Entdeckt (49): Traditionell Bogenschiessen – Krokodile im Wald

Robin Hood lässt grüßen: „Traditionell Bogenschiessen“ zielt auf Hobbysportler, die am liebsten ohne technische Hilfsmittel schießen. Zwischen Turnierinfos und Tier-Attrappen wird sogar gereimt.

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Speckstein feilen, containern, Pferdewetten: Manche meiner Freunde haben schon komische Hobbys. Leider darf ich mich nicht mehr darüber lustig machen, spätestens seit dem 29. Juni gelte ich selbst als Nerd. An diesem Samstag fuhr ich mit Kumpels ins oberbayerische Finning, um bei einem 7Wonders-Turnier mitzumachen. Das Kartenbrettspiel hatten wir in den Vormonaten öfter gespielt, in beunruhigender Regelmäßigkeit war ich Letzter geworden.

In Finning allerdings geschah ein kleines Wunder: Aufgeputscht mit Haribo und Cola gewann ich das Turnier und qualifizierte mich für die nächste Runde, das bundesweite Finale in München. Im November werde ich also erstmals an einer Deutschen Meisterschaft teilnehmen, was auf Partys cool klingt, bis jemand nach der Disziplin fragt. Gegen das Brettspielen wirkt praktisch jedes Hobby sexy, selbst solche, die Männer gern mal in Strumpfhose ausüben.

Bogenschießen zum Beispiel scheint auch im Zeitalter moderner Waffen angesagt – wie sonst lassen sich 69 Ausgaben des Magazins Traditionell Bogenschiessen erklären, das ich kürzlich entdeckt habe?

Bögen, Blumentöpfe, Brüste

Die Leser seien „naturverbunden und wetterfest“, heißt es im Werbeflyer, sie suchen „das Echte und Ursprüngliche“. Angesichts des Heftschwerpunkts liegt das nahe: Wer traditionell schießt, verzichtet aufs Visier und auf technische Hilfsmittel – man verteilt seine Pfeile also im Stil eines Robin Hoods. Auch die Naturverbundenheit ist dokumentiert: Zahlreiche Fotos zeigen demonstrativ konzentrierte Sportler im Wald und auf Wiesen, den Bogen gespannt. Manche Wettkämpfe finden aber auch auf Burgen statt, mit aufwändigen Kostümen.

Wie er an fototaugliche Ausrüstung kommt, erfährt der Leser im Bastelteil des Hefts: Fünfseitig erläutert ein Autor, wie ein Kurzköcher entsteht. Ebenso liefert das Magazin ausgefallene Kauftipps, vom „lustigen Blumentopf“ bis zum „exklusiven Kalender“ in „sehr kleiner Auflage“ – dafür mit viel nackter Haut.

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Zum Nachbauen: In der Herbstausgabe erfährt der Leser, wie ein chinesischer Kurzköcher entsteht.

Jagen Weltweit las sich aufregender

In den längeren Artikeln geht es meistens um Wettbewerbe. Schützen berichten von ihren Erfahrungen, gern mit Phrasen wie „Wahrlich: Dieser Parcours ist kein Kindergeburtstag!“. Spannend fand ich die Erlebnisberichte nicht: Fast alle Texte sind chronologisch aufgebaut und fast frei von Dramaturgie. Da las sich Jagen Weltweit aufregender, wobei dieses Heft den Vorteil hat, dass seine Protagonisten auf echte Tiere schießen, die auch mal weglaufen – anders als die 3D-Tiere, die bei vielen Bogenturnieren als Ziel dienen.

Immerhin funktionieren die Artikel aus Traditionell Bogenschiessen als Service-Texte, sie liefern Informationen über den Turnierablauf, das Rahmenprogramm und das Essen. Das typische Fazit ist positiv, eine Autorin zitiert die Kommentare euphorischer Teilnehmer: „‚Unvergessliches Wochenende…‘, ‚wird in die Holzbogengeschichte eingehen…'“

Zielwasser verboten

Obwohl einige Texte aus der Ich-Perspektive geschrieben sind, war mir das Heft manchmal einen Tick zu unpersönlich. Die Bogenschützen werden in der Regel von der Seite oder über die Schulter fotografiert, daher erkennt man die wenigsten. Selbst einen Auswanderer, der ausführlich vom Parcours erzählt, den er in Uruguay errichtet hat, sieht man ausschließlich von hinten. Wie wär’s mal mit Umdrehen, liebe Schützen, mit dem ein oder anderen Porträtfoto?

Gut fand ich, dass Traditionell Bogenschießen auf effekthascherische Motive verzichtet, niemand schießt in Richtung Kamera. Plump gestellt wirkt auf 100 Seiten nur ein Foto: Acht Schützen gleichzeitig zielen aus kaum einem Meter auf eine 3D-Maus. Ansonsten wirken die Sportler vernünftig, auch bei der Bogen-Europameisterschaft war laut Heft die Sicherheit „ausreichend gewährleistet“: „Leicht angetrunkene Schützen wurden sofort aus dem Turnier genommen.“

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Wie lief die Europameisterschaft? Die Autoren berichten von Wettbewerben rund um den Globus.

Krokodiljagd in deutschen Wäldern

Welcher Szene-Einblick mich überrascht hat? Den Berichten zufolge nehmen schon Fünfjährige an Turnieren teil. Eine amüsante Vorstellung: Manches 3D-Tier ist größer als der junge Schütze. Bei den Produkttipps wird zum Beispiel ein Braunbär-Modell vorgestellt: 1,75 Meter hoch, 45 Kilo. Generell scheint es Nachbauten von fast jedem Tier zu geben, beim Lesen begegnete ich Spinnen, Erdmännchen, Krokodilen und sogar Mammuts. Willkommen im Gruselwald.

Dafür, dass es sich aufs traditionelle Schießen beschränkt, bietet das Magazin viel Abwechslung, auch bei den Stilformen: Neben Berichten und Basteltipps gibt es Meldungen, Info-Tabellen und ein Interview. Die Rubrik „Bogenspiele“ präsentiert ungewöhnliche Wettspiel-Ideen, etwa eine Golf-Variante. Und sogar ein längeres Gedicht hat es ins Heft geschafft, mit Reimen wie „Er war vor Glück ganz wie besoffen, hat er doch diese Zehn getroffen“.

Keine Bewertungen, keine Ranglisten

Gewundert hat mich die Zurückhaltung der Redaktion. Die Produkttipps lesen sich wie Katalogtexte, es gibt keine Bewertungen, keine Ranglisten. Eine Titelgeschichte, die „Marktübersicht Befiederungsgeräte“, beschränkt sich darauf, technische Daten von 23 Geräten aufzulisten. Selbst, wenn sich die Geräte nicht direkt vergleichen lassen: Wäre es nicht interessanter, sie von Schützen ausprobieren zu lassen, die ihre Praxis-Erfahrungen aufschreiben?

Optisch präsentiert sich das Magazin solide. Das Text-Bild-Verhältnis ist gut, mit seinem dezenten Layout strahlt das Heft Seriosität aus. Nur manche bunte Anzeige bricht den Stil. Bei den längeren Artikeln würde ich mir Vorspänne wünschen, gern ein wenig verspielt. Momentan beginnen viele Texte faktenlastig, etwa so: „Bogenshop Binder feierte zu Pfingsten sein 10-jähriges Firmen-Jubiläum. Gegründet haben den Shop Manuela und Helmut Binder. Zu finden sind sie in Grafenau-Neudorf.“

Traditionell Bogenschiessen – ein Fazit

Obwohl mich mit dem Bogenschießen nur mein Sternzeichen verbindet, habe ich das Heft interessiert gelesen: Auch Laien gewährt Traditionell Bogenschiessen spannende Szene-Einblicke. Überzeugend ist das Heft vor allem in Sachen Service. Wer vorhat, auf Turniere zu fahren, bekommt hier die nötigen Infos. Wären die Autorentexte ansprechender, würde die Lektüre sogar Spaß machen.

Interessant fand ich eine Textstelle, die erklärt, warum Schützen auf den heiligen Sebastian vertrauen: Ein Erschießungskommando hat ihn mal mit Pfeilen durchbohrt. „Mit derselben Logik, durch die […] der in der Moldau ertränkte Johannes von Nepomuk vor eben solchem Tod durch Ertrinken schützen sollte, so entwickelte sich Sebastian […] zum Schutzpatron der Bogenschützen.“

Einen Brettspieler-Patron fürs 7Wonders-Finale habe ich übrigens nicht gefunden, am Kartentisch scheint niemand sein Leben verspielt zu haben. Kein Wunder, dass Spielen so einen miesen Ruf hat, ohne Schutzheiligen.


Infos zum Heft

Traditionell Bogenschiessen erscheint dreimonatlich im Verlag Angelika Hörnig. Dieser verkauft auch Bücher übers Bogenschießen, mit Titeln wie Das unsichtbare Ziel oder Der gefiederte Tod.

Die Erstausgabe der Zeitschrift kam im Herbst 1996 auf den Markt, gedruckt werden derzeit 15.000 Exemplare. Kaufen lässt sich das Heft im Bahnhofsbuchhandel, ebenso in Bogensportgeschäften.

Besprochen wurde die Ausgabe 69 aus dem dritten Quartal 2013. Sie hat 100 Seiten und kostet sechs Euro. Die im Text verwendeten Fotos hat mir der Verlag zur Verfügung gestellt.

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