Bikes ohne Bremsen, Zombiekostüme und Rotwein-Doping: Im „Spoke Magazine“ dreht sich alles um die weniger spießigen Seiten des Radfahrens. Auch sprachlich setzt das Heft auf Lässigkeit.
Ob Regisseur Bora Dagtekin damit gerechnet hat? Seit dem Erfolg von Fack ju Göthe gibt es nicht nur „Fack ju Abi“-Partys, nein, auch in Redaktionen gelten Anspielungen auf seine Schulkomödie noch immer als originell. Lieferte BILD.de direkt nach Filmstart Zeilen wie Fack ju Handy und Fack ju Lanz, ließ sich das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung erst kürzlich zu einem „Fack ju Mozart?“ hinreißen. Sogar bei hart aber fair wäre letzten Montag unter dem Motto Fack ju Zukunft diskutiert worden, hätte nicht Alice Schwarzers Selbstanzeige einen Themenwechsel provoziert.
Vor diesem Hintergrund spricht es für ein Lifestyleheft, wenn es mit einem inhaltlich wie sprachlich korrekten „Fuck you, Winter!“ startet. Spoke Magazine ist ein „Magazin für urbane Fahrradkultur“, laut Eigenbeschreibung richtet es sich an „alle Hipster, Minimalisten, Individualisten und natürlich begeisterte Radler“. Ein Heft für Poser und Posterboys also, das sich aber müht, niemanden zu verschrecken.
Abenteuer samt Parkplatzsuche
Ein typisches Fahrradmagazin ist Spoke trotzdem nicht, Vergleichtests oder Kaufberatungen à la „So finden Sie ihr Traumbike“ spart sich das Heft. Stattdessen berichtet es über Menschen und Erlebnisse, von der gemütlichen Kostüm-Radtour bis zur 135-Kilometer-Rundfahrt durch die Toskana. Meistens werden solche Events in Form von Erfahrungsberichten beschrieben, wie in Traditionell Bogenschiessen. Ein Autor, der als Zuschauer zu einem Red-Bull-Event reiste, berichtet zum Beispiel derartig Erhellendes: „Ließ man seinen Blick die Häuserfassaden entlang streifen, so konnte man zusätzlich eine ganze Menge Zuschauer in ihren Wohnungsfenstern sehen: Fernsehen 2.0 und das auch noch umsonst!“
Überhaupt geht es bei den Veranstaltungsberichten fast immer ums Gesamterlebnis der Schreiber, von der Anfahrt („in Marburg suchten wir uns erst mal einen Platz im Parkhaus“) bis zum Präsent für erfolgreiche Teilnehmer („ein Stück von diesem sauleckeren italienischen Kuchen“). Diese Infos sind nicht pauschal überflüssig, manchen Artikel blähen sie aber sehr auf. Lieber wäre mir echter Service gewesen, etwa ein Streckenplan beim Toskana-Bericht oder ein Veranstaltungskalender. Auch ein Infokasten zu den Rädern – meistens geht es um Single-Speed-Bikes wie Fixies – wäre oft eine gute Ergänzung gewesen.
Genrebeschreibungen im Stil von Netflix
Neben den Reiseberichten besteht ein größerer Heftteil aus Produkt- und Medientipps. Ließ mich der „Sexy Palmen“-Rucksack noch unbeeindruckt, fand ich die Berichterstattung zu Breakin L.A. schon besser. In mehreren Texten zum Film erfährt man viel über das Radfahren in Los Angeles. Bei den Spoke-Musiktipps haben mir die Genre-Angaben wie „Partycrasher-Hardcore“ und „Freidenker-Pogoparty“ gefallen, sie erinnern an die kurios genauen Einordnungen bei Netflix. Ressortübergreifend fand ich die Rubrik „Geschichtsstunde“ am spannendsten: Dort wird ein Superheld vorgestellt, der einst in Comis für sicheres Fahrradfahren warb.
Sprachlich präsentiert sich Spoke lässig, passend zum Heftthema zieht es diesen Stil recht konsequent durch: Ein Biker will „noch ’ne Mütze Schlaf kassieren“, heißt es zum Beispiel, oder: Ein Abend war eher ruhig, weil „niemand eskalierte“. In Pisa regnet es nicht, sondern „schifft“. Bei den Plattenkritiken wird der Leser sogar geduzt: „Das Intro […] bedroht dich mit seinen fiesen Klängen“.
Schade allerdings, dass manchmal Phrasen auftauchen, die kein bisschen hipp wirken. Der Fotos des Halloween-Artikels etwa sind ein Highlight, der Text dagegen würde auch ins Jahrbuch eines Amateurfußballclubs passen, mit Formulierungen wie „Zunächst gab es natürlich ein großes Hallo“ und „Man will schließlich Spaß und ist nicht auf der Flucht“. Zu einem Zwischenstopp am Einkaufszentrum heißt es, es gab „reichlich Gelegenheit, leere Mägen zu füllen. Dem einen oder anderen Kunden rutschte hier schon mal das Herz in die Hose“.
Einblicke in ein Männerhobby
Erfreulich ist die Themenvielfalt von Spoke. Weil es sich nicht auf einen Radtyp festlegt, bietet das Heft viel Abwechslung. Ich wusste weder, dass es ein Fahrradfilmfestival gibt, noch, dass eine App gegen zugeparkte Radwege konzipiert wurde (ihr Crowdfunding ist jedoch gescheitert). Unklar war mir allerdings auch, wie sehr das Hobbyradeln ein Männerding ist, denn Bilder von Frauen finden sich in Spoke fast ausschließlich beim Halloween-Artikel. Die Bildunterschrift zu einer kostümierten Radlerin lautet: „Ein wenig schaurig, dennoch gab es auch angenehme Ausblicke!“
Das Layout von Spoke ist prinzipiell ansehnlich, so startet das Heft gleich mit einer schicken Fotostrecke über Großstadtradler. Später rutscht die Optik öfter ins Trashige, vor allem durch Experimente mit den Überschriften-Schriftarten. Die Fotomotive sind überwiegend gut, zum Teil werden Bilder in Schwarzweiß- oder Vintage-Optik präsentiert. Mehr als die hässlichen, aber praktischen QR-Codes störten mich auf Dauer die Bildunterschriften. Sie stehen nicht direkt beim Bild, sondern gesammelt am Rand der Doppelseiten, so dass man oft hin und her schauen muss – ein wenig zu viel Schulterblick-Gefühl.
Spoke Magazine – ein Fazit
Alles in allem ist Spoke ein nettes Heft: Es liefert spannende Einblicke in die alternative Radszene und macht Lust, selbst etwas zu unternehmen. Die Artikel sind auch für Laien verständlich, Sprachstil und Bebilderung passen zur Heftidee. Bei der Themenumsetzung würden Spoke allerdings mehr Service und Originalität gut tun: Von der hübscheren Optik abgesehen, fehlt mir gerade bei den Erfahrungsberichten der Mehrwert gegenüber Protokollen aus Internetforen.
Überrascht hat mich, wie wichtig den Freizeitsportlern der Alkohol zu sein scheint. Mehrfach thematisiert Spoke die Bierversorgung vor Ort, im Toskana-Text wird eine Verpflegungsstation beschrieben, an der es neben Obst, Kuchen, Brot, Nüssen und Wasser auch Rotwein gibt. „Rotwein?“, fragt der Autor an dieser Stelle. „Den haben die doch damals für die Schorle in ihre Trinkflaschen gefüllt, oder?“
Infos zum Heft
Spoke Magazine erscheint vierteljährlich bei Paranoia Publishing, neben thematisch ähnlichen Zeitschriften wie BMX Rider und Mountainbike Rider. Mit dem englischsprachigen Spoke Magazine hat das Heft nichts zu tun.
Gegründet wurde die Zeitschrift 2010, verkauft wird sie in Bahnhöfen und Kiosken, aber auch im Sporthandel. Ich habe meine Ausgabe am Münchner Flughafen gekauft. Spoke hat eine Druckauflage von 28.200 Exemplaren.
Besprochen wurde die 14. Ausgabe, „Januar/Februar 2014“. Sie hat 84 Seiten und kostet 4,40 Euro.