Am Kiosk gibt es seit einiger Zeit Ausmalhefte für Erwachsene. So etwas zeigt, wie überfordert die Menschen sind, sagen einige, als gebe jede Freizeitbeschäftigung Einblicke in die Psyche. Ich finde, die Hefte passen perfekt zum Zeitschriftenmarkt.
Ich würde sie ja gern testen, diese total neuen und total zeitgenössischen Ausmalhefte, die jetzt auch in Deutschland am Kiosk liegen. Blöd nur, dass es wirklich Malhefte sind, also Magazine, die aus nichts bestehen außer Bildern, die man ausmalen kann. Da gibt es eigentlich nichts zu bewerten, und nicht einmal eine zu schwach gedruckte Linie habe ich entdeckt.
Im Kioskregal stehen gerade unter anderem Mal’s dir aus!, Relaxen durch Malen und Geoscapes, alles Magazine mit Unterzeilen, die das jeweilige Heft als Produkt für Erwachsene ausweisen.
Die Hinweise sind nur Marketingkniffe, meines Wissens nach gibt man in keinem der Hefte Geschlechtsteilen oder Schnapsetiketten neue Farben. Lediglich die Komplexität der Motive variiert je nach Magazin, wobei ich bezweifle, dass die Bilder Kinder überfordern. Vermutlich malt ohnehin jeder Vorschüler präziser und ausdauernder aus als ich.
Im Magazin Mal’s dir aus! findet sich zum Beispiel dieses Bild, das eine mir nahestehende und tatsächlich erwachsene Person während einer Zugfahrt eingefärbt hat:
Sie hatte Spaß, sagte die Testperson beim Wegpacken der Buntstifte, und mit so einem Satz könnte von mir aus die inhaltliche Auseinandersetzung mit Erwachsenen-Malheften enden.
Seltsame Kritik
Entsprechend absurd erscheint mir, dass sich Leute über das Phänomen wundern oder gar daran stören. Im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung etwa hieß es – zu Erwachsenen, die Malbücher kaufen -, offenbar würden sich zahlreiche Menschen danach sehnen, keine Entscheidungen treffen zu müssen: „Und wenn sie mal eine treffen, soll sie bitte keinerlei Tragweite haben.“
Diesen Blick von außen halte ich für Quatsch. Allein, weil man beim Ausmalen schon aus der Sache heraus mehr entscheidet als etwa beim Serien gucken oder im Theater, wo man sich höchstens überlegen muss, ob man jetzt wirklich auf die Toilette geht und wenn ja, ob man sich gleich noch ein Glas Wein mitbringt. Ich glaube, es gibt einfach Leute, die früher gern ausgemalt haben – die mögen es noch immer – und welche, die das Ausmalen von Anfang an gelangweilt hat.
Von dieser These kann mich auch eine Verlagsmitarbeiterin nicht abbringen, deren Arbeitgeber Malbücher veröffentlicht. „Das Ausmalen ist eine Flucht vor der Selbstoptimierung, hinein in einen eigenen Flow, in dem es kein richtig oder falsch mehr gibt“, wird die Dame von der Nachrichtenagentur dpa zitiert, als wäre ganz normaler Spaß eine undenkbare Motivation.
Kinderhefte für Erwachsene, Erwachsenenhefte für Kinder
So wenig ich in den Malhefte-Trend hineininterpretieren würde, ich finde zumindest, dass die Hefte perfekt in den modernen Zeitschriftenmarkt passen, auf dem es bald gefühlt jedes Magazinkonzept für jede Zielgruppe gibt.
Achtjährige zum Beispiel können sich heute als Spiegel-Leser outen, hat das Nachrichtenmagazin doch wie Geo und die Zeit einen Ableger für Kinder:
Und auch ein Nischen-Klassiker wie Wild und Hund versucht, „junge Jäger“ mit einem Extra-Produkt anzuwerben:
Frauenzeitschriften für Männer gibt es auch schon:
Genau wie ein Erotikblatt für Frauen:
Oder Technikhefte speziell für Senioren:
Oder ein einstiges Kinder- und Comicheft, das mittlerweile Erwachsene ansprechen soll:
Und jedem, der sich ernsthaft über Ausmalhefte für Erwachsene aufregt, dem sei dieses Kinderheft ans Herz gelegt, mit einem echten Erwachsenen-Gimmick – einer Kreditkarte aus Plastik.
Und jetzt bitte alle Junggebliebenen weitermalen. Niemand muss, jeder darf.