Magazin-Menschen (3): Der Fanzine-Macher – „Fußball ist immer außen vor“

Geschichten aus dem Fanblock: Seit sieben Jahren erscheint „Blickfang Ultra“, ein Magazin für die Ultraszene. Im Interview verrät Gründer Mirko Otto, wie das Heft entsteht – und warum das Geschehen auf dem Rasen außen vor bleibt.

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Ultras kann man cool oder schrecklich finden. Sie zu ignorieren, fällt aber schwer, in fast allen Stadien haben sie ihren Platz gefunden. Dort machen sie mit Gesang und Choreographien auf sich aufmerksam, manchmal auch mit Pyrotechnik. Bis heute suchen Polizei und Vereinsverantwortliche nach dem richtigen Umgang mit der Fanbewegung, deren Ursprünge in Italien liegen.

Mirko Otto, 34 und in einer Werbeagentur tätig, ist seit 1997 Ultra. Er zählt zu den ersten Mitgliedern der Gruppe Red Kaos beim FSV Zwickau. Mittlerweile kennt man Otto aber über die ostdeutsche Szene hinaus, vor allem durch Blickfang Ultra (BFU), ein gruppenübergreifendes und vergleichsweise professionell wirkendes Fanzine, das er Anfang 2007 mit einem befreundeten Dresdner gestartet hat. Gerade ist Ausgabe 31 erschienen, in „mittlerer vierstelliger Auflage“. Genaue Zahlen nennt Chefredakteur Otto nicht.

Seinem Nischenheft kann man auch außerhalb der Nische begegnen. Auf Facebook gefällt es fast 60.000 Nutzern, damit ist es dort deutlich populärer als andere Ultrahefte wie Erlebnis Fussball und 45°. Seit zwei Jahren gibt es Blickfang Ultra sogar am Bahnhofskiosk, neben den Mainstreamblättern. Zeit also für einen Anruf bei Mirko Otto.

Kioskforscher: Herr Otto, was halten Sie eigentlich von Sport BildKicker und 11Freunde?

Otto: „Als ich jünger war, habe ich die Sport Bild jede Woche gelesen, den Kicker eigentlich nie. Die 11Freunde habe ich erst regelmäßig gekauft und cool gefunden, dann hat sie durch eine ultrakritische Titelgeschichte viel Credibility verloren. Seitdem blättere ich das Heft nur noch durch – damit ich es wirklich lese, bräuchte es eine Zugfahrt mit sehr viel Langeweile.“

Welche Hefte finden Sie spannender?

„In Deutschland gibt es eine reichhaltige Fanzinekultur, da kommen jeden Monat zehn neue Hefte. Ansonsten lese ich gern den Ballesterer, ein Magazin aus Österreich. Mit denen haben wir auch eine Mini-Kooperation, neulich haben wir zum Beispiel ein Foto nachgedruckt.“

Blickfang Ultra besteht vor allem aus Spielberichten, die das Geschehen auf der Tribüne dokumentieren, oft mit Infos zur Anreise und zur Vorbereitung. Dazu kommen Porträts einzelner Ultragruppen, teils in Interviewform. Mit welcher Motivation haben Sie das Heft gestartet?

„Hm, wieso macht man so ein Heft? Wegen der Freude am Schreiben? Ein Kumpel hat damals gesagt ‚Wenn nicht wir, wer sonst? Wir ballern uns jeden Tag den Kopf voll mit allem, was in der Ultrawelt passiert. Wir wissen, wer wo war, wer was macht, gucken uns ständig die neuesten Fotos an. Wir leben dafür.‘ So kam es, dass wir einfach mal alles zusammengetragen haben. Drei Monate später erschien Heft eins.“

Kleine Szene, langer Text: Beginn eines Porträt der Ultras aus Lippstadt.

Kleine Szene, langer Text: Beginn eines Porträts der Ultras aus Lippstadt. (Hinweis: Alle Fotos stammen aus der Blickfang-Ultra-Ausgabe 30.)

Sie haben einfach mal so ein Magazin gestartet?

„Ich hatte schon vorher ein überregionales Heft gemacht, Blickfang Ost, ab 2002. Das Heft war ähnlich aufgebaut, aber schwarzweiß. Und man bekam es eigentlich nur unter der Hand, also direkt über Ultragruppen.“

Blickfang Ultra gibt es auch in Bahnhofskiosken.

„Traditionell werden Hefte wie unseres nur im Stadion verkauft. Die Ultragruppen bestellen eine bestimmte Heftzahl, die sie an ihren Ständen weiterverkaufen. Dafür bekommen sie ein paar Cent Provision, die Bestellungen sind versandkostenfrei. Aber für die Leser ist es eigentlich praktischer, ein Heft im Bahnhof zu kaufen. Du musst es nicht im Stadion mit dir rumschleppen, musst es nicht knicken und verlierst es nicht auf Auswärtsfahrten.“

Gibt es Gruppen, die Ihr Magazin nicht verkaufen?

„Ja, zum Beispiel die Ultras von Eintracht Frankfurt. St. Pauli nimmt ein paar einzelne Hefte, dort gibt es aber auch keinen öffentlichen Verkauf. Und dann gibt es noch Gruppen, die den Heftverkauf aus Schusseligkeit nicht auf die Reihe bekommen, die vergessen, regelmäßig zu bestellen. Die meisten Hefte gehen im Moment nach Schalke, aber auch Dresden, Union Berlin und Bayern München bestellen viele.“

Machen Sie mit dem Heftverkauf Gewinn?

„Würde es mir ums Geld gehen, würde ich etwas anderes machen. Das Heft trägt sich, aber würde jemand wissen, was pro Ausgabe übrig bleibt, würde er wohl mitleidig lächeln. Unser Credo ist es eigentlich auch, auf Werbung zu verzichten. Zuletzt mussten wir aber Ausnahmen machen, weil der Bahnhofsvertrieb für uns sehr teuer ist.“

Wie läuft die Konzeption einer Ausgabe? Melden sich wie bei anderen Magazinen Autoren mit Themenangeboten?

„Es kommen nicht viele Anfragen für Texte. Mittlerweile ist es auch schwierig geworden, Themen oder Texte zu finden, die noch flashen – nach 31 Ausgaben hat man vieles schon gelesen. Wir sprechen deshalb oft gute Autoren an, ob sie Lust haben, mal wieder was zu schreiben.

Bei den Berichten von den Spielen läuft alles über die Gruppen. Bei großen Derbys zum Beispiel fragen wir zwei, drei Wochen vorher die jeweiligen Gruppen an, ob die Bock haben, zu berichten.“

Blickfang Ultra berichtet auch über die Champions. Statt Ergebnissen präsentiert das Heft Fanblock-Aufnahmen.

Champions-League-Berichte: Fanblock-Aufnahmen statt Ergebnisse.

Letztlich schreiben die Gruppen also über sich selbst?

„Früher gab es auch neutrale Spielberichte, die fanden wir irgendwann nicht mehr so gut. Das sind immer nur Momentaufnahmen und oft kommen persönliche Zu- oder Abneigungen durch. Im schlimmsten Fall sind dann später noch die angesprochenen Gruppen sauer. Neutrale Autoren gibt es daher fast nur noch bei Auslandsspielen.“

Immer wieder wird Ultras vorgeworfen, dass es ihnen ums Selbstdarstellen geht, weniger um den Fußball. In Ihrem Heft liest man fast gar nichts darüber, was auf dem Rasen passiert. Spielernamen zum Beispiel tauchen praktisch nie auf.

„Die Szeneberichterstattung war schon immer so. Schon im ersten überregionalen Magazin, einer Hooligan-Zeitung namens Fan Treff, wurde eigentlich nur über die Krawalle berichtet. Und auch in den Fanzines zählte vor allem das Szenerelevante. Das ist bis heute so, länderübergreifend. Fußball ist immer außen vor.

Das heißt aber nicht, dass sich niemand für Fußball interessiert, fürs Sportliche gibt es ja schon viele andere Quellen. Mich persönlich interessiert aber tatsächlich nicht, wer bei welchem Spiel ein Tor geschossen hat. Ich will lieber wissen, wie die Stimmung war.“

Die Texte im Heft wecken den Eindruck, dass Böllerwürfe, Pyrotechnik und Fahnenklau zu einem guten Stadionbesuch dazugehören. Wie kommt Ihr Heft wohl bei Leuten außerhalb der Szene an?

„Mir fällt es schwer, mich in deren Lage zu versetzen. Ich glaube aber, für viele Leute ist das Heft zu viel Input auf einmal. In manchen Texten finden sich ja Slangwörter und Insidersachen, die versteht man bestimmt kaum. Vermutlich sorgt das Heft für Verwunderung, aber auch für Interesse, allein wegen des Gedankens, dass es Leute gibt, die sowas kaufen und lesen. Außenstehende, denen ich das Heft zeige, fragen mich häufig, ob ich alle Texte selbst schreibe. Natürlich nicht.“

Viele Heftseiten bestehen nur aus Fotos. Diesem Aufnahmen stammen vom Prager-Derby.

Viele Heftseiten bestehen nur aus Fotos. In diesem Fall geht es um ein Spiel in Prag.

Zählen zu Ihren Lesern auch Polizisten oder DFL-Mitarbeiter, die das Heft zwecks Szenebeobachtung lesen müssen?

„Ich denke schon. Wir haben zumindest schon Hefte an die KOS in Frankfurt, die Koordinationsstelle Fanprojekte, geschickt. Und auch von der Bibliothek der Polizeihochschule sind Bestellungen gekommen.“

Polizisten werden in Ihrem Heft gern mal als „Bullen“ bezeichnet.

„Ich habe nichts gegen den Begriff. Ich will kein weichgespültes Heft machen, um Leuten die Szene zu erklären, sondern will sie beschrieben haben, wie sie ist. Die Sprache im Heft soll dieselbe sein wie bei Unterhaltungen innerhalb der Szene. Sonst kann sich doch niemand mit dem Heft identifizieren, das wäre nicht authentisch.“

Hat Blickfang Ultra ein politisches Ziel, eine Botschaft für die Szene?

Die deutsche Szene hat sich seit dem Heftstart stark verändert. In den Anfangsjahren war sie medial kaum beleuchtet, wir haben begonnen, hinter die Kulissen zu schauen. Damals fanden sich auch noch viele philosophische Texte im Heft. Wir hatten Themen wie ‚Copy kills Ultra‘, da ging es ums Kopieren von Zaunfahnen, Liedern, Styles und ähnlichem. Solche Artikel haben die Leute in der Szene schon zum Nachdenken gebracht.“

Und jetzt gibt es dieses Philosophische nicht mehr?

„Die letzten Ausgaben waren wieder ziemlich geradeaus. Das Philosophische kam auch nicht bei jedem an. Wir haben oft den Vorwurf gehört, wir seien Studenten und im Heft sei Universitätsgelaber, da wären Texte dabei, bei denen man die Hälfte der Wörter nachschlagen muss. Viele Leute haben diese Artikel verteufelt. Mit der Zeit nahm daher die Zahl der Spielberichte zu, es gibt heute mehr Action-Bezogenes.“

Ist es schwierig, ein gruppenübergreifendes Heft zu machen?  

„Vermutlich ist es leichter, ein Heft für die eigene Fanszene zu machen. Man ist mit den Leuten befreundet, kann denen beim Stadionbesuch sagen, sie sollen endlich ihren Text fertig machen. Bei einem übergreifenden Heft gibt es dieses Muss-Ding nicht. Überhaupt ist es schwierig, all die Kontakte aufrecht zu halten, zu 50 Gruppen in ganz Deutschland.“

In Heft 30 berichtet Mirko Otto über das Derby Belgrad.

Chefredakteur auf Reisen: In Heft 30 schreibt Mirko Otto über das Stadtderby in Belgrad.

Im Heft finden sich auch viele Berichte aus dem Ausland, etwa zu einem Länderspiel zwischen Afghanistan und Pakistan in Kabul.

„Über die Jahre habe ich mir ein Netzwerk aufgebaut. Es gibt ja in jedem Land ein paar Leute, die dann eigentlich alle wichtigen Personen kennen. Manchmal ist sogar einfacher, an ausländische Sachen ranzukommen, etwa an Fotos aus osteuropäischen Stadien. Vielen jugendlichen Lesern sind die Auslandsgeschichten aber zu weit weg und zu abstrakt. Die wollen lieber was über Schalke lesen als über Thailand.“

Die Zielgruppe für Ihr Heft scheint gar nicht so klein, Blickfang Ultra hat fast 60.000 Facebook-Fans.

„Facebook ist ein zweischneidiges Schwert. Schon wichtig, um sich darzustellen und übers Heft zu informieren, aber eigentlich ist Facebook auch unser Konkurrent, wie das Internet allgemein. Das Belgrader Derby etwa findet samstags um 17 Uhr statt. Um 19 Uhr gehen bei Facebook schon die ersten Bilder rum. Keine gute Qualität, dazu Kommentare mit Sachen, die nicht stimmen. So geht das eigentlich jeden Tag. Und vielen reicht es leider, mal ein Foto von hier, mal eins von dort zu bekommen.“

Wie kann sich Ihr Heft von der Netzberichterstattung abheben?

„Durch tiefgründige Artikel. In Heft 30 etwa habe ich über das Belgrad-Derby geschrieben. Ich will mich nicht zu sehr loben, aber das war der erste Text über Belgrad, der in einem deutschen Heft veröffentlicht wurde und so viele Infos und Fakten direkt aus den Gruppen enthielt. Da würde ich den Leuten schon gern sagen ‚Los, lest das Heft‘. Es ist ja wichtig für die Kurve, dass es ein paar Leute gibt, die wissen was in der Welt läuft.“

In Ihrem Saisonrückblick-Sonderheft gab es ein Zaunfahnenranking, für das die Ultragruppen gegenseitig ihre Fahnen bewertet haben. Sind das die Artikel, die am besten ankommen?

„Sowas sorgt für Diskussionen. Man kann sich streiten, ob so ein Ranking Sinn macht oder Unsinn ist, aber man redet zumindest darüber. Das freut uns, weil wir sonst relativ wenige Rückmeldungen bekommen.“

Gab es mal Texte, die selbst Ihnen zu radikal waren?

„Rassistische oder politische motivierte Sachen lasse ich aus Überzeugung raus. Ansonsten bin ich sehr offen, drucke eigentlich alles. Es gab auch schon Gruppen, die gesagt haben ‚Wir können das Heft eigentlich nicht mehr bei uns verkaufen, das versaut die Jugend.‘ Oder: ‚Die 16-Jährigen können das nicht verstehen, da sind Texte drin, bei denen wir denken ‚Wir wollen nicht, dass die auch einmal so werden wie der Autor.'“

Und wie reagieren Sie auf solche Sätze?

„Ich denke mir ‚Was für ein Blödsinn‘. Jeder 16-Jährige ist bei Facebook und liest tausend Blogs. Die schicken sich ganz andere Nachrichten hin und her. Und man verbietet Jugendlichen doch auch nicht, die Zeitung zu lesen. Wer mit jungen Jahren in die Szene kommt, findet vielleicht manche Sachen gut und eifert ihnen nach, aber das ist ein Übungsprozess. Je mehr man liest, desto besser lernt man einzuschätzen, ob ein Gedanke gut ist oder Blödsinn. Das ist einfach eine Entwicklung, wie sonst im Leben.“

Danke für das Gespräch.


Lesetipp: Im ersten Teil der Serie Magazin-Menschen habe ich eine Zeitschriftenverkäuferin interviewt, im zweiten eine Gimmick-Einkäuferin.

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