Entdeckt (56): Sommerloch 2014 – Surfende Senioren und veganer Luxus

Spektakuläre Neuheiten? Gibt es gerade keine. Zeit also für einen Ausflug in die Nischen: Was steht in einer Computerzeitschrift für Senioren, was in einem Veganer-Magazin? Wie aufregend ist ein Erotikheft für Frauen? Fünf Kurzvorstellungen.

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Viel los ist gerade nicht am Magazinmarkt: Der Focus illustriert eine Krebs-Geschichte mit einer nackten Frau, der Spiegel setzt auf ein Titelthema, das auch zur Apotheken Umschau passt. Und brand eins nimmt ausnahmsweise ein Porträtfoto als Cover – was prompt dazu führt, dass einer Leserin auffällt, dass im Heft häufiger Männer als Frauen porträtiert, interviewt oder fotografiert werden.

Mich hat beim jüngsten Kioskbesuch vor allem das Sportregal irritiert: Neben diversen WM-Magazinen liegt dort bereits das erste Sonderheft zur nächsten Bundesliga-Saison. Sein Datenstand? 6. Juni 2014. Nicht mal den genauen Spielplan findet man in der Anpfiff-Sonderausgabe. In Sachen Dämlichkeit kann da nur die „offizielle WM-Vorschau“ mithalten: Das Magazin ist gleich so offiziell, dass an Stellen, wo Normaldenkende WM schreiben würden, stets das Wortungetüm FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2014 TM auftaucht, inklusive TM.

Letztlich habe ich fünf Nischenhefte gekauft, vom Veganer-Magazin bis zur Zeitschrift für Singles. Hier einige Gedanken dazu:

1) das vegan magazin Freaks beim Lippenlecken

Mit dem 3,50 Euro kostenden vegan magazin konnte ich auch bei wiederholtem Reinlesen nichts anfangen: Mich nervt schon die durchgehende Kleinschreibung aller Texte, die das Redaktionsteam bewusst einsetzt. Sie sei ein Symbol dafür, „dass wir einen eigenen, einen fortschrittlichen Weg gehen“, heißt es im Editorial. Ansonsten ist am vegan magazin allerdings kaum etwas besonders. Inhaltlich bietet das Heft bestenfalls Standardkost, vom komischen Kauftipp (ein Tagespflege-Elixier, „gesegnet von einem hawaiianischen heiler auf maui“) bis zum langweiligen Interview: In der aktuellen Ausgabe stellt sich der Musiker Roger Cicero aufwühlenden Fragen wie „stimmt es, dass du yoga machst?“ und „du hast sogar zugunsten von kindern ein auto versteigert“.

Während manche Themen wie „Schokolade selber machen“ halbwegs spannend sind, zeigen andere, dass auch das vegan magazin kaum mehr ist als eine Werbeplattform. Eindrucksvollstes Beispiel ist eine mit 20 Seiten übertrieben lange Hotelvorstellung, inklusive doppelseitigen PR-Fotos und Geschleime wie „darf man schreiben, dass seine [gemeint ist der Geschäftsführer] menschenfreundliche ausstrahlung einen erfreut? wenn man es darf, sollte es ebenso erwähnung finden.“ An meiner Lebenswelt geht der Reisetipp schon preislich vorbei: Für ein Doppelzimmer verlangt das Hotel im Sommer 350 Euro pro Nacht.

Eher würde ich auf ein Saarbrücker Computer-Kunstfestival fahren, welches im Heft vorkommt, weil es dort ein veganes Barbecue gab. Laut vegan magazin ist das berichtenswert, denn: „geht man vom klischee der echten computer-freaks aus, die den ganzen tag in abgedunkelten räumen und an ihren tastaturen tippen, ernähren sie sich ausschließlich von junkfood, cola und chips. das stimmt größtenteils auch […].“Der Text endet damit, dass selbst ein „commodore c64er-freak“ mit „ansehnlichem bierbauch“ vom veganen Essen begeistert ist: „ihn sehen wir kurze zeit später, wie er sich die lippen leckend grinsend eine weitere portion besorgt.“ Das sind so Zeilen, nach denen ich ein Heft weglege.

2) mein PC & ich – Fürs Lächeln einfach das Heft drehen

Dass keineswegs nur Freaks Computer nutzen, beweist ein anderes Heft, das seit Kurzem auf dem Markt ist. Mein PC & ich ist eine Computerzeitschrift für Menschen über 50 – ein Magazin, das erklären will, wie man mit Enkelkindern skypet oder im Internet einkauft. Diesen Ansatz finde ich durchaus sinnvoll – auch mir fällt immer wieder auf, wie ich in Artikeln zu Digitalthemen Begriffe wie Bitcoin, Malware oder Wearables verwende, bei denen manchen Gelegenheitsleser wohl schon die Aussprache überfordert.

Mein PC & ich nimmt sich diesem Problem mit einem Glossar an. Auf vier Seiten finden sich Erklärungen zu Wörtern wie Update, Download und URL, samt Lautschriften wie „Appdeet“, „Daunlohd“, „Abkürzung für ‚Juniform Risors Lokätor'“. Meine Lieblingserklärung ist die zu einem Smiley: „Um die Bedeutung einer Zeichenfolge wie ‚:-)‘ zu verstehen, drehen Sie dieses Heft im Uhrzeigersinn um eine viertel Umdrehung (90 Grad) und Sie werden sehen: Der Doppelpunkt wird zu zwei Augen, der Bindestrich ist jetzt eine Nase und die sich schließende Klammer ein lächelnder Mund.“

Thematisch setzt mein PC & ich auf Erwartbares wie Passendes: Das Heft stellt Gesundheits-Apps und Haushaltsroboter vor, erklärt die „Geheimnisse Ihrer PC-Tastatur“ und porträtiert ein Senioren-Ehepaar, das selten Technikprobleme hat – so soll die 78-jährige Frau in 14 Jahren Rechnernutzung nie einen Ausfall erlebt haben. „Welcher Computernutzer kann das schon von sich behaupten?“, fragt dazu das 4,90 teure Heft, in dem am ehesten die 08/15-Agenturfotos nerven. Zwei Dinge lassen erahnen, dass mein PC & ich seine Zielgruppe ernstnimmt: Die auffallend große Schrift und die letzte Heftseite. Dort finden sich drei Sudokus und ein Kreuzworträtsel  für den Fall, dass die Leser mal genug vom Digitalen haben.

3) Séparée Nackter Nachbar trifft tolles Auto

Gerade auf den Markt gekommen ist Séparée, ein Erotikmagazin von Frauen für Frauen, oder, wie es auf dem Cover heißt: „Das Magazin für weibliche Lust“. Um dieser Unterzeile gerecht zu werden, setzt Séparée auf einen bunten Mix von Texten, die mit Erotik zu tun haben: Ein Pornodarsteller verrät, ob auch gedreht wird, wenn eine Darstellerin ihre Tage hat, zwei Autorinnen streiten über Intimrasur, fünf Dessous-Serien werden samt Fotos präsentiert. Dazu kommen weniger offensichtlichere und tiefgründigere Themen, wie „Erotische Symbolik in der litauischen Folklore“ und die Forschung nach einer Lustpille für Frauen.

Obwohl sich die Texte ordentlich lesen, hat mich Séparée vor allem optisch überzeugt: Das Layout ist dezent, die Fotos schick. Schön fand ich, dass selbst die für Erotikhefte typische Fotostrecke eine Einleitung hat. „Ich wollte meinen neuen Nachbarn – Dr. Mario Schumann las ich auf seinem Klingelschild – willkommen heißen und auf einen Kaffee einladen“, heißt es zu Beginn der zehn Seiten: „Wie konnte ich durch den Türspalt denn ahnen, dass er bis auf die Flip Flops vollkommen nackt war.“ Danach folgen Fotos des nackten Manns mit ersten grauen Haaren: beim Hinhocken, beim Tragen einer Werkzeugkiste, auf einer Leiter.

So unverklemmt Séparée daherkommt, die 3,90 Euro kostende Erstausgabe wirkt noch etwas zu wild zusammengewürfelt. Ich fragte mich zum Beispiel, ob ein Frauenheft Kauftipps für Männer braucht, darunter eine Sportuhr für 2500 Euro. Die Idee, einen Jaguar anhand einer Kurzgeschichte vorzustellen, fand ich dagegen nett – vom 08/15-Werbevorspann abgesehen: „Leichte Vollalu-Karosserie, elegante Linienführung und ein Dämpfersystem für souveränes Handling in allen Lebenslagen: der neue Jaguar F-Type ist ein echter Verführer.“ Und zuletzt blieb noch offen, warum die Statistiken zu Online-Pornos von Jason Steel zusammengetragen wurden, dem interviewten Darsteller? Ist sowas nicht Aufgabe der Redaktion?

4) starting up – Sparen statt verprassen

Als „Magazin für Gründerkultur und unternehmerisches Denken“ inszeniert sich starting up, ein Heft, das 2004 auf den Markt kam. Für 5,90 Euro bekommt der Leser hier Tipps für eigene Projekte, vom Mitarbeiter-Finden bis zum souveränen Umgang mit Betriebsprüfungen. Zu diesen Servicestücken kommen Lesegeschichten wie das Porträt des Multimillionärs und Punk Gerald Hörhan. Dessen als „Lektion zum Reichwerden“ angepriesene Ratschläge sind allerdings unspektakulär. Kein Geld verprassen, rät Hörhan zum Beispiel, keine Konsumschulden machen, keinen Partner haben, der zu viel Geld oder Zeit kostet.

Überhaupt variiert die Artikelqualität in starting up stark. Es gibt ein Interview mit Agenturgründern, das nicht einmal richtig erklärt, was eine „Innovations-Agentur“ macht, es gibt ein achtseitiges Dossier übers „Gründen in der Green Economy“, das wie eine Aneinanderreihung von Kurztexten wirkt. Doch das Heft bietet auch Lesenswertes, darunter ein Dreierporträt deutscher Gründer im Silicon Valley. Auch gut: Ein „Umsatzsteuer-ABC“, das samt Beispielrechnung erklärt, was die Steuer für Existenzgründer bedeutet.

Vielleicht ist starting up zu unentschlossen. Ich hatte das Gefühl, die Redaktion kann sich nicht entscheiden, ob sie einen seriöser Ratgeber veröffentlicht oder einen Business-Punk-Konkurrenten – einen Punk auf dem Cover hat man ja schon. Im Magazin wechselt der Stil häufig. So listet das Heft einerseits „Die coolsten neuen Geschäftsideen“ auf, anderseits präsentiert es sich größtenteils in Spießer-Layout, mit langweiligen Köpfe-Fotos und abgenutzten Zeilen wie „Mission (Im)possible“. Der Umsatzsteuer-Text erscheint gar in abschreckender Endlospapier-Optik, mit dem Hinweis „Nicht erschrecken, aber das Thema ist wichtig!“.

5) Trendy Single ElitePartner-Promotion in Magazinform

Wieder attraktiv wirkt starting up im Vergleich zu Trendy Single, einem Magazin, das zeigt, wie lieblos Zeitschriften gemacht sein können. Das 3,50 Euro kostende Heft, gerade zum zweiten Mal erschienen, soll männliche und weibliche Singles ansprechen, als „Magazin für WoMen“. So trashig schon das Titelbild mit diversen Schriftgrößen aussieht, so wenig überzeugt auch der Rest des Magazins. Textwüsten treffen darin auf Seiten, die stilfrei mit Produktfotos und Textfetzen wie „Summer of Love“ zugeklatscht wurden. In diesem Heft scheint die Werbung fließend in den redaktionellen Inhalt überzugehen.

Trendy Single arbeitet augenscheinlich mit der Online-Partnerbörse ElitePartner zusammen, zumindest fällt häufig deren Name. Zum Beispiel, wenn langweilige Studien des Unternehmens zitiert werden, mit Erkenntnissen wie „Jeder fünfte Single sucht eine Affäre“ oder „Wenn Singles nach einem Partner Ausschau halten, dann vor allem im Freundeskreis, in der Freizeit oder im Internet“. Wer hätte das gedacht?

In einem Interview kommt auch der ElitePartner-Geschäftsführer zu Wort. Er darf zum Beispiel den Satz „Mein schönstes Erlebnis bei ElitePartner bisher war …“ fortführen: „Die Geschichten sind zu verschieden als das man sie in schön und noch schöner unterscheiden könnte.“ Außerdem motiviert „Deutschlands erfolgreichster Chefkuppler“ Alleinstehende mit Sätzen wie „Sie müssen bei den meisten Frauen weder Astronaut noch Richard Gere sein.“

Richtet sich das Heft an dieser Stelle klar an Männer, gibt es auch Texte, die auf Frauen zielen, darunter die Tippliste „Zehn absolute NO-GOS beim One-Night-Stand“. Sie erscheint als Extra-Artikel neben „10 Goldene Regeln für einen One-Night-Stand“, einem Text, in dem eigentlich dasselbe steht. Naheliegende Inhalte wie eine Kontaktbörse oder Single-Porträts spart sich Trendy Single, stattdessen wird das blonde Model vom Titelbild interviewt. Auf der letzten Doppelseite zeigt das Heft dann noch kommentarlos eine Frau in Dessous. Der auf dem Cover beworbene 100-Euro-ElitePartner-Gutschein wird übrigens auf Jahresmitgliedschaften angerechnet. Sie kosten dann noch 378,80 Euro.

Wer eines der vorgestellten Magazine lesen will: Abos und Einzelausgaben der Hefte lassen sich meistens direkt über die im Text verlinkten Websites bestellen. Ich habe alle Hefte aus dem Bahnhofbuchhandel.

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