Von wegen, es gibt immer weniger Wald: Unabhängig voneinander erscheinen in Deutschland und Österreich Wald-Magazine mit ähnlichem Konzept und demselben Namen. Welches Heft ist besser?
Ich wäre auch mit nur einem Wald-Heft zufrieden gewesen. Von einer Kollegin hatte ich letztes Jahr erfahren, dass es in Österreich eine Zeitschrift namens WALD gibt, ein Outdoor-Magazin, das auch Nicht-Förster lesen. Per Mail und über den Bahnhofskiosk versuchte ich, eine aktuelle Ausgabe zu bestellen, denn eigentlich ist WALD in Deutschland nur im Abo erhältlich. Erfolglos. Als ich genervt in einen Salzburger Zeitschriftenladen fuhr, war das Heft gerade ausverkauft.
Umso kurioser, dass ich jetzt, eine weitere Probeheft-Anfrage und Monate später, gleich zwei Wald-Magazine besitze. Kaum war das österreichische Magazin angekommen, hatte ich in hiesigen Regalen ein Heft mit demselben Namen und Thema gefunden.
Wald, mit Kleinbuchstaben im Schriftzug, ist erst seit September auf dem Markt, nach Auskunft der Verlage haben die Magazine nichts miteinander zu tun. Eine gute Gelegenheit also für einen Vergleich: Neustarter gegen Routinier, deutsche gegen österreichische Redaktion.
1) Der erste Eindruck: Billig trotz 500 Euro
Vom Cover her hielt ich das deutsche Heft zunächst für ein Trash-Magazin, im schlimmsten Fall in der Kategorie eines Zufall – Das WIRtschaftsmagazin mit Herz. Schuld daran ist die Bildmontage, die trotz des 500-Euro-Scheins billig aussieht. Spontan fällt mir auch nur ein Weg ein, das Titelthema „Was kostet der Wald?“ noch plumper zu visualisieren: Baumstämme mit Preisschildchen.
Das WALD-Cover sieht schicker aus: Die Zeile „Die Städter kommen“ ist unspektakulär, aber das Titelfoto macht Eindruck. Und auch bei der Unterzeile punktet Österreich: „Das Magazin für Draußen“ klingt attraktiver als „Die ruhigen Seiten des Lebens“. Der Wald-Slogan würde besser zu einer Gehörschutz-Zeitschrift passen.
2) Die Optik: Andere Machart als Landlust
Innen sieht das deutsche Wald-Heft zum Glück professioneller aus. Die Seiten wirken aufgeräumt, jedes Ressort hat eine Auftaktseite. Illustrationen und Infografiken schaffen Abwechslung, wobei nicht jede Grafik überzeugt. Neben Lesegeschichten gibt es ansehnliche Bildstrecken, etwa zu Handymasten, die wie Bäume aussehen. Ein Interview beginnt sehenswert mit einem doppelseitigen Foto des Gesprächspartners.
Ähnlich stilvoll präsentiert sich das Heft aus Österreich: Neben der Typographie überzeugt vor allem die Bebilderung, fast jede Geschichte startet mit einem doppelseitigen Foto plus Teaser.
Mit Magazinen im Stil von Landlust haben beide Hefte wenig gemeinsam, sie wirken moderner und fast urban. Bei WALD hat mich manchmal irritiert, dass die Seitenzahl fehlt. Sie taucht nur am Artikelanfang auf.
3) Die Themen: Wenn Tiere in die Heimat schreiben
Keine Ahnung, ob es nur mir so geht, aber Vice enttäuscht mich regelmäßig: Das Magazin lockt mit abgedrehten Themen, liefert dazu aber überwiegend langweilige Texte. Bei den Wald-Heften ist das umgekehrt. WALD zum Beispiel berichtet über Städter, die aufs Land ziehen, über Baumstammforschung und Tiere, die nur einen Teil des Jahres in Österreich verbringen. Und jeder dieser Artikel war interessanter, als es das Thema vermuten ließ, meistens dank kluger Umsetzung.
Beim Tierthema etwa haben die Autorinnen Postkarten der Tier-Touristen erfunden, mit individuellen Sprachstilen und Handschriften. Kurze Wissenschaftstexte erklären, warum der Bär kaum mehr als „Alles okay“ in die Heimat meldet, während der Weißstorch erwartungsvoll „Tausend Klapperküsse“ verschickt: Er ist vorgereist, das Storchenweibchen erreicht das Sommerdomizil erst später.
Auch das deutsche Heft präsentiert seine Themen in vielfältigen Stilformen, vom kurzen Pro und Contra zu „Was machen wir jetzt mit dem Wolf?“ bis zur elfseitigen Titelgeschichte über den Wert des Waldes. Auf eine aktuelle Reportage über Befürworter und Gegner eines Nationalparks folgt schon mal eine Doppelseite voller Mythen zur deutschen Eiche.Im Vergleich zu WALD ist das deutsche Heft kleinteiliger aufgebaut, es wirkt unruhiger. Außerdem ist die Struktur nicht immer logisch. So finden sich im Heft ein Selbstversuch zum Bäume pflanzen und eine Anleitung dafür – 17 Seiten auseinander.
4) Die Sprache: Phrasen, wo es Sinn ergibt
Anders als das kürzlich getestete Traditionell Bogenschiessen bieten beide Hefte gelungene Texteinstiege. Besonders WALD hat spannende erste Sätze. Der Artikel zur Baumstammforschung startet so: „Der Mann, der sich auskennt, sagt gleich zu Beginn, dass die Sache ‚a bissl eine Räubersgeschicht ist‘. Eine wilde Geschichte also, mysteriös und undurchschaubar, spannend und aufregend, fast wie ein Krimi.“
Auch bei einer Wandergeschichte, die mich eigentlich nicht interessiert hätte, liefert das Heft viele Leseanreize: Der Text gliedert sich Häppchen, darunter Fragebögen, Ausflugs- und Essenstipps. In beiden Heften sind alle Artikel leicht verständlich, auch für Stadtmenschen.
Gefreut hat mich, dass WALD und Wald nahezu phrasenfrei sind, kein Protagonist ist auf dem Holzweg oder sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Im deutschen Heft kommen derartige Sprichwörter nur vor, wo es Sinn ergibt: Wald erklärt, was Sätze wie „Alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist“ bedeuten und wo sie herkommen. Ursprung des Beispiels ist angeblich der Versteckspiel-Countdown: „Eins, zwei, drei – ich komme!“Ach ja: Die WALD-Idee, die Meldungsrubrik „Mischwald“ zu nennen, fanden die deutschen Heftmacher wohl gut: Ihre Rubrik heißt genauso.
5) Die Hingabe: Biene im Buchstaben
Bei beiden Magazinen hatte ich den Eindruck, dass sie mit Leidenschaft gemacht wurden. Das deutsche Heft wirkte auf mich ernsthafter, mehrfach hatte ich das Gefühl, dass es mich aktiv zum Nachdenken auffordert: über den Wert des Walds, über Naturschutz. Das Interview mit einem Mann, der sich gegen illegalen Holzhandel engagiert, ist pathetisch überschrieben: „Ich glaube, dass wir die Welt verändern können.“
WALD wirkt im Vergleich unterhaltsamer, weniger verkopft. Im Heft findet sich sogar eine Bildstrecke mit Dingen, die man bei Langeweile am See tun kann. Sie zählt mit Vorschlägen wie einen Köpper (österreichisch: Köpfler) machen und Delfin-Schwimmen aber zu den schwächeren Inhalten.
Beim Porträt einer Bienenstadt hat mich die Konsequenz der WALD-Macher beeindruckt. Der Text über „SummCity“ wurde nicht nur mit Illustrationen im Stil des PC-Spiels SimCity aufgehübscht, auch der Text passt: „Über die Zeit haben nicht nur die Bienen die Vorteile der Stadt für sich entdeckt“, heißt es darin, dieser Stil wird vier Seiten durchgezogen: „Alles Mögliche hat sich angesiedelt […]. Erdbeerfabriken zum Beispiel, Himbeer- und Brombeerhersteller, jede Menge Grasfirmen, die in erster Linie Sauerstoff produzieren.“ Nettes Detail: Auf dem Cover versteckt sich eine Biene im letzten Buchstaben des WALD-Schriftzugs.6) Was sonst noch auffiel: Zu wenig und zu viel Metaebene
Momente, in denen ich ein Magazin genervt weglegen wollte, gab es kaum. Beim deutschen Heft hat mich am ehesten einer der ersten Inhalte verwundert: Auf einer Doppelseite erklärt das Heft die Geschichte der deutschen Popliteratur, anhand von Baumringen. Was das Thema mit Wald zu tun haben, blieb mir unklar, vom Buchdruck abgesehen. Vielleicht ist die Nicht-Verbindung aber auch Konzept und nächstes Mal erinnert eine Baumscheibe an die DDR-Geschichte oder die Erfolge des FC Bayern.
Komisch fand ich auch den Hefteinstieg von WALD: Achtseitig treffen Waldaufnahmen eines Fotografen auf Shakespeare-Zitate – anscheinend, weil eine Sopranistin die Frage „Was bedeutet der Wald für Sie, Frau Prohaska?“ mit einer Passage aus dem Sommernachtstraum beantwortet hat, wie Seite Neun verrät. Das war mir zu viel Metaebene.WALD versus Wald – ein Fazit
Beide Wald-Hefte haben mich überrascht: Sie schaffen es, vermeintlich langweilige Themen ansprechend und abwechslungsreich zu präsentieren. Auch der Heftumfang ist angenehm, die Magazine lassen sich in drei bis vier Stunden durchlesen. Müsste ich mich entscheiden, würde ich WALD lesen. Ich mag seine Verspieltheit, die nur selten in Kitsch endet.
Zusätzlich zu WALD hat mir der österreichische Verlag übrigens Fleisch geschickt, ein Gesellschaftsmagazin. Auch dieses Heft fand ich lesenswert, schon das Cover überzeugte: „Wer hat diese Katze umgebracht?“ Leider erscheint auch Fleisch nur in Österreich. Zumindest das Fleisch, das ich meine – nicht das deutsche Heft mit demselben Namen.
Infos zu den Heften
WALD erscheint seit Dezember 2010 in der Wald Verlags GmbH, in Kooperation mit den Österreichischen Bundesforsten (ÖBf). Die Druckauflage liegt den Mediadaten zufolge vierteljährlich bei 30.000 Exemplaren, davon geht die Hälfte an ÖBf-Kunden. Das Magazin ist in Deutschland nur per Abo erhältlich. Beschrieben wurde die Ausgabe 10 aus dem Sommer 2013. Sie hat 98 Seiten und kostet in Österreich fünf Euro.
Wald kam Mitte September 2013 auf den Markt, mit einer Druckauflage von 26.000 Exemplaren. Das Heft soll dreimonatlich erscheinen, Ausgabe 2 ist für den 28. November terminiert. Wie beim Wirtschaftsmagazin enorm steht hinter Wald die Social Publish Verlag 2010 GmbH. Herausgeber des Heftes ist die Stiftung Unternehmen Wald. Mitglieder der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald bekommen das Magazin zugeschickt. Die beschriebene Erstausgabe hat 100 Seiten und kostet 6,50 Euro.