Entdeckt (63): Wolf – Weniger Wischen, mehr Rauchen

Meditation-Tipps, rauchende Weiberhelden und ein Auto-Quartett: Mit „Wolf“ hat das Kreativmagazin „Flow“ einen Ableger für Männer bekommen. Das Heft ist so untypisch für Männermagazine, das es vielleicht sogar Frauen anspricht.

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Womöglich bin ich nicht alt, nicht gestresst genug, um Wolf zu mögen. Oder aber, auch nicht beruhigender, ich lebe so schnell, so unachtsam, dass das Heft nie eine echte Chance bei mir hatte. Gelesen habe ich das „Männer-Magazin für das Wesentliche“ jedenfalls an einem Samstagabend, während parallel ein Spielfilm lief: Ich befürchtete, ein Medium allein könnte mich langweilen.

Dem Heft gegenüber ist das ein Affront, denn schon die erste Doppelseite ziert ein David-Bowie-Zitat: „I don’t know where I am going from here. But I promise it won’t be boring“. Aber: Wer traut schon Promizitaten in Zeitschriften? Und außerdem, hieß es nicht auf dem Titel, in den Worten von Marlon Brando: „Nur wer seinen eigenen Weg geht, kann von niemandem überholt werden“?

Wolf, Ende November erstmals erschienen und ein Ableger des Frauen-Kreativmagazins Flow, setzt laut Verlagsankündigung „auf Slow Journalism statt digitaler Eile“. Das Heft für 8,50 Euro stehe „für Entschleunigung, Achtsamkeit und Inspiration“, heißt es. Es richte sich „an Männer, die sich weniger Tempo und mehr Leben wünschen“.

Offline ist besser?

Nicht nur meine Lesesituation lässt mich bezweifeln, dass ich in diese Zielgruppe falle. Ich bin der Typ, der an der U-Bahn-Haltestelle ständig aufs Handy schaut oder Musik hört und das besser findet als früher, als es noch keine Smartphones gab. Und ich lasse mich nicht nur mit Nachrichten bombadieren, sondern gehe aktiv auf die Suche danach. Wolf allerdings idealisiert eine andere Art zu leben.

In vier Heftabschnitten wie „Mehr verstehen: Leben im Hier und Jetzt“ und „Jetzt ich: Zeit für eine Pause“ plädiert es für die Konzentration auf einen selbst, was meistens bedeutet: für ein analogeres Leben. Mehr Natur, weniger Netz. Wohl nicht nur gefühlt sind „Achtsamkeit“ und „Offline“ die Begriffe, die auf den 140 Seiten am häufigsten vorkommen. Folgerichtig gibt es das Heft nur gedruckt, nicht digital.

Ein Autor trifft in Wolf alte Kumpels und fragt sich, wie aus Turnbeutel-Verlierern Ladekabel-Liegenlasser geworden sind. Männer stellen ihre Hütten im Grünen vor, aber ohne ihren Preis zu verraten. Als drei Männer, „die wir klasse finden“, werden ein Wegebauer, ein Schiffslotse und ein Rennrad-Reparierer interviewt. Und einmal wird ein Handy präsentiert, das nur SMS und Telefonie kann und wie ein Taschenrechner aussieht: für – nein, es fehlt wirklich kein Komma im Preis – 295 Euro.

Wir sind alle nicht Steve McQueen

Handwerklich überzeugt Wolf. Die Textqualität ist ordentlich, trotz Duzen des Lesers und mancher Plattitüde wie „Wie geil ist das denn?“. Lang- und Kurzform, Bilder und Text wechseln sich ab und auch das schlichte, leise Layout mit stilvollen Illustrationen passt zur Stimmung, die das Heft vermitteln möchte. Hin und wieder habe ich aber auch das Gefühl, dass Wolf sich verrennt, wenn es nicht wie andere Männermagazine sein will, aber doch ein bisschen.

Dem Editorial zufolge war zum Beispiel ein Ziel beim Heft-Produzieren dieses: „Nicht so tun, als ob wir alle Steve McQueen wären“. Das ist ein guter Ansatz, denke ich mir, angesichts von Heften wie How to be a Playboy, wo man sich als jemand, der gerade ernsthaft ein Magazin namens How to be a Playboy gekauft hat, mit Cover-Star George Clooney vergleichen darf.

Doch die vier Wolf-Kapitel beginnen mit ganzseitigen Porträtfotos von David Bowie, Ryan Gosling, Sean Penn und Paul Newman, dazu wird kurz angerissen, was sie so erreicht haben, vom Oscar-Gewinn bis zur Madonna-Heirat. Ich sag’s mal so: Männer wie ich und die meisten, die ich so kenne, sind wirklich alle nicht Steve McQueen. WIR SIND ABER AUCH GENAUSO WENIG SEAN PENN ODER SCHAUSPIELER, PARDON, SÄNGER, PARDON, SEXSYMBOL RYAN FUCKING GOSLING!

Hängt sich bestimmt rein

Bei Ryan Gosling findet sich noch folgender Satz, der ihn vielleicht menschlicher erscheinen lassen sollte: „Gosling hat zwei Töchter mit Eva Mendes. Es ist unbekannt, wie gut er sich um die Kinder kümmert.“ Puh. Doch dann folgt noch: „Der Hit seiner Band lässt vermuten, dass er sich richtig reinhängt. Der Song heißt ‚Pa Pa Power‘.“ Ah ja.

Es fällt noch auf, dass alle vier Stars eine Kippe im Mund haben. Während sich ein Autor also übers „Scheißrumgewische auf dem Smartphone“ ärgert, – Suchtgefahr, emotionale Abhängigkeit und so -, scheint Rauchen in der Wolf-Welt noch cool zu sein.

Überhaupt scheint sich das Heft den Lebensstil vergangener Zeiten zurückzuwünschen – oder, realistischer, eine Männer-Zielgruppe zu haben, die deutlich älter ist als ich. So werden zum Beispiel (wie in gefühlt jeder Musiktrend-Geschichte der letzten Jahre) Schallplatten und Plattenläden abgefeiert – Zitat: „Vinyl ist bio“ -, worüber ich nur lächeln kann, weil ich mir gerade ein Mischpult mit Spotify-Unterstützung gekauft habe, was man analog zum Bio-Vinyl wohl mit „Massenmusikhaltung“ beschreiben würde.

Seine Lebens- und Leidensgeschichte erzählen darf außerdem der Hamburger Sänger Dirk Darmstaedter (früher bei The Jeremy Days), von dem ich, Jahrgang 1987, noch nie gehört habe. Ein Abschnitt im Darmstaedter-Text mit der Überschrift „Gegenwart“ scheint passenderweise in den Achtzigern zu spielen, ein anderer, „Zukunft“, im Jetzt.

Gute Reportage, blöde Postkarte

Interessanter als solche Artikel fand ich die Extras des Hefts. Anders als Frauen bei Flow bekommen Wolf-Käufer nichts zu basteln, sondern ein Quartett mit Film-Autos, eine lange „New York Times Magazine“-Reportage als Extraheft und vier Postkarten. Während das Quartett nett ist und die Reportage über einen Mann, der in den Ozean fällt, tatsächlich spannend, sind die Postkarten lächerlich. Ich jedenfalls will Willy Brandts Zitat „Lasst euch nicht zu Lumpen machen“ niemandem schicken und es auch von niemandem als Wolf-Werbepostkarte bekommen.

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Überhaupt, Promi-Zitate: Neben Brandt, Brando und Bowie finden sich im Heft weitere Sprüche wie „Wenn das Leben Zitronen schenkt, mach Limonade draus. Dann such jemanden, dem das Leben Wodka beschert hat, und feiert eine Party zusammen.“ Manche Wolf-Seite erinnerte mich so an WG-Küchen voller peinlicher Kühlschrank-Magneten, wie es sie dann vielleicht in Heft zwei als Extra gibt (meine Empfehlung: „“Willen braucht man. Und Zigaretten“ – Helmut Schmidt).

Nicht so schlecht finde ich es dagegen, durch Wolf mit der Welt der Achtsamkeit zumindest mal konfrontiert zu werden – um den Schluss zu ziehen, dass sie mich aktuell nicht interessiert. Einsteiger-Tipps zum Meditieren („Stell dir vor, dein Kopf ist ein Luftballon, der langsam nach oben gezogen wird“) flankieren den Erfahrungsbericht eines Journalisten und Krimi-Autoren, der bei einem Achtsamkeits-Kurs war, wo er minutenlang auf eine Rosine achten sollte (Im Text appelliert er an dieser Stelle zu Recht: „Bitte bleibt bei mir, Leute“).

Nur noch in den Puff

Außer ihm waren fast nur Frauen im Kurs, schreibt der Autor, der Kurs habe ihm aber etwas gebracht: Wenn die Kinder ihn aufregen, könne er nun nicht mehr sagen „Ich kann nicht anders, ich muss brüllen.“ Offen bleibt leider, ob die Kolumne einige Seiten vorher, in der sich derselbe Schreiber „wieder ein paar echte Feinde“ wünscht, vor oder nach dem Besuch des Kurses verfasst wurde.

Um Kinder geht es in Wolf ab und zu mal, prinzipiell ist das Heft aber aufs Mann-Sein fixiert. Es gibt eine Geschichte über eine Affäre, die der Protagonist letztlich bereut, und über eine Ex-Beziehung in Seattle. Auf Fotos tauchen Frauen im Heft höchstens zufällig mal im Hintergrund auf. Stattdessen findet man in Wolf noch Burger-Rezepte (neben einer Anzeige für das Fleischmagazin Beef) und einen Text über die revolutionäre Kraft der Bauhaus-Schule, der eventuell versehentlich hier rein statt ins im selben Haus wie Wolf und Beef produzierte Kunstmagazin Art gedruckt wurde.

Komisch wirkt auch, dass Wolf zwei Anti-Konsum-Texte bietet. Einmal wird ein Blogger vorgestellt, der seinen Besitz bis auf (mehr oder weniger) 100 Dinge verschenkt hat, einmal wird ein Sozialpsychologe unter der Überschrift „Wer weniger besitzt, hat mehr Zeit“ interviewt. Gleichzeitig jedoch finden sich im Heft einige Kauftipps, teils mit dem expliziten Hinweis, dass man die Produkte alle im Internet kaufen kann. Die Tipps reichen vom 120-Euro-Strandtuch über einen 650-Euro-Lederkopfhörer bis zur 1080-Euro-Kamera.

Wow, normale Typen

Angesichts solcher Preise war ich froh, dass kurz vor Heftende noch erklärt wird, wie man selbst einen Hocker baut – in zehn Minuten und mit Holz für zehn Euro. Und als dann auf der letzten Seite noch eine Amateur-Sportmannschaft – Fußball fehlte bis dahin komplett im Heft – vorgestellt wurde, auf deren Mannschaftsfoto acht ganz normale Kerle zu sehen sind, war ich auch mit dem Männerbild von Wolf versöhnt.

Denn, ja, ich bin nicht Steve McQueen oder Ryan Gosling, sondern realistisch eher der Typ rechts oben auf dem Mannschaftsfoto. Der, der es irgendwie verpasst hat, seine Bierflasche aus der Hand zu nehmen, als das Foto gemacht wurde.

Wolf – ein Fazit

Alles in allem finde ich Wolf vom Design her ansprechend, inhaltlich jedoch ist das Heft nichts für mich. Vielleicht fände ich das Heft interessanter, wenn ich ein anderer Typ Mann wäre: älter, Familienvater, mehr Naturbursche, weniger Nachrichten- und Technik-vernarrt. Was Wolf als toll darstellt – Meditieren, Offline-sein, im Grünen wohnen und arbeiten – finde ich alles nur interessant, solange ich es nicht machen muss.

Meiner Freundin würde dieses Männerheft besser gefallen. Auf Nachfrage sagt sie jedenfalls: „Da könnten vielleicht noch mehr Gesundheitstipps für Männer drinstehen.“ Und vielleicht zielt Wolf ja sogar insgeheim auf Frauen: auf Flow-Leser, die ihrem Partner mal so etwas Ähnliches unterjubeln wollen.

Das würde auch erklären, warum im Heft kaum Frauen vorkommen und erst recht keine nackten, im Gegensatz zu Frauenheld Ryan Gosling. Die meisten Frauen würden ein typisches Männermagazin nämlich niemals für ihren Partner kaufen. Bei Wolf dagegen kann nicht viel schiefgehen: Der Partner kann es nur langweilig finden. Oder aber er legt mal sein Smartphone weg, beginnt zu meditieren und baut einen Hocker.

 

Infos zum Heft

Wolf ist ein Ableger des Frauen-Kreativmagazins Flow und erscheint in der Verlagsgruppe Deutsche Medien-Manufaktur (DMM), laut Pressemitteilung einer Tochter von Gruner + Jahr und dem Landwirtschaftsverlag Münster.  

Zur DMM gehören auch Hefte wie LandlustEssen & Trinken und Essen & Trinken mit ThermomixDie Druckauflage von Wolf beträgt 70.000 Exemplare, das Magazin gibt es im Zeitschriftenhandel zu kaufen.

Besprochen wurde die Erstausgabe aus dem Winter 2016. Sie hat 140 Seiten und kostet 8,50 Euro.

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