Ein Aufklärungsheft gibt sich bieder, ein Magazin für „geilen Scheiß“ bietet kaum Geiles, eine Straßenzeitung druckt Wikipedia. Und ein Online-Kiosk behauptet, bei ihm fände man kreativere Cover als hier. Vier Erkenntnisse der letzten Wochen.
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1) Dr. Sommer hat geantwortet – nur nicht auf meine Fragen.
Zum ersten Mal im Leben habe ich kürzlich Dr. Sommer geschrieben. Na ja, verklemmt wie ich bin, ging meine E-Mail an seine Pressestelle. Ich hatte sieben kurze Fragen zu Bravo Eltern: Dr. Sommer, einem Sonderheft des Bauer-Verlags. Mit einer 100.000er-Auflage liegt es noch bis September im Handel, für 5,50 Euro bekommt man 148 Seiten rund ums Erwachsen-Werden.
Auf der Verlagswebsite heißt es, das Heft sei als „Erste-Hilfe-Guide“ gedacht, „für die Eltern, die ihre pubertierenden Kinder (wieder) verstehen wollen und auch für Mädchen und Jungen, die mitten in der Pubertät stecken“. Geschrieben ist das Heft aber klar für Kinder und Jugendliche, mit Dutzenden Antworten auf Fragen wie „Wann wächst mein Busen endlich?“ und „Mögen Jungs auch mollige Girls?“.
Ich vermute, das eigentliche Kalkül besteht darin, dass Eltern das Heft kaufen, um es wie zufällig im Wohnzimmer liegen zu lassen – in der Hoffnung, ihr Kind auch ohne peinliche Gespräche ein wenig aufklären zu können. Auch als Auslage in der Schule kann ich mir das Magazin besser vorstellen, als in einer Zeitschriftenauslage am Kiosk, irgendwo zwischen Kinder- und Elternzeitschriften.
Wie gemacht für Instagram
Optisch könnte man das Heft mit Zeitschriften für junge Frauen verwechseln. Ich glaube nicht, dass das Design Jungs anspricht. Mit seinen Stockfotos, auf denen die Models meist nicht mal den Hauch eines Pickels haben, wirkt das Heft zudem seltsam clean. Von der Gestaltung her würde es als Krankenkassen-Werbebroschüre durchgehen. Und selbst die Protokolle hoffentlich echter Paare, die Einblicke in ihre Beziehung geben, wurden mit Symbolbildern illustriert, nach dem Motto: Authentizität? Ja, ist was Tolles, aber war uns zu teuer oder aufwändig.
Auf nackte Haut verzichtet die Eltern-Bravo, was mich überraschte, will sie doch vermitteln, dass jeder Intimbereich anders aussieht und trotzdem schön ist. Während die normale Bravo im „Dr.-Sommer-Bodycheck“ jeweils eine junge Frau und einen junger Mann nackt zeigt, wirkt das Sonderheft wie für Instagram optimiert: schöngefiltert, bis es langweilt, und so bieder, wie es die US-Fotoplattform verlangt.
Sprachlich ist das Heft in Ordnung. Manche Passage wirkt aber unfreiwillig komisch und klingt nur einen Satz weiter, als wolle man jetzt wirklich mit Bienchen und Blümchen anfangen: „Der äußere Bereich heißt Vulva“, heißt es etwa auf der Doppelseite „Wundervolle Vagina“. „Doch egal wie du sie nennst – Muschi, Pussy, Spalte, Muschel oder Schmuckkästchen: Sie ist dein intimster Körperteil. Sie schenkt dir jede Menge Lust und Glücksgefühle – und dank ihr kannst du später mal Kinder bekommen …“
Peinliche Nachfrage am Kiosk
Generell werden viele für Pubertierende wichtige Fragen vernünftig beantwortet, auch Themen wie Homosexualität schneidet das Heft an. Das Magazin ist fast werbefrei, die große Ausnahme ist eine Anzeigen-Doppelseite der umstrittenen Initiative Schmerzlos, deren Aufmachung an den redaktionellen Teil des Magazins erinnert. Würde mich interessieren, was diese Anzeige gekostet hat.
Noch spannender fände ich aber einen Einblick in die Verkaufszahlen des Hefts, denn ich vermute, dass es im Kiosk einen schweren Stand hat. Mir jedenfalls war es ein wenig unangenehm, an einem Verkaufsschalter zu fragen, ob sie „ein Dr.-Sommer-Heft, eine Bravo für Eltern oder sowas“ haben. Kindern dürfte der Kauf noch peinlicher sein.
„Freuen uns über Ihr Interesse“
Auf die Frage, ob auch die Macher von solch einer Hemmschwelle ausgehen, hat mir die für Dr. Sommer zuständige Bauer-Pressestelle nicht geantwortet. Genauso wenig bekam ich eine Rückmeldung auf die Fragen, wieso man nur Stockfotos benutzt und wieso das Aufklärungsheft so viel biederer daherkommt als etwa das hervorragende „Make Love„.
Die Pressestelle schrieb nur knapp zurück: „Wir freuen uns über Ihr Interesse. Wir möchten Sie allerdings um Verständnis bitten, dass wir aufgrund der sich häufenden Anfragen – auch weil Bravo im August 60 wird – zusätzlich zu unserer Pressemitteilung keine Statements geben können.“ Na, danke. Vielleicht war es auch einfach zu früh, um zumindest meine siebte Frage zu beantworten: „Ist schon ein zweites Heft geplant?“
2) Wo geiler Scheiß draufsteht, ist nicht unbedingt geiler Scheiß drin.
Neben dem Bravo-Sonderausgabe lag bei mir in den letzten Wochen auch Bock im Wohnzimmer, kurzzeitig sogar zwei Mal. Ich hatte mir das Heft für eine Bahnfahrt gekauft, bevor ich merkte, dass schon ein Rezensionsexemplar im Briefkasten steckte, adressiert an „Bockfan“ Markus Böhm. Die Macher waren wohl zu recht überzeugt, dass mich ein „Gagazin für alle, die Lust auf geilen Scheiß haben“ anspricht.
Die Erstausgabe von Bock finde ich aber enttäuschend. Gemacht wird das Magazin vom Journalisten und Karikaturisten Peter „Bulo“ Böhling, zusammen mit Tele 5 und dessen Chef Kai Blasberg. Für fünf Euro bekommt man 100 Seiten, 10.000 Hefte wurden von Ausgabe 1 gedruckt.
Thematisch zielt das Heft eher auf Männer, darauf deutet auch eine Penislängen-Schablone hin, die einen Vergleich mit Ferrari- und Aston-Martin-Fahrern möglich macht. Im Magazin gibt es viele Karikaturen und Illustrationen, das Cover lässt erahnen, was den Leser vom Stil her erwartet.
„Geilen Scheiß“ habe ich vergeblich gesucht. Viele Bock-Inhalte kamen mir eher altbacken oder abschreckend vor: Brauche ich ein Interview, dass Kai Diekmann mit sich selbst führt? Mir reicht sein Getwitter, ich will keine Passagen lesen wie: „Mein Körper ist mein Tempel. Normalerweise sagt man ja: Entweder klug oder schön. Bei mir hat der liebe Gott da eine Ausnahme gemacht. Was für eine Verschwendung eigentlich. Glauben Sie mir, mein gutes Aussehen ist mir völlig egal. Ich bin ja nicht mal eitel.“
Titelgeschichte zu Hundekot
So brav und mittellustig wie das Diekmann-Interview kommen auch die meisten anderen Heftteile daher. Das Wildeste sind kurze Hassbotschaften, die man ausschneiden und Verkehrsrowdys an die Scheibe kleben soll, etwa „Ab heute ist Ihr Fahrzeug verflucht: Jede Taube dieser Stadt wird in Zukunft darauf ein Zeichen setzen.“
Die Titelgeschichten des Hefts drehen sich ums Hundekot-Wegräumen („Die Liegenlasser: Welche Typen sich einen Dreck um den ihrer Hunde scheren“) und um Einkaufswagen-Schlangen („Im gesellschaftlichen Würgegriff der Schlange – die politische Dimension des unterschätzten Phänomens Einkaufswagenstau“). Alltagsanekdoten werden mal mehr, mal weniger gut aufgeblasen, nette kleine Ideen nur nett umgesetzt.
Ein Männermodel zum Beispiel macht Frauenposen nach. Auf der Straße gefundene Zettel sollen dokumentieren, was die Deutschen wirklich bewegt. Passanten wie ein LARP-Fan oder ein Slackliner erzählen in Miniporträts, warum sie machen, was sie machen. Es gibt ein Papp-Dixi-Klo zum Ausschneiden, ein Wimmelbild voller nackter Comicfiguren zum Ausmalen und Fotos vom größten Fischmarkt der Welt.
Karl Dall gewinnt
Doch wo ist das Spektakuläre, das Weitererzählenswerte? Bock fehlt vor allem eine besondere Geschichte, über die man mit seinen Freunden sprechen will. Oder zumindest ein Hingucker-Cover, wie es vielen Titanic-Ausgaben die nötige Aufmerksamkeit sichert.
Und wie eigentlich kann man im Jahr 2016 eine Sammlung kurioser Gesetze aus aller Welt in ein vermeintlich originelles Heft packen? Wie kommt man auf die Idee, einen Comic von „Carlo, dem kackenden Clown“ mit drei Bildern anfangen zu lassen und dann zu schreiben, dass es das Ende auf der Website des Magazins gibt?
Am spannendsten fand ich in der Erstausgabe einen Artikel, in dem Karl Dall über das Thema Tod reflektiert. Im „Gagazin“ ist ausgerechnet der ernsteste Inhalt noch der interessanteste. Nett fand ich auch noch ein Angela-Merkel-Quiz, das mit einem Bild von einer Merkel-Puppe endet, die so creepy ist, dass ich sie sofort auf den Titel gepackt hätte. Creepy-Merkel, das ist geiler, wenn auch verstörender Scheiß. Nicht die Selbstironie von Kai Diekmann.
3) Straßenmagazine können auch richtig schlecht sein.
Ein drittes Magazin, das mich zuletzt irgendwie aufwühlte, ist das Straßen Journal Deutschland – ein im April gestartetes Heft, das in Hamburg und Umgebung von Obdachlosen verkauft wird. Ich weiß nicht so recht, ob das Magazin Stand heute noch existiert (Mitte Juli war es offenbar noch im Handel). Die Mai-Ausgabe, die bei mir herumliegt, lässt mich aber ernsthaft an den Zukunftschancen des Heftes zweifeln. Denn das Straßen Journal kauft wohl niemand freiwillig öfter als ein Mal.
In Deutschlands Großstädten ist man in Sachen Straßenmagazine fast verwöhnt: Hefte wie Hinz&Kunzt in Hamburg oder Biss in München sind handwerklich gut gemachte Zeitschriften, sie werden von Journalisten befüllt und bieten mitunter wirklich interessante Einblicke ins Stadtleben.
Das Straßen Journal Deutschland dagegen wirkt wie in 60 Minuten zusammengekloppt und dann nie wieder angeschaut. In meiner Mai-Ausgabe zum Beispiel druckt es auszugsweise die Wikipedia-Einträge zum Hamburger Hauptbahnhof, zur Geschichte der Titanic und zum Bischof Drogo von Metz nach, letzteres unter den Überschriften „Aus der Geschichte“ und „Wussten Sie das?“. Wow, Wikipedia to go, da haben Magazine im Digitalzeitalter ja doch noch ihre Bestimmung gefunden.
Dichtkunst der Marke Straßen Journal
Von den nur 20 Seiten blieb mir sonst ein Gedicht in Erinnerung, das mal jemand hätte Korrektur lesen sollen. „Der himmel weint mir mir“, beginnt es, „der wolken schauen grau an. kein glück und kein sternen. wo sind sie hin? sind sie gerluchtet für die dünkelheit? all diese frage schweben nür in mein kopf. wer kann mich hilfe bieten? wer beantwört sie? sagst du es mir?“ Darunter findet sich der Hinweis: „Wollen Sie Ihre eigene oder befindet Ihre Lieblings-Gedicht sich im Straßen-Journal?“
Mir tun vor allem die Menschen leid, die so einen Schrott verkaufen sollen, für 1,95 Euro, wovon sie offenbar immerhin 0,95 Euro erhalten. Lieber würde ich einem Obdachlosen aber direkt zwei Euro spenden, als dafür dieses lieblos gemachte Magazin zu bekommen.
Bemerkenswert ist übrigens auch das Cover der Mai-Ausgabe: „Zeitschrift Straßen Journal völlig legal“ steht auf der Titelseite des Straßen Journal, offenbar als Reaktion auf einen Streit rund um den Marktstart des Magazins. Dazu halten Verkäufer die vorherige Ausgabe in die Kamera. Da zückt man dann natürlich sofort sein Portmonee – und kauft sich eine Ecke weiter lieber eine Hinz&Kunzt.
4) Für die Kollegen von Readly habe ich ein paar Screenshots gemacht.
Als ich auf einen Facebook-Kommentar der Magazinflatrate Readly stieß, musste ich Ende Mai kurz lachen. Mein jüngster Blogtext hatte noch einmal die Runde gemacht, weil er beim Spiegel-Online-Ableger Bento zweitveröffentlicht wurde, von wo er dann irgendwie auf dem Facebook-Account von Spiegel Online landete – mit einer Clickbait-Überschrift. Unter dem Post kommentierte einige Tage lang halb Social-Media-Deutschland, von Vice bis zum Fechterbund (hier ein Zwischenstand).
Interessant fand ich dabei, wie Spiegel-Online-Fans auf einen Bento-Artikel reagierten, der als Beitrag für ein Hobbyblog konzipiert war. Eine Facebook-Nutzerin hat die Entstehung des Textes sogar fast korrekt beschrieben: „‚Hey Praktikant, mach einen Artikel!‘ Praktikant gräbt in der Mülltonne, zieht ein paar Zeitschriften raus.“
Der absurdeste Kommentar kam dann aber von Readly. Der Account des Dienstes schrieb irgendwo im Diskussionsverlauf: „Spiegel Online, für eine kreativere Coverauswahl hättet ihr der Bento-Redaktion mal Readly zeigen sollen. Ihr würdet nicht glauben, was dann passiert wäre!!!“
Readly, ausgerechnet ihr?
Das fand ich witzig, denn ich kann sagen, was passiert wäre. Hier im Blog hatte ich Readly vor rund einem Jahr einmal vorgestellt, unter der Überschrift „Print kann so stumpf sein„. Der Dienst hat nämlich eine Archiv-Funktion, die für den Leser Segen und Fluch zugleich ist: Dank ihr merkt man, wie ähnlich sich oft die Magazinausgaben verschiedener Wochen oder Monate sind.
Aktuell habe ich sogar wieder ein Readly-Abo, daher habe ich kurz nachgesehen, was für Titelseiten von dort es in meine Auswahl der seltsamsten Cover hätten schaffen können.
Ein Kandidat wären die Helene-Fischer-/Florian-Silbereisen-Titel des Klatschmagazins Das Goldene Blatt gewesen. In den letzten Monaten war das Paar sechs Mal mit Foto auf dem Cover, wobei offenbar drei Mal dasselbe Fischer-Bild verwendet wurde. Die Redaktion hat ihr jeweils nur per Bildbearbeitung ein neues Kleid verpasst.
An den Fotomontagen, die sogar als solche gekennzeichnet sind, fasziniert mich besonders das hellblaue Kleid, das auch als Tischdecke meiner Oma durchgehen würde.
Die zwei Cover mit der identischen Titelzeile „Hurra! Es ist so weit“ erschienen übrigens mit sechs Ausgaben Sicherheitsabstand. Hierbei ist besonders das Kleid auf der älteren Titelseite eine Photoshop-Meisterleistung:
Gut im Kleiderfärben ist nach wie vor auch die Fernsehzeitschrift TV Direkt, wo niemand in Nicht-Rot aufs Cover darf. Und blonde Haare werden offenbar auch bevorzugt.
Auffallend rot kommen auch die Skandal-Cover der Frau Aktuell zu Angela Merkel daher. Ihren Rücktritt muss ich in den vergangenen Wochen verpasst haben.
Mitbekommen habe ich dagegen, dass die Laufzeitschrift Runner’s World gern ihre Coverzeilen recycelt:
Und nicht nur die Besser-Laufen-Zeile durfte schon ein Comeback feiern:
Vielleicht meint Readly mit den kreativen Covern aber auch die, die wohl aus Rechtsgründen nicht mehr vollständig gezeigt werden?
Oder jene Cover, die ohne Titelzeile nicht mehr ganz so gelungen aussehen?
Oder meinte Readly die Asi-Titel des Promiblatts Closer?
Die Closer-Cover sind immerhin abwechslungsreicher als die Titelbilder der Kamera-Bibeln und des Deutschen Waffen Journals.
Im Vergleich zu meinem letzten Besuch 2015 gibt es bei Readly aber auch Lichtblicke. So hat das Fotoheft CanonFoto nun nicht mehr in jeder Ausgabe einen durch den Sucher schauenden Mann riesengroß auf dem Titel. Der Knipser ist jetzt kleiner und nach rechts oben gewandert. Zwei Mal war an der Stelle zuletzt sogar eine Frau zu sehen.
Und sogar beim Kochmagazin „Mein Lieblingsrezept“ gab es eine bemerkenswerte Änderung. Nachdem das Heft mindestens zwei Jahre lang auf jeder Ausgabe mit „Jetzt neu: 8 Seiten mehr“ warb, ist der Spruch jetzt, zum fünfjährigen Heft-Jubiläum, vom Cover verschwunden (oben links).
Im Editorial der ersten Ausgabe ohne „8 Seiten mehr“-Banner findet sich dafür der folgende Satz: „Hier bleibt alles beim Alten, auch in den nächsten fünf Jahren!“