Entsorgt (6): Phänomen Sammelmagazine – 74 Wochen bis zum Dickdarm, 700 Euro für einen Globus

Die erste Ausgabe ist supergünstig, dann wird es teuer: Kein Heftkonzept ist so absurd wie das der Sammelmagazine. Wer will über ein Jahr lang Teile für ein Körpermodell oder einen Globus sammeln? Wer braucht eine Riesenbaumwanze? Eine Abrechnung.

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Neulich habe ich mir ein Raumschiff und einen Skorpion gekauft. Wirklich. Beides waren Gimmicks in überdimensionaler Verpackung, in der sich als Anstandsbeilage jeweils ein Magazin versteckte. Ein Paket nennt sich Star Trek – Die offizielle Raumschiffsammlung, das andere aus dem Hause National Geographic heißt Echte Insekten – Krabbeltiere der Welt. 4,99 Euro hat das Star-Trek-Set gekostet, 1,99 Euro der rund ums Dschungelcamp im Fernsehen beworbene „Goldene China-Skorpion“. Dieser ist konserviert, aber echt, mit einem Begleitheft, das darüber aufklärt, wo bei so einem Spinnentier Herz und Hoden sitzen.

Beide Zeitschriften sind gerade gestartet und stehen für ein Konzept, das am Kiosk seit Jahren ein Schattendasein führt: die sogenannten Sammelmagazine. Das Prinzip dieser Hefte, die oft hinter der Theke stehen, ist immer gleich: Dem Leser wird Lust gemacht, eine Sammlung von irgendetwas aufzubauen, samt passender Begleitmagazine. Jede Woche, alle zwei oder jeden Monat erscheint dafür eine neue Ausgabe. Während das Einstiegsheft stets unfassbar günstig ist, wird es meist schon ab der zweiten Ausgabe teuer – und nervig.

Denn wie bei jeder Sammlung gilt: Unvollständig ist sie nur halb so toll – oder komplett sinnlos. Das habe ich schon als Kind gemerkt, als ich mich zum ersten und letzten Mal auf ein Sammelheft einließ. Anfang der Neunziger kaufte ich ein Magazin namens Dinosaurier, dem stets ein Teil eines T-Rex-Skeletts beilag. Das war auf den ersten Blick cool, erwies sich aber schnell als anstrengend.

Einerseits, weil das Skelett im Dunkeln leuchtete und deshalb nachts abgedeckt werden musste. Anderseits, weil es ewig dauerte, bis das Gerippe überhaupt interessant aussah – mit jeder neuen Ausgabe kamen ja nur ein paar neue Knochen. Als das Skelett komplett war, hatte ich jedenfalls genug. Auf die T-Rex-Außenhülle, die in den kommenden Wochen nach und nach geliefert werden sollte, verzichtete ich. Mein Dino blieb nackt.

700 Euro für einen Globus – und zwei Jahre Wartezeit

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Erster Teil meines Globus: Auf den Eiffelturm folgen weitere Wahrzeichen

Auch heute gibt es Hefte, deren Beigaben für sich genommen nutzlos sind. Wöchentlich erscheinen derzeit Mein 3D Globus und seit dem Herbst So funktioniert dein Körper, beide mit einem Startpreis von 1,50 Euro und einem beeindruckenden Auftakt-Gimmick: dem Europa-Teil eines Globus beziehungsweise dem Schädel eines 1,10 Meter hohen Körpermodells.

Wie kundenfeindlich beide Konzepte sind, verraten die Infoflyer: Wer einen kompletten Globus samt allen Tieren und Wahrzeichen haben will, muss 100 aufeinanderfolgende Ausgaben des Magazins kaufen. Die zweite Ausgabe von Mein 3D Globus kostet schon 3,99 Euro, alle danach 6,99 Euro. Für einen mittelbeeindruckenden Plastikglobus muss man also rund 700 Euro investieren – und wegen des wöchentlichen Erscheinungsrhythmus fast zwei Jahre Wartezeit.

Bei So funktioniert dein Körper, von dem derzeit Ausgabe 21 am Kiosk liegt, ist es kaum besser: Hier braucht man 34 Ausgaben, bis das Skelett vollständig ist. Nach 80 Heften hat man dann auch alle Muskeln und das Verdauungssystem beisammen. Mit Heft 2 wird die linke Gehirnhälfte geliefert, mit Heft 75 der Dickdarm samt einigen Schrauben. Da ist die Vorfreude sicher schon jetzt groß. Mit Ausnahme des Starthefts kostet So funktioniert dein Körper 6,99 Euro, für das vollständige Modell muss man also über 550 Euro ausgeben. Nur konsequent, dass es im Übersichtsheftchen heißt: „Kein billiger Miniaturbausatz“.

Ein bisschen gruselig: Karton der ersten Ausgabe von So funktioniert dein Körper

Und auch die Magazinbeilage liefert mit 14 Seiten keinen großen Mehrwert: Artikel wie „Dein Beinknochen“ und „So wächst dein Skelett“ mögen zwar manchen Leser interessieren, optisch werden sie aber im Stil eines Schulbiologiebuchs präsentiert. Das Heft zum 3D-Globus wirkt mit 20 Seiten und netterer Aufmachung zumindest ein wenig ansprechend.

Viele Sammelhefte erscheinen international

Es gibt eine Handvoll Verlage, die auf die in der Regel anzeigenfreien Sammelhefte spezialisiert sind: Am bekanntesten ist wohl De Agostini, eine Verlagsgruppe mit Hauptsitz in Mailand, deren Werke wie Faszination Traktor-Legenden und die Bud Spencer & Terence Hill – Die große DVD-Collection laut Eigenwerbung in 46 Ländern erscheinen.

Auch die Konkurrenz ist international tätig: Der spanische Verlag RBA beliefert angeblich 49 Länder. Außer So funktioniert dein Körper und Echte Insekten hat er eine Mineraliensammlung im Programm. Eaglemoss aus Großbritannien veröffentlicht das Star-Trek-Set, aber auch eine Militäruhren-Sammlung. Von Hachette Collections aus Frankreich kann man Mein 3D Globus und das „Fluch der Karibik“-Set Bau die Black Pearl kaufen.

Zu den Auflagezahlen heißt es von De Agostini auf Anfrage, in Deutschland sei zuletzt Torten Dekorieren das meistverkaufte Sammelwerk des Verlags gewesen – bei der ersten Ausgabe habe die Druckauflage 400.000 Exemplaren betragen. Hachette schreibt, die Startauflage deutscher Sammlungen läge in der Regel im fünf- bis sechstelligen Bereich. Die hierzulande erfolgreichste Reihe sei Bau die Bismarck gewesen.

Bemerkenswert ist, wie Hachette für ein Abo von Mein 3D Globus wirbt: „Direktbesteller erhalten die Sammlung (…) direkt nach Hause geliefert – so müssen deine Eltern nicht durch die halbe Welt reisen“. Ein Satz voll Wahrheit, denn ein Sammelmagazin für sich oder sein Kind regelmäßig am Kiosk zu kaufen, ist nur Masochisten zu empfehlen. Irgendwann kommt eigentlich immer der Tag, an dem man die aktuelle Ausgabe verpasst, oder an dem sie der Kioskbesitzer jemand anderem verkauft, obwohl man sie per „Bitte zurücklegen“-Karte reserviert hatte.

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Mein Enterprise-Modell: Für 4,99 Euro günstig, für 14,99 Euro nicht mehr

So gesehen sind das Star-Trek- und das Insekten-Set dankbare Vertreter des Sammelmagazins: Weil die Extras nicht aufeinander aufbauen, ist es weniger schlimm, wenn eine Ausgabe vergriffen ist oder das Heft überraschend eingestellt wird. Teuer wird es aber auch für Raumschiff-Fans: Ab dem zweiten Star-Trek-Heft werden für jedes Modell samt 20-seitigem Magazin 14,99 Euro fällig.

85 Insekten-Hefte soll es geben

Für das nächste Heft von Echte Insekten, das neben vermutlich wieder 16 Seiten einen Japanischen Rosenkäfer und einen Präsentationskasten mitbringt, werden 8,99 Euro verlangt.

Bis 2016 sollen 85 Insekten-Hefte erscheinen, mit denen man sich eine Großschabe und eine Riesenbaumwanze nach Hause holen kann. Zur Herkunft der Insekten heißt es: „Alle Insekten und Spinnentiere dieser Sammlung wurden in speziell hierfür eingerichteten Farmen gezüchtet.“ Auch stehe keins der Insekten unter Artenschutz oder sei vom Aussterben bedroht. Im Netz gibt es trotzdem eine Petition, die fordert, dass Echte Insekten vom Markt genommen wird. „Tiere sind keine Ware und kein Spielzeug!“, heißt es darin.

Passte nicht mal in meinen Rucksack: Die übergroße und hier bereits geöffnete Verpackung von Echten Insekten

Passte nicht in meinen Rucksack: Die übergroße und hier bereits geöffnete Verpackung der Startausgabe von Echte Insekten

Ich für meinen Teil werde keins der Hefte nochmal kaufen – und abonnieren sowieso nicht. Bei Echte Insekten schreckt mich schon die Prämie ab: Mit der dritten Lieferung bekommen Abonnenten eine konservierte Riesenvogelspinne, als „große Ergänzung für deine Sammlung“, was wörtlich gemeint ist: Die Spinne soll 14 Zentimeter lang und 11 Zentimeter breit sein. Ich habe erst letztens meine XXL-Urzeitkrebse aus dem Yps-Heft verschenkt. Mit angeblich bis zu acht Zentimetern Körpergröße waren sie mir zu gigantisch.

Hinweis: Eine etwas kürzere Version dieses Beitrags ist einen Tag vorher bei Spiegel Online erschienen, wo ich im Netzwelt-Ressort arbeite.

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