Magazin-Menschen (1): Die Verkäuferin – „Gruftis sind wahnsinnig nett“

Sie arbeitet inmitten von hunderten Magazinen, liest aber kaum eins: Katharine, 54, verkauft seit 20 Jahren Zeitschriften. Ein Gespräch über Cover, Klatsch und Kunden.

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Mit Zeitschriften lässt sich viel Zeit verbringen, das wissen die Sammler, Lesezirkler und Großhändler dieses Landes besser als ich. Für viele gehören Hefte seit Jahren zum Alltag. Auch online ist Print noch immer vielerorts präsent: Das Blog Topf voll Gold widmet sich seit April der Regenbogenpresse, Voll auf die Presse stellt seit Anfang 2012 Magazine vor. Und mit Pressesch(l)au startet in diesen Tagen sogar eine Webshow über Gedrucktes.

Das alles ist zu spannend, um nicht in diesem Blog vorzukommen. Unter dem Schlagwort Magazin-Menschen werde ich daher in loser Folge Personen interviewen, die sich intensiv mit Zeitschriften beschäftigen – aus Spaß, im Sinne der Wissenschaft oder ihres Jobs wegen.

Meine erste Interviewpartnerin hat seit 20 Jahren fast täglich mit Magazinen zu tun. Katharine, die hier nur mit dem Vornamen auftauchen will, ist Zeitschriftenverkäuferin. Die 54-Jährige arbeitet in einem Laden am Münchner Hauptbahnhof, im Eingang der Karstadt-Filiale. Zum Sortiment dort zählen mehr als tausend Titel, vom Astrologie- bis zum Uhrenmagazin.

Kioskforscher: Katharine, als Kind träumte ich davon, Zeitschriften zu verkaufen – und endlich jedes Heft lesen zu können.

Katharine: „So läuft das nicht. Bei der Arbeit blättere ich höchstens mal durch die Neuerscheinungen – damit ich weiß, was überhaupt drin steht. Ich fange morgens um halb 8 an, da sortieren wir die alte Ware weg, die neue ein. Und sobald der Laden um halb 9 öffnet, ist dauernd etwas los.“

Lesen Sie denn nach der Arbeit Magazine?

„Höchstens mal ein Kochheft. Bücher sind mir lieber. Das ist wahrscheinlich wie bei jemandem, der im Süßwarenladen arbeitet: Der hat abends auch keine Lust aufs Naschen.“

Kennen Sie jedes Heft Ihres Ladens?

„Die Titel kenn ich alle: Ich kann aus dem Kopf sagen, ob wir ein Heft führen und wo es steht. Beim Inhalt wird es schwieriger. Richtig reingelesen habe ich wohl nicht mal in die Hälfte aller Magazine – das sind einfach zu viele.“

Beim Verkaufen schauen Sie oft stundenlang auf Zeitschriftencover. Nervt das nicht irgendwann?

„Die Fernsehzeitschriften könnten gern abwechslungsreicher sein – optisch unterscheiden die sich doch nur durch die Haarfarbe des Models. Zu häufig auf Titelseiten ist Heidi Klum: Manchmal habe ich das Gefühl, die zieht gleich bei mir ein. Am liebsten habe ich die Neon-Cover auf der Theke liegen, die erscheinen immer in einer anderen Farbe und sind oft sehr schön.“

Wer sind Ihre angenehmsten Kunden?

„Gruftis, also Leute, die schwarz angezogen sind, sind wahnsinnig nette Kunden. Total höflich, wenn sie ihre Musik-Hefte kaufen. Auch Ganzkörper-Tätowierte sind auffallend freundlich. Die anstrengendsten Kunden tragen Aktenkoffer und Anzug. Die halten sich oft für etwas Besseres.“

Männer-Regal

Sport, Computer, Wirtschaft, Uhren: Das Regal mit den Männer-Zeitschriften.

Wie häufig passiert es, dass Leute die Hefte schon im Laden lesen?

„Das Problem habe ich fast nur mit älteren Kunden – jüngere kommen rein und wissen genau, was sie wollen. Hat jemand ein Heft seit zehn Minuten in der Hand, sage ich ihm, dass er das jetzt auch kaufen könne.“

Wie reagieren diese Leute?

„Viele antworten, es würde doch jeder im Laden lesen oder, dass sie ein Recht dazu haben. Manche erzählen auch, was sie von Beruf sind: dass sie das dürfen, weil sie Arzt sind oder Anwalt. Oder weil ihr Partner diesen Job hat.“

Wie viel verraten Ihnen die Heftkäufe über die Menschen?

„Ich merke, ob die Großmutter für die Enkel einkauft oder für sich. Oder ob jemand einen Packen Hefte fürs Altersheim besorgt. Aber sonst denke ich da nicht darüber nach. Manchmal erzählen ältere Kunden, dass sie sich Yellow-Press-Hefte nur kaufen, um sie zum Einschlafen durchzublättern. Dass ihnen deshalb egal ist, ob die Wahrheit drinsteht.“

Die Käufer wissen, dass in den Klatschblättern Quatsch steht?

„Meistens schon. Vor einigen Wochen kam aber auch eine Kundin und berichtete, das Baby von Kate und William sei da. Ihr habe ich dann erklärt, dass so eine Nachricht wohl nicht exklusiv in der Aktuellen steht – das hätte man im Fernsehen mitbekommen [passender Bericht zum Thema]. Bei vielen Schlagzeilen reicht ja schon der Blick aufs Cover nebenan: Einmal ist ein Promi-Paar groß verliebt, einmal fast geschieden.“

Frauen-Regal

Klatsch, Kochen, Astrologie: Hefte mit solchen Schwerpunkten landen im Frauen-Regal.

Wer kauft heutzutage noch Schmuddel-Hefte wie die St. Pauli Nachrichten?

„Manchmal sogar junge Leute, aus Neugier oder als Gag. Ein paar Mal im Jahr kommen Frauen vorbei, die für einen Junggesellinnen-Abschied eine Playgirl-Ausgabe wollen – dabei wurde das Heft vor Jahren eingestellt. Ich sag dann: ‚Nehmen Sie eine Schwulen-Zeitschrift und schneiden Sie die Männer aus.'“

Welche Magazine finden Sie persönlich kurios?

„Gar keine. Es gibt auch keinen Zeitschriftentitel, bei dem ich einen Lachreiz bekomme. Manchmal wundert es mich, welche Art von Heft sich gut verkauft. Derzeit läuft zum Beispiel Happinez sehr gut, ein Heft, das in die Esoterik-Richtung geht. Hätte ich nicht gedacht.“

Wie hat sich das Sortiment Ihres Ladens verändert?

„Die Land-Magazine nehmen mittlerweile viel Platz weg. Da beschweren sich manche Käufer schon, dass sich die Inhalte doppeln. Auch die Fächer für Gesundheits- und Elternhefte sind größer geworden, dafür gibt es weniger zum Thema Auto und Computer. Als Verkäufer nervt uns, dass immer mehr Ausgaben mit mehreren Covern erscheinen: Das kostet Platz und dauernd fragen Leute, ob wir noch diese oder jene Variante haben.“

Überfordert die große Auswahl viele Kunden nicht sowieso völlig?

„Kunden bringt es am ehesten durcheinander, wenn viele Sonderhefte oder Ableger erscheinen. Wer etwa die Frauenzeitschrift Lisa sucht, kann versehentlich die Lisa Blumen erwischen oder die Lisa Kochen oder die Lisa Wohnen.“

Nach welchem Prinzip sind die Hefte im Laden verteilt? Können Verlage prominente Plätze buchen?

„In anderen Läden mag das gehen. Wir ordnen alles selbst. Auf dem Tisch am Eingang etwa liegen gerade die Magazine zum Thema Urlaub, wegen der Ferien. Im Winter kommen dort die Strick- und Bastelhefte hin. Auf der Theke liegen die Hefte, die sich am häufigsten verkaufen oder gerade erschienen sind – heute etwa das Fußballheft 11Freunde und der Effecten-Spiegel, ein Börsenblatt. Bunte und Stern liegen eigentlich immer auf der Theke.“

Wie sieht es bei den Regalen aus?

„Kinderzeitschriften stehen immer unten, Sexzeitschriften oben. Unser Laden hat drei Regale: Eins für Männer, vor allem mit Sport- und Technikheften, dazu Uhren, Wirtschaft, Politik und Musik. Eins für Frauen, mit Yellow Press, Basteln, Gesundheit, Erziehung, Kochen, Astrologie. Im dritten Regal steht der Rest: Kinder, Wohnen, Selbermachen, Wissen.“

Wer bestimmt, was ins Sortiment kommt?

„Uns beliefert ein Presse-Grossist. Fliegt etwas aus dem Programm, hat es sich nicht gut verkauft. Die Nachfrage wird auch vom Wetter beeinflusst: Jetzt im Sommer verkaufen wir mehr Yellow Press, für den Ausflug zum See wollen viele Kunden leichte Unterhaltung.“

Werden Zeitschriften eigentlich häufig geklaut?

„Das kommt vor. Bei Kinderheften lassen Ladenbesucher gern die Spielzeuge mitgehen. Und die Diebe sind selten Kinder. Da fehlen manchmal Extras und wir wissen, dass nur Omas am Regal waren.“

Danke für das Gespräch.

 

Infos zum Zeitschriftenladen

Der Zeitschriftenladen, in dem die Interviewpartnerin Katharine arbeitet, liegt im Durchgang vom Münchner Hauptbahnhof in die Karstadt-Filiale.

Mit Ausnahme des Sonntags hat der Laden täglich von 8.30 bis 20 Uhr geöffnet. Er gehört zur Kette Jost Media plus.

Hinweis: Ich habe auch bei zwei größeren Bahnhofskiosk-Ketten Verkäufer-Interviews angefragt, bekam jedoch Absagen.

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