Besuch auf einem Magazinfestival – Elf Erkenntnisse von der Indiecon

Auf der Hamburger Indiecon treffen sich Magazinmacher aus ganz Deutschland. Was sie verbindet? Sie veröffentlichen Hefte abseits der Großverlage – mancher eine Kinderzeitschrift, mancher ein Kunst-Porno-Heft. Elf Erkenntnisse und Anekdoten aus der Heine-Villa.

Magazinmacher, redet miteinander – über Leidenschaft, über Qualität, über Geld. Unter dieser Prämisse fand Anfang September die Indiecon statt, eine zweitägige Konferenz über Hefte, die ohne Großverlag im Rücken erscheinen. Ein Team um Malte Brenneisen und Urs Spindler vom Blog Indiemags hatte dutzende Magazinmacher zur Reise nach Hamburg motiviert, teils sogar ausländische, das reizte auch mich.

Interessant fand ich schon den Veranstaltungsort, die Heine-Villa nahe der Außenalster. Früher war sie Redaktionssitz des Lifestyle-Magazins Tempo, heute residiert hier Hoffmann und Campe Corporate Publishing – eine Firma, die Zeitschriften für Unternehmen produziert. Ein schöner wie seltsamer Ort, um über Unabhängigkeit zu diskutieren.

Zum Glück hatte die Veranstaltung aber auch inhaltlich etwas zu bieten. Elf Erkenntnisse und Anekdoten habe ich hier zusammengestellt.

1) Auf der Indiecon will nicht jeder Indie sein.

Vieles schick, vieles teuer: Magazin-Verkaufsstand auf der Indiecon

„Was ist Indie?“ – diese Frage sollte auf der Indiecon beantwortet werden, versprach das Programmheft. Praktisch klappte das nicht ganz. Einerseits waren die Zeitschriften, denen man begegnete, zu verschieden, vom Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt bis zur Longread-Sammlung Reportagen. Anderseits versuchten diverse Gäste, das Wort Indie von sich und ihren Heften fernzuhalten. „Der Begriff geht mir auf die Nerven“, sagte Ale Dumbsky, der das alternative Gratismagazin Read produziert: „Ein Bäcker, der nur eine Filiale hat, ist auch Indie.“

Oliver Gehrs, Herausgeber des Gesellschaftsmagazins Dummy, stellte schon im Eröffnungsvortrag in Frage, ob Magazine mit Anzeigen überhaupt independent, unabhängig sein könnten: Entstehen bestimmte Heftinhalte nicht nur, weil man Werbepartner anlocken will? Und Gabriele Fischer, Chefredakteurin des Wirtschaftsmagazin Brand Eins, zog bereits nach wenigen Minuten auf der Bühne ein Fazit: „Den Namen [Indiecon] finden alle bescheiden. Aber der Kongress ist super.“

 2) Der „Dummy“-Macher hält viele Hefte für „Dekoration“.

Für den mit Abstand meisten Gesprächsstoff sorgte die Keynote von Oliver Gehrs. Schon vor der Konferenz hatte der Dummy-Herausgeber in der taz deutlich gemacht, dass ihn die meisten Independent-Hefte mehr aufregen als ansprechen, nun hielt er ein „Plädoyer zum Innehalten“. Das klang bei Gehrs etwa so: Der Großteil der Independent-Nische sei ein „um sich selbst drehender narzisstischer Raum“, in dem es nur um Mode, Rennräder und Wohnungen, die man sich nicht kaufen kann, geht: „Ich sehe ein bisschen viel Dekoration, […] viel Irrelevanz.“

Um ein gutes Magazin zu machen, brauche es mehr als einen guten Grafiker und Freunde, die umsonst Texte schreiben, schimpfte Gehrs. Und überhaupt wäre es doch schön, wenn es mehr General-Interest-Magazine gäbe, mit politischen und brisanten Themen, statt Hefte, die nur Designstudenten interessieren. Die Reaktion darauf im Konferenzsaal: erstmal wenig Begeisterung.

 3) Es gibt eine unabhängige Kinderzeitschrift. Für 14 Euro.

tseitung

Macherin der Kindertseitung: Daria Holme aus Mannheim

So amüsant Oliver Gehrs pauschalisierte: Auf der Indiecon gab es auch Magazine abseits der Hipster-Fashion-Blase. Eins davon war Die Kindertseitung, ein Do-it-yourself-Heft, hinter dem die Grafikerin Daria Holme steckt. Holmes Magazin regt auf fast jeder Seite zum Bekritzeln und Vollschreiben an, als Extra gibt es etwa Checklisten für das Kinderspiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“.

„Am Kiosk gibt es für Kinder zu viel Schrott“, sagt die Mannheimerin, deshalb habe sie etwas Eigenes produzieren wollen. Ihr Heft erscheint in 600er-Auflage, seit 2010 gab es neun Ausgaben. Leider kostet die Kindertseitung 14 Euro, ich habe mir deshalb keine Ausgabe gekauft. Holme sagt, der Preis hänge einerseits mit der Auflage zusammen, anderseits werde das Heft auf gutes Papier gedruckt: „In meiner Kindheit empfand ich es als Horror, wenn Seiten beim Malen durchgedrückt sind. Das passiert bei der Kindertseitung nicht.“

4) Auch andere Indie-Magazine sind scheißteuer.

Die Kindertseitung war nicht das einzige Heft, das mir zum Mitnehmen zu teuer war. Am Indiecon-Verkaufsstand kosteten überraschend viele Magazine zwischen zehn und 25 Euro. Das sind Preise, mit denen die Hefte mit Musik- oder Filmflatrates konkurrieren – und da ist mir im Zweifel ein Monat Spotify oder Netflix lieber, als eine womöglich gar nicht mal so gute Zeitschrift. Am Bahnhofskiosk ging es mir zuletzt ähnlich: Dort hatte ich mehrfach das viel gelobte Heft Reportagen in der Hand, konnte mich aber nie durchringen, 15 Euro auszugeben.

 5) Die Typen, die das Neue Testament als Magazin rausgebracht haben, haben einen WM-Rückblick gemacht.

DSC_0575

Erst die Bibel, jetzt Fußball-Hefte: Oliver Wurm (links) und Andreas Volleritsch

Eine cooles Heftkonzept stellten der Journalist Oliver Wurm und der Grafiker Andreas Volleritsch vor: Für ihr einmalig erscheinendes Fußballmagazin 54749014 haben sie deutsche Spieler und Trainer nach deren persönlichen WM-Momenten gefragt, mit einigen Wochen Abstand. Herausgekommen ist ein schicker Turnierrückblick, der für fünf Euro gut als Erinnerungsstück taugt. Dank starker Fotos stört es auch kaum, dass sich einige Spielerzitate ähneln.

Wurm und Volleritsch hatten sich schon 2011 mit einem originellen Projekt einen Namen gemacht: Damals veröffentlichen sie das Neue Testament in Magazinform. 54749014 ist nun schon das zweite Fußballheft des Duos. Vor der WM brachte es 547490 auf den Markt, ein Heft, das sich um das Gipfeltreffen dreier Weltmeister von 1954, 1974 und 1990 drehte.

6) Es gibt ein Überraschungs-Abo für Indie-Magazine.

Interessant fand ich auch die Geschäftsidee von Steve Watson. Unter dem Namen Stack Magazines bietet der Brite eine Art Überraschungsabo für Indie-Magazine an, seit April hauptberuflich. Wer 140 Euro zahlt, dem schickt Watson ein Jahr lang jeden Monat eine andere Zeitschrift. Watson behauptet, seinen Kunden nur die besten Indie-Magazine der Welt zukommen zu lassen, „schöne, intelligente Hefte“. Sein Dienst soll schon jetzt „einige tausend“ Kunden haben.

Was Watson bislang verschickt hat, klingt durchaus spannend: Zu seiner Auswahl zählten zum Beispiel das Tech-Magazin Offscreen (siehe Punkt 8), die Filmzeitschrift Little White Lies und das Kunstheft Elephant. Die Hefte, die Watson auswählt, sind in der Regel englischsprachig.

 7) Brand Eins schrieb erst im siebten Jahr schwarze Zahlen.

Immer wieder ging es auf der Indiecon ums Geld. Manche Magazinmacher sagten, dass ihre Zeitschriften eigentlich nur zeitintensive Hobbys sind, andere berichteten von Mäzenen oder Crowdfunding-Aktionen, ohne die ihre Hefte niemals auf den Markt gekommen wären. Nicht bewusst war mir, dass selbst Brand Eins eine lange Anlaufszeit brauchte: Das Wirtschaftsmagazin, 1999 gestartet, gilt als Vorzeigeprojekt abseits der Großverlage. Wie Chefredakteurin Gabriele Fischer auf der Konferenz erzählte, schrieb es aber erst im siebten Jahr schwarze Zahlen.

 8) Ein Deutscher macht von Australien aus ein schickes Tech-Magazin, auf Englisch.

offscreen

Stellt Menschen hinter Innovationen vor: Offscreen-Macher Kai Brach

Das meistgehypte Heft auf der Indiecon war wohl Offscreen, ein englischsprachiges und eher zeitloses „Printmagazin über die Menschen hinter Bits und Pixeln“. Das Heft, das auf der Konferenz zehn Euro kostete, hat ein vergleichsweise unverbrauchtes Thema, ist hübsch aufgemacht und wirkt professioneller als manches Verlagserzeugnis. Hinter dem Heft steckt der in Melbourne lebende Deutsche Kai Brach, der zehn Jahre lang im Bereich Webdesign gearbeitet hat. Dann hatte er genug und wollte „einfach Geschichten erzählen“. Mittlerweile hat Brach dies in 9 Ausgaben gemacht, 4500 Exemplare lässt er gerade vom neuesten Heft drucken.

Cool finde ich, dass Brach seine Lesern durch ein Blog Einblicke ins Magazinmachen gibt: Im Offscreen-Blog verrät er zum Beispiel, welche Software er verwendet und wie sein Tagesablauf aussieht. Sogar seine finanzielle Situation ist Thema. Abseits der Konferenz ist Offscreen leider teurer: Über Brachs Website kostet eine Ausgabe mit weltweitem Versand 22 Dollar. Eine E-Book-Variante existiert nicht.

 9) Indie-Magazine bekommen amüsante Leserpost.

Bei Indie-Magazinen scheinen die Leser wenig Hemmungen zu haben, Kontakt mit der Redaktion aufzunehmen – das berichteten mehrere Magazinmacher. Wichtige Themen sind dabei die Glaubwürdigkeit und das Image des Hefts. Dirk Mönkemöller von The Weekender, dem „Magazin für Einblicke und Ausflüge“, erzählte zum Beispiel, dass sich mal eine Leserin beschwert hat, nachdem das Heft im Supermarkt Rewe zum Verkauf angeboten wurde: „Da ist für sie wohl eine Welt deswegen zusammengebrochen, weil ihr Lieblingsheft beim Feind liegt.“ Und Brand-Eins-Chefredakteurin Gabriele Fischer verriet: „Ein Leser hat Brand Eins mal auf der Hutablage eines Porsches liegen sehen. Er schrieb, jetzt sei das Heft ja Mainstream.“

 10) Die Magazinmacher sorgen für Chaos im Kiosk.

Wer sich im Kiosk mal gewundert hat, warum plötzlich das Neue Testament vorn im Zeitschriftenregal liegt, der bekam auf der Indiecon eine Erklärung. „Mein wichtigster Tipp? Im Kiosk die eigenen Hefte immer nach vorn ordnen“, sagte 5474902104-Macher Oliver Wurm (siehe Punkt 5) zu Beginn seines Workshops. „Und nie ein Indie-Magazin vor ein Indie-Magazin, immer vor Stern und Spiegel.“

Auch für andere Heftmacher scheint das Regal-Umräumen zum Alltag zu gehören. Dirk Mönkemöller etwa sagte,  er müsse an jedem besuchten Bahnhof überprüfen, wie sein Magazin im Kioskregal liegt. Nach seinen Besuchen ist The Weekender vermutlich stets besser platziert.

11) Manche Hefte sind selbst für die Indiecon zu speziell.

inside

Grafiker Jenz Dieckmann mit Inside: Zu dunkel für die Indiecon?

Auf der Indiecon wurden nicht alle Hefte der Besucher am offiziellen Verkaufsstand vertrieben. „Mir hat man gesagt, mein Magazin passe nicht rein, das sei zu dunkel“, sagt Jenz Dieckmann, ein Grafiker, der seit 1990 in Eigenregie ein „International Artscum Magazine“ herausgibt. Inside, wie das Heft heißt, ist ein Kunstmagazin voller Ausflüge ins Obszöne und diverse Horror- und Fetisch-Bereiche. In 1000er-Auflage wird es ausschließlich übers Internet vertrieben.

„Mein Magazin polarisiert“, sagt Dieckmann. „Die einen sagen, es ist das Geilste, was es gibt. Für andere ist es ’negative Kacke‘.“ Werbekunden zu finden, sei jedenfalls schwierig: „Niemand will sein Produkt in meinem Heft platzieren.“

Wer noch mehr über die Indiecon erfahren will, dem empfehle ich einen Besuch der offiziellen Website.

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Interviews mit Zeitschriftenmachern, Kinderhefte, Magazin-Menschen, Sonderformen

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.