere, die per Photoshop erfunden wurden. Dazwischen packt man die nicht ganz so spektakulären Themen, wie das Sportholzfällen. Per Bauchgefühl oder Münzwurf klärt sich, ob die Themen englische Schlagwörter bekommen, wie „Snowmobile“ und „Shark Petting“, oder deutsche, wie „Matsch-Fest“ und „Grenzenlos kreatives Tragetaschendesign“.
2) Erzählansatz – Belang- und vor allem zeitlos
Das Heftkonzept von Action & Wissen verlangt Es-gibt-da-Geschichten, ausschließlich. Motto: Es gibt da dieses Festival, es gibt dort jene Trucks, es gibt irgendwo coole Tragetaschen, und so weiter. Niemanden interessiert, dass der Kletterer die im Heft beschriebene Expedition gut überstanden hat. Der Leser muss nur wissen, dass es überhaupt jemanden gibt, der solchen Extremsport macht. Ein guter Action-&-Wissen-Text ist belang-, aber vor allem zeitlos.
Eine Haltung zum Thema braucht man als Autor nicht – sie wäre ohnehin Zeitverschwendung, weil alle Artikel anonym erscheinen. Hin und wieder ist aber ein Empörungsmoment unumgänglich, etwa bei den Photoshop-Tieren: „Anstatt zum Beispiel Menschen zu verschönern, nutzen sie [„immer mehr Anwender“] das Photoshop-Programm, um bizarre Kreaturen ins Leben zu rufen“, passt dazu, und: „Sie täuschen damit durchaus deren Existenz vor.“
3) Textlänge – Gleiches Recht für alle Themen
Ist der Kletterer wichtiger als das Matsch-Fest? Egal. Diskussionen, welches Thema wie viel Platz bekommt, erübrigen sich bei Action & Wissen. Jeder Artikel ist gleichlang, eine Doppelseite mit sechs bis dreizehn Fotos.
Bei den Textformen reicht es, den Bericht zu beherrschen. Meldungen oder Interviews haben im Heft nichts verloren, direkte Zitate erst recht nicht.
4) Überschriften – Mal ein Ausrufezeichen setzen
Jede Überschrift braucht eine Oberzeile, die den Leser aktiviert: Zum Beispiel, indem sie eine nie beantwortete Frage aufwirft, wie „Genial oder geschmacklos?“ bei Paintball oder im Fall von Gliese 581: „Liegt im Weltall die Wiege der Zukunft der Menschheit?“. Optional lässt sich die Oberzeile nutzen, um darüber hinwegzutäuschen, dass im Heft fast keine Frauen vorkommen. „Bodybuilding nicht nur für Männer“ ist eine naheliegende Zeile für einen Artikel, in dem es ausschließlich um männliche Sportler geht.
Mancher Überschrift lässt sich mit einem Ausrufezeichen der letzte Kick geben. Das gilt etwa für „Das Madame Tussauds-Museum London begeistert Touristen: Alles in Wachs!“ oder „Feuer – Faszination und Phänomen!“.
Bei den Oberzeilen bleibt dem Layouter Raum zur Selbstverwirklichung: Diese kann er wahlweise in Großbuchstaben formatieren oder nicht. Die Überschriften dagegen muss er fast durchgängig im Neunziger-Stil schattieren.
5) Recherche – Vorspann aus der Enzyklopädie
Da das Heft niemanden direkt zitiert, braucht man prinzipiell nicht mit Menschen zu reden. Wikipedia ist sowieso die unkompliziertere Quelle. Über Lawinen heißt es dort: „Erst im späten 18. Jahrhundert wurde der Ausdruck […] vor allem durch Friedrich Schillers Wilhelm Tell im übrigen deutschen Sprachraum bekannt gemacht, wobei die Betonung des unbekannten Wortes auf die vorletzte Silbe verlegt wurde.“
So etwas sicher für irgendwen Wissenswertes lässt man als Autor beiläufig in seinen Artikel einfließen, etwa so: „Schillers Werk ‚Wilhelm Tell‘ machte das Wort Lawine auch im deutschsprachigen Raum bekannt mit Betonung auf der vorletzten Silbe.“
Beginnt ein Enzyklopädie-Artikel gelungen, darf sein Einstieg zum Textvorspann werden. Kein eigener Satz würde wohl mehr Lust auf einen Riesenschnecken-Artikel machen als dieser, der bis auf eine Kürzung mit Wikipedia identisch ist: „Die Familie der Perlboote fasst in den Gattungen Nautilus und Allonautilus die letzten sechs heute noch lebenden Arten der Nautiliden zusammen.“
6) Informationsgehalt – Länderklischees und Zeitsprünge
Ungefähre Richtlinie: Auf jeden Satz mit Fakten aus dem Netz folgt in Action & Wissen einer, dessen Inhalt sich der Autor selbst überlegen muss. Beim Thema Sportunfälle kann man den Leser mit solchen Infos schlauer machen: „Während beim Rallyesport Pilot und Co-Pilot einigermaßen geschützt sind und bei einem Crash der touchierte Fan in Todesgefahr sein kann, ist die Verletzungsgefahr beim Radfahrer mindestens ebenso hoch wie beim Fan, oft sogar noch höher. Bergauf nicht ganz so krass wie bergab […].“
Fehlen eigene Erfahrungen, wie im Fall des Matsch-Festivals, darf man sich diese ausdenken, nach dem Vorbild: „Der erste Dreck ist irgendwie der Geilste.“ Alternativ lassen sich Zeilen mit Länderklischees füllen: „Wo findet so ein […] befreiender Unsinn eigentlich statt? Kaum zu glauben, aber dort, wo die Menschen immer freundlich lachen und artig nicken, in Südkorea. Vielleicht sind die deswegen so entspannt und dauerfröhlich?“
Während man die Texte schreibt, sollte man sich geistig ungefähr ins Jahr 2009 zurückversetzen: Arnold Schwarzenegger ist daher der „heutige Gouverneur von Kalifornien“. Und die Berliner Madame-Tussauds-Niederlassung öffnete, als der Film Operation Walküre im Kino lief, „im vergangenen Jahr“.
7) Sprachstil und Humor – Heckenschützen, haha
Was passt besser zu einem Action-Heft als Bürokratendeutsch? Prinzipiell simple Sätze sollten immer mal wieder so klingen: „Grundlage für einen erfolgreichen Schutz und Fortbestand der Conchos ist jedoch eine einheitliche Gesetzgebung die Entnahme der Schnecken betreffend.“
Politisch inkorrekte Witzeleien sind willkommen – Hauptsache, außer einem selbst lacht niemand darüber. Ein in dieser Hinsicht gelungener Vorspann: „In Afghanistan ist schon wieder ein deutscher Soldat gefallen. Er wurde Opfer der Taliban. Hierzulande wird am PC geballert. Oder im Wald: Paintball.“ Am Artikelende erwähnt man als konsequenter Schreiber noch das „Laufkondom“, das Paintball-Spieler vor versehentlich ausgelösten Schüssen schützt. Schlusssatz: „Klappt leider nicht bei Heckenschützen im echten Krieg.“
8) Fotos und Bildunterschriften – Paint im Print
Was beim Unireferat hilft, taugt auch fürs Magazinmachen: Googles Bildersuche. Bei vielen Themen muss man nur das richtige Schlagwort ins Suchfeld tippen, etwa „Gliese 581“: Schon finden sich auf den ersten Ergebnisseiten fast alle Fotos, die im entsprechenden Action-&-Wissen-Artikel vorkommen würden. Da das Heft keine Bildquellen nennt und manche Aufnahmen verpixelt sind, darf man sogar guten Gewissens ein Foto drucken, bei dem die Paint-Bearbeitung die Netzherkunft andeutet.
Fehlt einem Webfoto die Beschreibung, wie dem hier verlinkten Shark-Petting-Bild, darf man im Text durchscheinen lassen, dass man spekuliert: „Offensichtlich hatte sich ein sehr imposantes und riesiges Exemplar von Weißem Hai in einem Fischernetz verfangen […] Der Draufgänger befreite daraufhin anscheinend das schaurige schöne Ungetüm, welches sich danach wohl nicht von seinem Retter trennen wollte […] Der weiße Hai schien sich mit dem Fischer auf friedliche Art spielerisch die Zeit vertreiben zu wollen.“
9) Werbung – Ein Lob für Jochen Schweizer
Ins Heft gehören keine bezahlten Anzeigen, sondern Werbemotive von NABU, PETA und ähnlichen Organisationen. Im Gegenzug ist es okay, unauffällig zweispaltig von den Angeboten von Jochen Schweizer zu schwärmen: „Unter jochen-schweizer.de kann man sich beispielsweise fantastische Erlebnisse mit Snowmobilen buchen. […] Der Anbieter hält optimal präparierte Strecken parat mit Sprunghügeln und Steilkurven für einen maximalen Fahrspaß.“
Anderseits ist Schneemobilfahren ohne Schweizer auch unverantwortlich, oder? „Oft werden die Kraft des Antriebs und die auftretenden Lenkkräfte unterschätzt, was leider immer wieder zu Unfällen mit Verletzten und Toten führt“, schreibt man deshalb vorher in solch einem Artikel, „[…] Das Ertrinken ist ebenfalls eine tückische Strafe für leichtfertiges Rasen.“ Also: „Wer auf Nummer Sicher gehen will, wählt den Spaß zusammen mit einem professionellen Anbieter.“
10) Inhaltsverzeichnis – Mut zum Mashup
Bei 25 Artikeln fällt es mitunter schwer, die Übersicht zu behalten. Vergisst man einen Text im Inhaltsverzeichnis, gilt daher: Mut zum Mashup. Die Texte „Snowmobile im Wandel der Zeit!“ und „Tödliche Lawinen!“ zum Beispiel lassen sich gemeinsam ankündigen, als „Snowmobile im Wandel der tödlichen Lawinen“. So spannende Themen bietet nicht mal Galileo.
Action und Wissen – ein Fazit
Sind 56 Seiten beisammen, hilft nur der Praxistest: Ist die selbst gebastelte Zeitschrift eine würdige neue Ausgabe von Action & Wissen? Hier gilt die Faustregel: Weigern sich selbst gute Freunde, das Heft für 4,90 Euro zu kaufen, und liest es auch kostenlos keiner, ist es wohl nah am Original. Glückwunsch – und danke für den Einsatz zum Erhalt des Magazinschrotts.
Infos zum Heft
Action & Wissen ist bei NewLevel Establishment erschienen, einem Verlag mit Sitz in Liechtenstein. Meines Wissens kamen mindestens drei Ausgaben auf den Markt. Websites zu Verlag oder Heft habe ich jedoch keine gefunden. Früher – mittlerweile ist sie eingestellt – hat NewLevel Establishment die deutsche Maxim-Ausgabe veröffentlicht.
Nach Auskunft des Verlags wurde Action & Wissen mit der im Artikel beschriebenen Ausgabe 1/2013 eingestellt. Sie hat 56 Seiten und kostet 4,90 Euro, Mitte April habe ich sie in einem Münchner Zeitschriftenladen gefunden. Das Heft sollte laut Impressum zweimonatlich erscheinen. Wie hoch seine Auflage war, weiß ich nicht.