Entdeckt (48): Kurt – Quelle: Wikeda

Die „Sport Clips“ als TV–Tipp, ein Toter in der Rubrik „Was macht eigentlich …“: Die Wochenzeitung „Kurt“ ist das Absurdeste, was ich seit Langem gelesen habe. Wo sonst schreibt die Redaktion sogar Wikipedia falsch die Quelle der Titelgeschichte?

coverkurt

Mindestens Teile dieser Texte habe ich in den letzten Tagen gelesen. Nicht online, sondern in einer Ausgabe Kurt, einer neuen Wochenzeitung, die seit Ende Juni bei mir herumlag. Die Ausgabe hat die Unterzeile: „Mit Themen, die interessieren. Reportagen, die wachrütteln und Undercover- Einsätzen.“ [sic]. Das war ein wenig viel versprochen.

Trotzdem hinterließ Kurt bei mir bleibenden Eindruck. Die Zeitung überfordert mich. Entweder das Blatt ist so drastische Satire auf alle zusammenkopierten Hefte, auf den ganzen Journalismus –, dass ich es nicht mehr merke, oder so unfreiwillig komisch, dass ich mich fast schäme, es zu verreißen.

Schon die Zielgruppe ist mir ein Rätsel. Wer soll eine Zeitung mit dem Titel Kurt und diesem Inhalt kaufen? Frank-Zander-Fans, die der Online-Hinweis „Hier kommt Kurt… so der Slogan der neuen Wochenzeitung“ zum Kiosk lockt? Computer-Laien, die versehentlich Yahoo geblockt haben und die Flirttipps vermissen? Menschen, die Artikel der Apotheken Umschau nur lesen, wenn diese neben Vice-Texten erscheinen?

Fakt ist, dass Kurt seit Mitte Mai jeden Montag erscheint, prinzipiell bundesweit. Im Impressum stehen vier Namen und es drängt sich nicht unbedingt der Eindruck auf, als hätten mehr Personen daran gearbeitet.

„Deobandisch“ im ersten Satz

So kommt es ja immer wieder vor, dass sich Redaktionen bei Wikipedia-Texten bedienen. Aber ich kann mich an kein Heft erinnern, bei dem ausgerechnet die Titelgeschichte in weiten Teilen dem dortigen Eintrag entsprach. Kurt schenkt mir dieses Erlebnis. „Die Taliban sind eine deobandisch-islamistische Miliz, welche von September 1996 bis Oktober 2001 große Teile Afghanistans beherrschte“, heißt es entsprechend am Artikelanfang und online hätte ich schon bei deobandisch auf den Erklärlink geklickt. Wer bis Textende durchhält, stößt zumindest auf eine der seltenen Quellenangaben. Sie lautet „Wikeda“ [sic].

Der Rest der Ausgabe wirkt kaum professioneller. Von den längeren, verlinkten Texten abgesehen, wechseln sich Politik- und Verbrechensmeldungen mit Kuriosa ab, wie „Hund beißt schlafendem Herrchen zwei Zehen ab“. Zusätzlich gibt es eine Vatikan-, eine Witze- und eine Erotikseite. Das Auffälligste an letzterer ist eine Kontaktmagazin-Anzeige mit barbusigem Covergirl.

Ein Treffen wie im Film

Zu den wenigen Kurt-exklusiven Artikeln zählt ein Text, in dem die Chefredakteurin vom Treffen mit einer Exil-Iranerin berichtet. Statt diese Frau selbst zu Wort kommen zu lassen, etwa als Interview, verliert sich der Artikel aber in Geschwafel. Die Chefredakteurin erläutert, wie das Treffen zustande kam und ablief, mit Sätzen wie „Endlich war mal was los und das Reporterherz überschlug sich“ und: „Glauben Sie mir, es war wie im Film!“

Solche Pseudospannung bietet die Zeitung auch an anderer Stelle: im längeren Auszug eines Krimis, den die Kurt-Chefin laut Amazon 2009 veröffentlicht hat. Sprachniveau: „Plötzlich sackt der Mann zusammen und kracht wie ein nasser Kartoffelsack lautstark zu Boden.“ Bestellen lässt sich das Buch für 6,66 Euro.

Vice versus Wikipedia

Der Sprachstil wechselt in Kurt ständig. Je nach Quelle klingen die Texte mal nach Lexikon, mal nach Nachrichtenagentur, mal nach Vice-Magazin: „Außer natürlich, du findest es geil, wenn dein Körper zu 90% Verbrennungen dritten Grades hat“. Stellenweise wirken die sprachlichen Brüche wie Absicht. Die Vice-Polemik „Wo knallt es im Jahr 2013?“ etwa ergänzt die Redaktion um die Kriegs-Definition der Wikipedia. Den ersten Reisetipp, Mardorf, stellt Kurt nüchtern per Wikipedia-Text vor. Lust auf den zweiten Tipp, Liechtenstein, machen Texte von der offiziellen Tourismus-Website.

Behördendeutsch bietet die Seite „Die Polizei bittet um Mithilfe!“, die Fahndungsaufrufe wiedergibt, im Stil des Krimihefts Tatzeit. Und auch optisch erinnert Kurt ein wenig an dieses Magazin. Zum chaotischen Layout gehören seltsame Symbolfotos, ebenso bunte und schattierte Überschriften. Manche Textzeile erstreckt sich über die komplette Seitenbreite. Anderswo sind Meldungen so angeordnet, dass sie fast ineinander laufen.

Sport Clips als TV-Tipp

Die heftigsten Zweifel an Kurts Ernsthaftigkeit hatte ich auf den beiden letzten Seiten. Zu den Sport-TV-Tipps zählen jeden Tag ein Dutzend Mal die Sport Clips, ein nächtliches Softporno-Format. Und die Rubrik „Was macht eigentlich…“ widmet sich Ivan Rebroff, einem Sänger, der 2008 gestorben ist. Unklar, wieso Kurt hier auf den Wikipedia-Eintrag Verwesung verzichtet hat.

Ebenfalls absurd: Schlagwörter-Boxen, die auf einigen Seiten auftauchen. „Spannend“ steht unter folgender Meldung: „Bei der Roten Nacht des Bundes sozialdemokratischer Akademiker konnte Vorsitzender Christian Forsterleitner gestern zahlreiche SP-Spitzenvertreter im Linzer Schloss begrüßen.“ Und auch für die Boxen „Angst“, „Blut“ und „Henker“ hat die Redaktion einen Platz gefunden: nahe der Info, dass in Sri Lanka eine Haushälterin geköpft wurde.

Kurt – ein Fazit

Obwohl Website und Pressemitteilung prinzipiell auch den gegenteiligen Schluss zulassen: Ich fürchte, Kurt ist tatsächlich eine Wochenzeitung ohne zweite, satirische Ebene. Bleiben würde ein Blatt voller solider bis belangloser Texte, deren Großteil ich auch online lesen könnte, bei Wikipedia, Yahoo oder Vice. Zumindest anhand meiner Ausgabe wüsste ich nicht, was mich motivieren soll, für Kurt Geld auszugeben. Für ein Blatt, dessen Alleinstellungsmerkmale anscheinend die trashige Optik und eine gewisse unfreiwillige Komik sind.


Infos zur Wochenzeitung

Kurt erscheint als Wochenzeitung jeden Montag, dahinter steht der Bochumer Imblickverlag. Nach Eigenangaben hat dieser früher bereits die Wochenzeitung Imblick auf den Markt gebracht.

Am 13. Mai 2013 ist Kurt mit einer Druckauflage von 10.000 Exemplaren gestartet. Die Zeitung wird per Pressegrosso bundesweit vertrieben. Ich habe mein Exemplar in einem Münchner Zeitschriftenladen gekauft.

Beschrieben wurde die Ausgabe 26/2013 vom 24. Juni. Sie hat 24 Seiten und kostet 1,90 Euro.

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