Entdeckt (59): Camerawoman – Perfekt versteckt im Frauenregal

Geht es nach den Verlagen, ist Fotografieren ein Männerhobby. Zumindest bis jetzt, da mit „Camerawoman“ ein Magazin speziell für Frauen auf den Markt kommt. Fragt sich nur, ob die graue Erstausgabe überhaupt jemandem auffällt.

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Die Macher von Camerawoman haben ihr Heft mit einem kleinen Hinweiszettel ausliefern lassen. „Bitte platzieren Sie Camerawoman bei Brigitte, Cosmopolitan und Glamour„, heißt es darauf – ein Wunsch an den Zeitschriftenhändler, der nicht überall erfüllt wurde. So steht das neue Fotomagazin mal zwischen den Lifestyle- und mal zwischen den Kamerazeitschriften, auf denen selten Frauen auftauchen. Und wenn doch, dann bevorzugt leicht bekleidet.

„90 Prozent der Leser von Fotozeitschriften sind Männer“, sagt Jürgen Lossau, der Erfinder und Chef von Camerawoman. Im Editorial schreiben sein Team und er, man wolle ein Heft machen, „bei dem es mehr um Gestaltung, als um Technik geht“. Ein interessanter Ansatz, finde auch ich als männlicher Leser, der seine Spiegelreflexkamera vor allem im Automatikmodus nutzt.

Mit Blick auf die Erstausgabe bin ich aber skeptisch, ob sich Camerawoman auf dem Markt durchsetzen wird. Das fängt schon bei der Titelseite an. Sie hat keine richtige Schlagzeile, stattdessen wirbt das Heft damit, dass alle Fotostrecken von Frauen sind. Dazu fallen die Schlagworte Haustiere, Food-Fotografie, Fashion und Promis, eine Art Rundumschlag mit vermeintlichen Fraueninteressen. Originell ist anders.

Ein Making-of? Dazu?

Besonders schwach finde ich das Coverfoto: Eine Frau in Schwarz hält eine Olympus-Kamera ins Bild, frei von jeder Emotion und in Grautönen. Auch nach längerem Nachdenken fällt mir keine Möglichkeit ein, wie man sein Heft noch besser zwischen den bunten Frauentiteln verstecken kann – ausgerechnet im Sommer.

Bei Camerawoman wird man meine Bedenken wohl nicht teilen. Dafür spricht ein einseitiger Making-of-Artikel zum Titelfoto, in dem das Model erzählt, dass es nicht leicht ist, „die Olympus für die große Kamera ins rechte Licht zu rücken und dabei auch noch den richtigen Blick drauf zu haben.“ Tatsächlich musste das Model mindestens drei Mal die Rolle der Produktpräsentiererin übernehmen, denn auf der ersten und letzten Innenseite des Hefts finden sich noch zwei ähnliche Motive. Schwarzes Kleid, Grautöne, dieselbe Kamera, ohne jeden Text.

Angesichts dieses Bildtrios überrascht es kaum, dass sich auf der Rückseite von Camerawoman noch eine Olympus-Anzeige befindet. Zu sehen ist dort dasselbe Kameramodell, mit dem Satz „Mein Style. Meine Bilder.“ Bemerkenswert fand ich, dass die Kamera innerhalb des Hefts keine Bedeutung mehr hat – das konkrete Modell taucht weder im Testteil, noch in einer Fotostrecke auf. Eine Produktinszenierung zum Selbstzweck.

Untergehen mit einer Olympus-Kamera

Im Magazin hat allerdings noch ein anderes Olympus-Gerät seinen großen Auftritt: Am Heftbeginn werden Fotos aus einem Tauchurlaub gezeigt, zwei junge Frauen schwärmen von ihrer Unterwasserkamera. „Wir haben eine Kamera, bei der wir uns keinerlei Gedanken machen müssen, ob sie nass oder dreckig werden könnte oder runterfällt“, werden sie zitiert. „Durch unsere Armtasche mit Flexi-Band ist sie easy zu bedienen. Einfach perfekt für einen Urlaub, in dem man viel erleben will.“

Obwohl Camerawoman in Sachen Produkterwähnungen an andere Frauenmagazine erinnert, versucht das Heft, ein wenig Lesestoff zu bieten. Unter anderem porträtiert es eine Mutter und eine Tochter, die gemeinsam ein Reisefotoblog führen. Ebenso werden die Arbeit der Mode- und Porträtfotografin Esther Haase und eine Porträtserie über Obdachlose vorgestellt. Diese Artikel haben ansehnliche Bilder, inhaltlich hinterließen sie bei mir aber keinen bleibenden Eindruck.

Am ehesten lesenswert fand ich eine Reportage, die erklärt, wie die Essensfotos für das Magazin Essen & Trinken entstehen. Darin erfährt man zum Beispiel, dass Gerichte mithilfe eines Öl-Wasser-Gemischs frischer aussehen. Kein schlechter Tipp, läuft man doch üblicherweise Gefahr, mit seinen Essensfotos auf Spott-Blogs wie Amateurkochfotos und Cooksuck zu landen. Der Food-Fotografie-Artikel beinhaltet auch zwei Kochrezepte, vielleicht für den Fall, dass jemand das Gesehene gleich nachfotografieren will. Oder, weil Camerawoman doch ein wenig ein 08/15-Frauenmagazin sein will.

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Fototipp-Seite aus der Camerawoman: Das Heft rät zum Beispiel zu skurrilen Motiven

Willkommen im Poesiealbum

Anders als man angesichts des Bildstrecken-Hinweises denken könnte, stammen im Heft nur die Fotos größtenteils von Frauen. Bei den Texten überwiegen männliche Autoren: So wurden etwa alle Kameratests von Männern durchgeführt. Immerhin kommen die auf dem Titel beworbenen „33 Tipps für bessere Bilder“ von einer Frau. Jener Artikel gehört zu einer Handvoll Servicetexte und besticht mit netten, aber unspektakulären Tipps.

„Sie trinken einen Tee und die Tasse hat zufällig genau die gleiche Farbe?“, heißt es etwa. „Basteln Sie sich ein Stillleben. Das ist persönlich und erinnert an einen schönen Moment.“ Ebenso findet man grundlegende Hinweise zum Einsatz von Blitz und Blende. Bei einigen Bildern in anderen Texten liefert Camerawoman auch konkrete Angaben zur eingesetzten Blende, zum ISO-Wert und zur Verschlusszeit.

Manchen Artikel im Heft konnte ich nur mit höchster Selbstdisziplin zuende lesen. Dazu zählt ein Ratgeber zum Aufhängen von Bilder, der scheinbar maximal langweilig beginnt – „Wer Bilder hat, hat auch Wände“ -, im Folgenden aber noch mehr anödet, mit Sätzen wie „Die Bestückung einer Wand folgt strengen Gestaltungsregeln“ und „Der Rahmen gilt immer noch als das klassische Verfahren der Fotopräsentation“.

Buntes aus Amsterdam

Auch über andere Inhalte habe ich mich gewundert: Wieso werden fünfseitig Café-Besitzerinnen interviewt, ohne klaren Fotografiebezug? Weshalb stellt man Profifotografen vor, liefert aber kaum Praxistipps aus ihrem Erfahrungsschatz? Und warum finden sich mitten im Heft Reisetipps für Amsterdam – knallbunt und handgeschrieben, als hätte ein junges Mädchen sein Poesiealbum in meinem sonst schlicht gelayouteten Heft vergessen?

Ausgehtipps für Amsterdam: Bin ich hier im Poesiealbum gelandet?

Ausgehtipps für Amsterdam: Bin ich hier im Poesiealbum gelandet?

Wie eingeschmuggelt wirkt auch eine Doppelseite in der Heftmitte, auf der sich zahlreiche Zitate übers Fotografieren finden – ohne Einleitung, ohne Überschrift. Ärgerlich auch, dass einer der vier Kameratests – der eines Olympus-Modells – in erster Linie aus dem Aufzählen der Funktionen besteht.

Ansatzweise originell wirkt Camerawoman nur an zwei Stellen: Erstens bei einer Kolumne, in der eine Fotografin erzählt, dass sie die Ausrüstung für ihren Job gern im Reitsportgeschäft kauft. Ein ungewöhnlicher Ansatz und das offenbar so sehr, dass hier nicht mal konkrete Produkte genannt werden. Und zweitens ist da noch der Artikel, in dem Autor Ideen dafür liefert, wie sich Papierabzüge nachbehandeln lassen – mit Kaffee und Nagellackentferner, aber auch mit Spiritus, Zitronensäure und einer heißen Pfanne.

Warum genau man die Tipps umsetzen sollte, machen die zerstört aussehenden Beispielfotos zwar nicht deutlich, dafür findet sich im Text manch lustiger Satz: „Binsenweisheit: je mehr Gefahrensymbole auf der Flasche, umso spektakulärer der Effekt“, heißt es: „Vor allem Ätzendes liefert Fulminantes.“ Bei dieser Passage war mir kurz nicht mehr klar, ob ich gerade eine Frauenzeitschrift lese oder doch ein Prollo-Magazin wie Beef oder Business Punk.

Camerawoman – ein Fazit

Dem kurzen Auflodern von Kreativität zum Trotz: Am Ende bleibt wenig hängen von Camerawoman. Es gibt keinen Artikel, den ich wirklich überraschend oder wenigstens unter Service-Gesichtspunkten empfehlenswert fand. Die Erstausgabe ist in vielerlei Hinsicht durchschnittlich – sprachlich wie von der Aufmachung her, und trotz dem ansprechenden Grundprinzip „Mehr Gestaltung als Technik“.

Unklar ist mir, warum sich Camerawoman nicht noch ein Stück weit radikaler von der Kameratechnik entfernt: Das Heft hätte eine noch größere Zielgruppe, wenn es zum Beispiel auch die Smartphone-Fotografie thematisieren würde. Stattdessen beschränkt es sich vor allem auf Kompaktkameras, und blendet so unter anderem Foto-Apps aus. So greift manche Gelegenheitsfotografin vielleicht doch eher zur Frauenzeitschrift nebenan im Regal, wo es zumindest ab und zu um Dinge wie die besten Instagram-Filter geht.


Infos zum Heft

Camerawoman erscheint seit Mai vierteljährlich. Das Magazin wird im Impressum als „Sonderpublikation des Fotomagazins Camera“ bezeichnet.

Das Heft hat laut seinen Machern eine Druckauflage von 65.000 Exemplaren und bereits rund 2000 Abonnenten. Auf den Markt kommt Camerawoman in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Produktion des Hefts wurde durch ein Crowdfunding ermöglicht.

Besprochen wurde die Erstausgabe 1/2015. Sie hat 100 Seiten und kostet fünf Euro.

Offenlegung: In einer älteren Fassung dieses Artikels hieß es, alle Kameratests seien vom selben Autor geschrieben worden. Tatsächlich sind es zwei Autoren, ich habe die Passage entsprechend geändert.

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