Entblättert (2): Magische Welt – „Warum sollte ich meine Tricks nicht verraten?“

Verblüffend: Seit 60 Jahren erscheint in Deutschland ein Magazin für Zauberer. Zeit für einen Anruf beim Chef der „Magischen Welt“, Wittus Witt. Ein Gespräch über verratene Tricks und getäuschte Suchmaschinen.

Covermagischeweltinterview

„Arbeitstiere der Irokesen“. „kamelkot bei durchfall“. „swarovski stein verschluckt“. Selbst für derart ungewöhnliche Anfragen liefert Google zuverlässig Suchergebnisse. Darunter: dieses Blog. Zusätzlich landen hier körperbetont googelnde Menschen, die ‚“gestriemter arsch“ -mädchen -brüste -votze -sklavin -domina“‚ ins Suchfeld tippen. Alternativ „BDSM mösen texte“. Willkommen im wohl abgefucktesten deutschen Medienblog.

Es ist Zeit, das Niveau zu steigern. Damit sich meine Kritiken bald mit schönen Schlagworten wie „Zauberhafte Zeitschrift“ finden lassen, habe ich mich zu einem Interview verabredet. Mit einem Zauberer, der ein Magazin veröffentlicht. Wittus Witt, „mein Alter ist nicht wichtig“, ist Herausgeber und damit Textchef wie Layouter der Magischen Welt, Europas größter Zauberkunstzeitschrift. Sie existiert seit 1952 und bietet Künstlerporträts, Vorstellungskritiken und Trickerklärungen. Ich habe mir die Ausgabe 1/2012 bestellt.

Wittus Witt hat früher im WDR gezaubert (YouTube-Beweis), sogar im Radio präsentierte er seine Tricks. Bis heute tritt Witt mit eigenem Programm auf, außerdem schreibt er Bücher. Der Zeitschriftenmacher liest am liebsten den Spiegel, den Focus und die Zeit. Hin und wieder greift er am Kiosk auch zu Brand eins und zu Fotografieheften. Im Kulturgenre mag er neben Theater heute das Musikmagazin Rolling Stone.

Kioskforscher: Herr Witt, laut des Impressums lassen Sie von Ihrer Zauberkunst-Fachzeitschrift 2500 Exemplare drucken. Gibt es überhaupt so viele Zauberer? Oder tricksen Sie auch bei der Auflage?

Wittus Witt: „Es gibt viel mehr Zauberer als jene 2500, die meine Zeitschrift abonniert haben. Ich schätze, dass allein in Deutschland bis zu 5000 Menschen aktiv zaubern. Hauptberuflich macht es allerdings der kleinste Teil. Ich gehe davon aus, dass zwischen 120 und 150 Zauberer von ihrer Kunst leben können.“

Die Magische Welt ist ein Traditionstitel, sie erscheint seit 1952. Hat man da nicht irgendwann alle Kartentricks einmal erklärt?

„Ich gebe das Heft seit 2000 heraus, in dieser Zeit habe ich viel daran verändert. Im Vergleich zu meinem Vorgänger lege ich mehr Wert auf die Historie und die Theorie – und beides wandelt sich, genau wie die Auftrittsformen. Aus dem klassischen Zauberer der 50er-Jahre in Frack und Zylinder ist heute, ich formuliere es mal salopp, der Zauberkünstler in Jeans und T-Shirt geworden. Mein Heft begleitet diese Entwicklungen. Bei den Kunststücken vermeide ich es, alte neuaufzulegen. In der Magischen Welt will ich exklusive, bis dahin unbekannte Tricks präsentieren.“

Das machen Sie in Form einer Beilage. Das „Zaubersalz“ enthält Anleitungen für mehrere Kunststücke, unter anderem mit einer Parkscheibe. Ich dachte immer, unter Zauberern wäre es verpönt, Tricks zu verraten?

„Verrat klingt immer nach einer Gesetzesübertretung, das ist es ja nicht. Warum sollte ich meine Kunst nicht zeigen? Nicht das Geheimnis des Kunststücks macht die Zaubervorstellung aus, sondern der Künstler. Ich vertrete die Theorie, dass Zuschauer heute gern erfahren dürfen, wie ein Trick funktioniert. Bei guter Vorführung werden sie sich morgen trotzdem davon verblüffen lassen. Bei Filmen weiß der Zuschauer schließlich auch, dass mit Schnitten gearbeitet wird. Deswegen ist ein Film für ihn nicht weniger wertvoll.“

Manche Tipps aus Ihrer Zeitschrift wirken wie Binsenweisheiten, zum Beispiel die Erkenntnis eines Zauberers: „Starke optische Veränderungen werden stärker wahrgenommen als geringfügige oder keine (wahrnehmbaren) optische Veränderungen“. Alles andere hätte mich gewundert.

„Solche Sätze sind nicht unbedingt Binsenweisheiten, die muss erstmal jemand ausformulieren. Vieles, was noch nicht aufgeschrieben wurde, weiß man. Und wenn es dann jemand aufschreibt, sagt man ‚Ja Mensch, klar, sicher.‘ In so einem Fall ist es doch gut, dass es endlich mal ausformuliert wurde. Man geht oft am Einfachsten vorbei.“

Muss man Zauberer sein, um ihre Zauberzeitschrift vollständig zu verstehen? Mich haben einige der vorgestellten Phänomene überfordert. Auch nach zweimaligem Lesen eines Artikels über sogenannte WOW-Cards hatte ich keine Ahnung, wie Spielkarten in geschlossene Flaschen gelangen könnten.

„Es ist normal, dass für Nicht-Fachleute in Fachzeitschriften hin und wieder Böhmische Dörfer existieren. Man muss sich reinlesen. Die WOW-Cards sind ein spezielles Gebiet, das über die Zauberkunst hinausgeht. Ich wollte das Thema trotzdem abdecken, weil es so reizvoll ist. Wir haben im Heft auch noch die Verbindung zum Internet, mit QR-Codes und abgedruckten Links. Die können Sie nutzen, dann erfahren Sie, was Ralf Rudolph mit seinen WOW-Cards meint.“

Im Heft geht es an vielen Stellen um den Einfluss des Internets. Man muss aufpassen, auf Facebook-Fotos nett zu gucken, heißt es sinngemäß in einem Artikel. Ein anderer Text fragt in der Überschrift, ob das Internet den „Niedergang der Zauberkunst“ bedeutet. Wie typisch sind diese Artikel für Ihr Magazin?

„Wie das Internet im täglichen Leben eine wichtige Rolle spielt, spielt es sie auch im Heft. Ich glaube, das Internet ersetzt heutzutage in vielen Bereichen Vereine. Im Netz gibt es auch unzählige Erklärungen für Zauberkunststücke. Informationen, nach denen man früher Tage gesucht hat, bekommt man innerhalb weniger Sekunden. Das kann man nicht einfach ausblenden, man muss sich damit beschäftigen. Und Zauberkünstler stellen sich natürlich im Internet dar, etwa mit YouTube-Filmen.“

Kurios fand ich den Artikel „Trittbrettfahrer“. Er handelt davon, dass sich ein Hobbykünstler im Internet als bekannter Zauberer ausgibt und so dessen Google-Suchtreffer einstreicht. Den Autor des Textes empört das. Aber ist das streng genommen nicht auch eine Form der Illusionskunst? Suchmaschinentäuschung?

„Natürlich hat das mit einer Illusion zu tun. Ich lehne die Bezeichnung Illusionskünstler für Zauberer aber ab, weil sie nicht eindeutig ist. Die Geschichte passte gut zum Thema Zauberkunst und Internet, da habe ich sie ins Heft genommen. Getäuscht und kopiert wurde schon immer, aber im Internet ist das oft besonders einfach. Digital können Sie sehr schnell Bilder bearbeiten. Denken Sie nur an die ganzen Spam-Mails: Da stellen Menschen die Homepage Ihrer Bank nach, um an Ihre Geheimnummer zu kommen.“

Mit Ihrem Namen und Ihrer Prominenz prägen sie die Magische Welt. Die Witz-Seite ist nach Ihnen benannt („Witts-Seite“), in der Rubrik „Vorgestellt“ porträtieren Sie einen Ihrer Schulkumpels. Könnte es die Zeitschrift ohne Sie geben?

„In dieser Form nicht. Sie lebt mit meinem ganzen Herzblut. Häufig fahre ich selbst zu den vorgestellten Veranstaltungen, will mir selbst ein Bild machen. Das ist wichtig, weil ich die Artikel gern mit meiner Meinung versehe. Die Magische Welt trägt von vorn bis hinten meine Handschrift, meine Auffassung zur Zauberkunst inklusive. Für mich ist klar, dass Zaubern eine Kunstform ist. Gleichwertig mit Musik, Theater, Fotografie. Aber ich veröffentliche natürlich auch Artikel, die nicht meine Meinung teilen.“

Ich habe zufällig die erste Ausgabe nach einem Relaunch erwischt. Das Layout sei jetzt frischer, schreiben Sie über Ihre „alte Dame“. Ich als junger Leser finde die Heftoptik bestenfalls solide, um ehrlich zu sein. Wie schlimm war es vorher?

„Als ich das Heft übernahm, erschien es im kleinen B4-Format. Vom Layout her war es eine Schülerzeitschrift, Textwüste folgte darin auf Textwüste, alles in sehr sachlichem Satz. Ich habe das Heft dann auf 22 mal 29 Zentimeter vergrößert, ihm ein erstes Facelifting verpasst. Jetzt, nach über zehn Jahren, habe ich die Gestaltung erneut überarbeitet, mehr Farbe reingebracht. Das Layout ist seitdem großzügiger. Wenn man das Heft durchblättert, hat man schon Lust, mit dem Lesen anzufangen, finde ich.“

Gelangweilt haben mich an Ihrem Heft die Überschriften. Ein Artikel über eine Kulturbörse ist zum Beispiel betitelt mit „Kunst und Kultur pro Quadratmeter“, das Porträt eines hauptberuflichen Zauberers mit „Bodenhaftung und wohlgeformt“. Die Texte waren oft viel interessanter als die Zeilen. Und auch vernünftig geschrieben.

„Wenn Sie das so sehen… Ich finde, ‚Kunst und Kultur pro Quadratmeter‘ klingt sehr reizvoll. Da fragt man sich: ‚Hallo, wie geht das zusammen‘? Weil Kunst sich ja eigentlich nicht in Quadratmetern ausdrücken lässt. Mir gefallen die meisten Überschriften sehr gut.“

Auf Ihrer Homepage bezeichnen Sie die Magische Welt als „Deutschlands größte unabhängige Zauberfachzeitschrift“. Von wem sind andere Hefte denn abhängig? Von dunkeln Mächten? 

„Es gibt in Deutschland einige Zauberzeitschriften, die von Vereinen herausgegeben werden. Diese Vereinszeitschriften müssen natürlich auch den Verein loben, da geht es um die Vereinsmeierei. Wann wird wo jemand geboren? Wer grüßt wen? Wie steht es um den Vorstand? All dieses Zeug hat die Magische Welt nicht.“

Herr Witt, herzlichen Dank für das Gespräch.

Es liegt übrigens an einem anderen Interview, dass die Sadomaso-Anfragen zu meinem Blog führen. Im November hatte ich den Chefredakteur des Hefts Schlagzeilen befragt.

Infos zum Heft

Magische Welt erscheint zweimonatlich im Hamburger mw-Verlag, der auch Bücher über das Zaubern veröffentlicht, etwa „Geld her! Kunststücke mit Banknoten“. Mit einer Druckauflage von 2500 Exemplaren ist das Magazin Europas größte Zauberkunstzeitschrift.

Erhältlich ist Witts Heft ausschließlich im Abo, einzelne Ausgaben bietet der Verlag für acht Euro an. Ein Jahresabo der Magischen Welt (unter anderem bei Amazon erhältlich) kostet 39,50 Euro. Auf den Markt kam das Heft 1952.

Im Interview geht es um die Ausgabe 1/2011. Sie hat 44 Seiten, zudem enthält sie „Zaubersalz“, eine 16-seitige Beilage mit exklusiven Zauberkunststücken.

Die Rechte an seinem Porträtfoto liegen bei Wittus Witt.

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