Entdeckt (55): Spinneneier, Kampfmesser, Bettspiele mit Leichen – Drei Hefte für entspanntes Reisen

Viele Zugfahrten werden erst durch die Sitznachbarn anstrengend. Doch es gibt Magazine, die helfen, ungestört zu bleiben: Ein Blick in „Girls and Corpses“, „Bugs“ und das „Messer Magazin“.

cover-messer-girls-bugs In einem Moment der Schwäche habe ich neulich den Kampf um einen Zugplatz verloren. Ich hatte am Fenster reserviert, doch eine Punkerin weigerte sich, ihr Gepäck vom Sitz zu nehmen. Unser Dialog dauerte nicht lang, dann gab ich auf und zog in den Speisewagen. Der Gedanke, selbst bei positivem Diskussionsausgang Stunden neben dieser Frau verbringen zu müssen, hatte mich einknicken lassen.

Wie geschickt sich die Punkerin angestellt hatte, realisierte ich erst später. Sie musste nur zwei Minuten den potenziellen Sitzpartner abschrecken, schon hatte sie den Rest der Reise Ruhe – eine Taktik, mit der auch verschwitzte Fußballfans oder Holi-Festival-Rückkehrer gut fahren, manchmal sogar ohne Worte. Denn in Bus und Bahn gilt die seltsame Logik: Je ekliger der Kunde, desto entspannter sein Trip.

Doch auch wer kein Nietenarmband trägt, hat die Chance, in Ruhe gelassen zu werden. Mit Girls and Corpses, Bugs und dem Messer Magazin gibt es mindestens drei Magazine, die taugen, um Standardreisende zu verstören: mit Einblicken in die Fachgebiete Leichen-Erotik, Spinnentiere und Schneidetechnik.

1) Girls and Corpses – Tote, Models, Hitler

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„Sex with Brains“, „Corpse College Issue“, „Hitler the Perv Unseen Pics“ – bei Girls and Corpses reicht es wahrscheinlich schon, die Titelthemen vor sich her zu flüstern, um ein Abteil in Schockstarre zu versetzen. Dabei ist das Magazin, das sein „Deaditor-in-Chief“ als „Maxim trifft Dawn of the Dead trifft MADbewirbt, eigentlich alles andere als ein Geheimtipp. In Kalifornien beheimatet, gewann das Heft vor allem über das Internet an Bekanntheit. Seit Kurzem wird es weltweit vertrieben, ab und zu erscheint sogar eine deutschsprachige Version.

Die Themen von Girls and Corpses sind vielfältig: So bietet das Heft zum Beispiel Musiker-Interviews, eine Geschichte über Hitlers Sex-Vorlieben und den Erfahrungsbericht eines Tatortreinigers. Berühmt wie berüchtigt ist das Magazin aber für seine Fotostrecken. Models, Playmates und Pornostars posieren darin halbnackt mit verwesten Leichen, garniert mit Bildunterschriften wie „Leichen sind tolle Zuhörer und sie weigern sich nie gegens Kuscheln – alles, was ein Mädchen will.“ In jeder Ausgabe soll laut den Heftmachern neben Kunststoffmodellen auch eine echte Leiche auftauchen, ohne dass verraten wird, wo genau.

Die Girls-and-Corpses-Ausgaben haben jeweils Doppelcover: In diesem Heft begegnet Pornostar Tera Patrick einem gewissen “David Hasselcorpse”. (Foto: Girls and Corpses)

Abgesehen von Nekrophilen dürfte Girls and Corpses, das sich als „Comedy-Magazin über den Tod“ vermarktet, vor allem Fans von Horrorfilmen, Comics und Metal-Musik ansprechen. Ein ausführliches Porträt widmet die aktuelle Frühjahrsausgabe GG Allin, einem amerikanischen Rockmusiker, der 1993 an einer Überdosis Heroin starb. Bekanntgeworden war Allin unter anderem durch Auftritte, bei denen er masturbierte oder seine eigenen Exkremente aß.

Ständige Wortspiele und politisch inkorrekter Humor

Das neueste Heft ist die „Corpse College Issue“, entsprechend dreht sich ein Teil der Geschichten ums Studentenleben. Vorgestellt werden tödlich geendete Verbindungsrituale, aber auch Metzelfilme, die am College spielen. Ernster und trotzdem spannend ist das Interview mit einem todkranken Lehrer, der sich nach seiner Diagnose entschied, nochmal einige seiner alten Schüler zu besuchen. Ein wenig anstregend fand ich bei Girls and Corpses die ständigen Wortspiele, vom“Letter from the Deaditor“ bis zum „Deadploma“.

Models mit Leichen auf Bett: Ein typisches Motiv aus "Girls & Corpses"

Models mit Leichen auf Bett: Ein typisches Motiv aus „Girls and Corpses“.

Optisch präsentiert sich das Heft absichtlich trashig. Auf einen Film-Screenshot, der einen Kopf in einer Toilette zeigt, folgt schon mal ein Cartoon, Erotik-Fotostrecken wechseln sich mit Comiczeichnungen ab. Der Humor des Hefts ist mitunter politisch inkorrekt, so heißt es im Hitler-Text: „Most sources cite that his ‚toothbrush‘ invaded the vertical borders of six women, that’s one chick per million Jews, if Nazi math is employed.“ In Deutschland kann man das Magazin zum Beispiel am Hamburger Bahnhofkiosk kaufen. Dort kostet es 12,90 Euro.

2) Bugs – Wo Spinnen Haut zeigen

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Ich hatte mir schon mehrfach vorgenommen, Bugs für dieses Blog zu testen. Meistens verwarf ich diese Idee aber bereits nach kurzem Durchblättern und legte das Heft zurück ins Regal. Zitternd. Meine Spinnenphobie und Titelthemen wie „Reportage: Das faszinierende Leben der Falltürspinnen waren keine gute Kombination. Dass ich nun doch 6,50 Euro ausgegeben habe, lag an den Titelthemen der Ausgabe 6: Mantiden alias Gottesanbeterinnen, Schaben, Krabben – das alles finde ich eher skurril als schlimm. So kann ich auch jeden Tierhalter verstehen, der sich statt für Spinnen plötzlich für Mantiden begeistert, wie das Editorial nahelegt: „Selbst Terrarianer, die sich eigentlich auf […] Vogelspinnen spezialisiert haben, erliegen nur allzu leicht dem skurrilen Charme der alienköpfigen kleinen Tiere.“

Abseits der großen Gottesanbeterinnen-Titelgeschichte widmet sich Bugs  auch dem Rest der Wirbellosenwelt. Auf immerhin 68 Seiten präsentiert das Heft Haltungstipps, Neuigkeiten und Anekdoten. In der Rubrik „Star-Bugs“ (sic!) beispielsweise erfährt man, dass eine Bremse mit goldenem Hinterteil nach der Sängerin Beyonce benannt wurde, in Anspielung auf deren Song „Bootylicous“. Und eine Seite weiter lernt man die Marokkanische Flickflackspinne kennen, die „Kunstturnerin unter den Achtbeinern“: Durch ihre Flickflacksprünge soll sie mit einem Tempo von bis zu zwei Metern pro Sekunde vor Feinden flüchten können.

Schmetterlinge im Bauch – wortwörtlich

Doch Bugs beschäftigt sich auch mit entspannteren Lebewesen. So verrät das Heft, wie sich Nacktschnecken mit sich selbst paaren oder dass der Wolfsmilchschwärmer Schmetterling des Jahres geworden ist. Es gibt ein Reisetagebuch über eine Skorpionsuche in Marokko, ebenso wie den Erfahrungsbericht eines Studenten, der in Laos Insektengerichte getestet hat – sein Text erscheint mit der schönen Überschrift „Schmetterlinge im Bauch“.

Auch beim Service gibt sich das Magazin Mühe: In einer Terminübersicht finden sich die nächsten Vogelspinnen-Stammtische, in der Heftmitte wartet ein Krabben-Poster. Am Rand des Laos-Texts informiert Bugs beiläufig: „Es wird geschätzt, dass wir mit unserer Nahrung im Jahr unbewusst 500 g Insekten zu uns nehmen.“

Bei alldem ist Bugs ein bildstarkes Heft. Praktisch auf jeder Seite begegnen einem Raupen, Spinnen, Skorpione oder ähnliche Tiere. Nach der Lektüre des Hefts bereitet mir schon manche Bildunterschrift Gänsehaut, da ich das zugehörige Foto noch immer vor Augen habe. Abschließend zwei Bildunterschriften aus einem Artikel zur Zucht und Haltung sogenannter Walzenspinnen: „Frisch gehäutete Walzenspinne neben ihrer Exuvie [der abgeworfenen Haut; Anmerkung Kioskforscher]“. Und: „Bei trächtigen Weibchen schimmern die Eier durch die Haut des Hinterteils.“ Und ja, das sieht man wirklich.

3) Messer Magazin – „… die verstehen mich“

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Das Messer Magazin ist nicht so unheimlich, wie man beim Namen denken könnte. Laut Eigenwerbung ist es die „einzige regelmäßige Publikation im deutschsprachigen Teil Europas, die sich ausschließlich mit dem Thema Messer beschäftigt“, eine seriöse Fachzeitschrift vom alten Schlag. Und tatsächlich taugt die neueste Ausgabe nur bedingt zum Leute-Abschrecken: Weil das Magazin gerade 15 Jahre alt geworden ist, verzichtet es auf dem Cover diesmal auf Schlagzeilen wie „No-Problem-Klappmesser“, „Scharfes am Hals“ und „Vergleichstest: Kampfmesser“. So musste ich ein wenig länger suchen, um Seltsames zu finden.

Fündig wurde ich zumindest auf einer Doppelseite mit Slogans, die Leser zum Heftjubiläum erfunden haben, als Alternative zu „Die große Zeitschrift rund ums Messer“. Zu den abgedruckten Beispielen zählen unter anderem: „Pure Verführung!“, „MM – scharf wie MM (Marilyn Monroe)“, „Messer Magazin ist besser als Medizin“ und, fürs laute Vorlesen wohl am geeignetsten, „Messer Magazin … die verstehen mich“.

Bericht im Messer Magazin: Die Redaktion testet zum Beispiel, wie viel ein Messer aushält.

Bericht im Messer Magazin: Die Redaktion testet zum Beispiel, wie viel ein Messer aushält.

Auf den restlichen 98 Seiten präsentiert sich das Messer Magazin durchweg professionell. Mir fielen das Text-Bild-Verhältnis und die Fotoqualität positiv auf. Das Heft enthält Kleinanzeigen, Produktankündigungen, Marktübersichten und Messer-Tests, letztere samt technischen Daten wie Klingenhärte und Griffstärke. Das Ganze ergänzt ein Workshop, in dem der Leser erfährt, wie er Klingen mit einem feinen Kratzmuster versieht. Eine Fähigkeit, die sicher nicht schadet, wenn das selbstgemachte Messer mal auf der „Pinnwand“ erscheinen soll, einer Übersichtsseite mit Fotos von Leser-Kreationen.

Das Heft wirkt aufgeräumt und durchaus schick, wobei es nicht geschadet hätte, öfter Menschen abzubilden – als Abwechslung zu all den Messern, die mal auf einem Schreibtisch liegen, mal auf einer Jeanshose, mal auf einem Teppich. Immerhin gibt es noch einen sechsseitigen Bericht über Dolche und Kampfsäbel, der das Heft optisch auflockert. Das Messer Magazin erscheint zweimonatlich und kostet 5,95 Euro – das ist nur unwesentlich teurer als den Nebenplatz regulär zu reservieren.

An dieser Stelle noch eine Warnung: Die Chance, mit den genannten Magazinen ungestört zu bleiben, ist hoch. Je nach Publikum besteht aber auch ein Restrisiko, dass sich ein Reisender für eins der Hefte interessiert und deshalb bewusst neben einen setzt. Das ist dann der Punkt, wo man lieber unauffällig gen Speisewagen entschwindet.

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